„Der legendäre Große Kurfürst und sein Berlin“

16.02.2020  Berliner Morgenpost

Er machte die Stadt zur florierenden Residenz und wurde zum Mythos. Vor 400 Jahren wurde Friedrich Wilhelm von Brandenburg geboren.

Von Uta Raifer

Ihr Besitz bestand nur aus ein paar losen Flecken Land zwischen Ostsee und Rhein. Die Brandenburger Kurfürsten waren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kleine Lichter zwischen all den Großmächten, die seit 1618 in den Dreißigjährigen Krieg verstrickt waren. Die Mark war Schlachtfeld, Quartier und Speisekammer für all die durchziehenden Truppen, die immer mehr Tribut forderten und zerstörten, was sich ihnen in den Weg stellte.

Kurprinz Friedrich Wilhelm kam vor 400 Jahren, am 16. Februar 1620, im Cöllner Schloss zur Welt, dessen Fassade damals noch von Renaissancegiebeln und Arkaden geprägt war. Im Innenhof führte die berühmte Wendelstiege in die Räumlichkeiten der kurfürstlichen Familie, die sich aber mit Ausnahme der Kinder zumeist im sicheren Königsberg aufhielt. Als Friedrich Wilhelm vier Monate alt war, zogen englische Söldner auf dem Weg nach Böhmen durch die Stadt und verängstigten den Säugling, berichten die Chronisten. Ein Tumult unter den Bürgern, die sich gegen erneute Truppenaufnahmen wehrten, führte vier Jahre später dazu, dass die Fürstenkinder in die Festung Küstrin in Sicherheit gebracht wurden.

Auf der Flucht und eingeengt – damit charakterisiert Jürgen Luh (Der Große Kurfürst. Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Sein Leben neu betrachtet. Siedler, 336 S., 25 Euro) Kindheit und Jugend des Großen Kurfürsten. Die prägenden Jahre zwischen 14 und 18 verbrachte er in Leiden in den Niederlanden, wohin er inkognito reisen musste, weil ein großer Hofstaat zu viel Geld gekostet hätte. Holland war reich, ein Zentrum für Kunst und Wissenschaften, Brandenburg hatte nur die Ehre, ein Kurfürstentum zu sein, das seine Fühler nach Preußen ausgestreckt hatte. Berlin war im Vergleich zu anderen europäischen Hauptstädten ein Dorf mit nicht einmal 10.000 Einwohnern. 1648, nach 30 Jahren Krieg, Pest und Hunger, waren es nur mehr 6000. (Paris um 1650: 500.000, London 375.000, Hamburg 60.000, Stockholm 35.000). Das musste den jungen Prinzen natürlich betrüben.

Er ließ den Lustgarten und die Allee Unter den Linden anlegen

Nach dem Tod des Vaters 1640 residierte er deshalb die erste Zeit in Cleve und dirigierte aus der Ferne den Wiederaufbau und die Befestigung der Berliner Residenz durch seinen Hofbaumeister Johann Gregor Memhardt. Der Lustgarten und die Allee Unter den Linden, die er nach holländischem Vorbild anlegen ließ, prägen das Stadtbild bis heute. 1650 zog er zusammen mit seiner Frau Luise Henriette, der Tochter des niederländischen Statthalters, feierlich von Spandau ins Schloss. Die wenigen Berliner, die es noch gab, jubelten. Im Gefolge niederländische Künstler, Gärtner und Siedler. Später lud er jüdische Familien aus Wien ein und seit dem Edikt von Potsdam 1685 kamen die in Frankreich verfolgten Hugenotten dazu. Die Doppelstadt hatte mit 17.000 Einwohnern endlich eine ordentliche Stadtgröße.

Auf der anderen Seite des Spreekanals gründete er Friedrichswerder und nördlich der Linden Dorotheenstadt, benannt nach seiner zweiten Frau Dorothea von Holstein-Glücksburg. Aber aus der Bautätigkeit dieser Zeit ist außer den Fundamenten der Dorotheenstädtischen Kirche und dem rasterartigen Straßengrundriss nichts mehr erhalten. Im alten Cölln allerdings steht noch der Alte Marstall in der Breiten Straße, der im Auftrag des Großen Kurfürsten 1665 entstand. Heute ist hier die Stadtbibliothek untergebracht. Der barocke Fassadenschmuck wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Das angrenzende Ribbeckhaus von 1624 ist noch älter. Das ursprüngliche Privathaus im Stil der Spätrenaissance wurde in den barocken Neubau integriert und für höfische Theater- und Opernaufführungen genutzt.

Aber noch viel mehr zum Mythos des Großen Kurfürsten hat ein Reiterstandbild beigetragen, das zehn Jahre nach seinem Tod von Andreas Schlüter entworfen wurde. Ursprünglich stand es auf der Langen Brücke (heute Rathausbrücke) am Berliner Schloss, heute befindet es sich vor dem Schloss Charlottenburg, nachdem es infolge der Auslagerung im Zweiten Weltkrieg beim Rücktransport im Tegeler See versunken war, wo es vier Jahre auf die Bergung warten musste. Der originale Sockel ist im Bodemuseum zusammen mit einer Kopie des Denkmals, das der Eingangshalle zu einem noch imposanteren Eindruck verhilft. Und unlängst wurde eine Gips-Kopie nach Mexiko geliefert für das Internationale Barockmuseum in Puebla.

Keimzelle der Berliner Museumslandschaft

Auf dem Pferd ist Friedrich Wilhelm ein wahrhaft großer Kurfürst. Auf den Beinamen freilich hat er selbst schon zu Lebenszeit hingewirkt. In der berühmten siegreichen Schlacht von Fehrbellin gegen die Schweden wurde er zum Helden stilisiert, die Schlacht freilich gilt heute als unbedeutendes Scharmützel. Dem Kurfürsten war die Macht von Propaganda sehr wohl bewusst. Er gefiel sich in der Rolle des Hirtenjungen David, der von Saul bedrängt wird und der Goliath besiegt. Der Historiker Samuel von Pufendorf ging 1695 noch weiter: So klug wie Salomon sei er gewesen und ein Held wie Alexander der Große. Das waren natürlich Steilvorlagen für die preußische Geschichtsschreibung der Hohenzollern, die ja erst mit Friedrich Wilhelms Sohn Friedrich I. so richtig begann.

Derzeit wird der Große Kurfürst wieder gefeiert. Seine Maßnahmen, die Kunstkammer und die Sammlungen nach dem Dreißigjährigen Krieg zu ordnen und zu erweitern, gelten als Keimzelle für die Berliner Museumslandschaft. Das Humboldt-Forum knüpft an die Kunstkammer im Schloss an, wenn es demnächst eröffnen wird. Die Siemens-Stiftung hat dafür einen Lack-Stellschirm aus dem 17. Jahrhundert angekauft, auf dem ein Phönixpaar, Vögel und Blüten abgebildet sind. Denn es war eine Initiative des Großen Kurfürsten, den berühmten Lackkünstler Gérard Dagly in die Stadt zu holen.

Berlin bekam die erste auf Lack spezialisierte Hofwerkstatt außerhalb Asiens und das Schloss ein Lackkabinett, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Gleichzeitig begründete das Interesse des Kurfürsten für ostasiatische Kunst die spätere Asia-Sammlung, die demnächst auch im Humboldt-Forum zu sehen sein wird.

Quelle: Berliner Morgenpost, 16.02.2020

 

 

 

2 Kommentare zu “„Der legendäre Große Kurfürst und sein Berlin“

  1. Immer neu wachsen aus der Geschichte Großtaten einzelner Lichtgestalten und Mythen kollektiver historischer Ereignisse, die danach oft für ideologische und nationale Glorifizierungen instrumen-talisiert werden. In späteren Analysen sollte es – zumindest in demokratischen Systemen – möglich sein, zu einer rationalen, differenzierten Betrachtung historischer Ereignisse überzugehen. Trotzdem bleibt eine reflektierte Geschichtsbetrachtung immer auch der Subjektivität des Zeitgeistes und den Gefahren neuer Verführungen ausgeliefert. Den Geschichtsmythen sind Standbilder, Denkmäler und Mahnmale gewidmet, so z. B. das berühmte Reiterstandbild des Großen Kurfürsten. Die Rossebändiger erinnern an die guten Beziehungen zwischen Russland und Preußen. Ihnen stellte K. F. Schinkel auf dem Dach über dem Alten Museum die Rossebändiger Castor und Pollux gegenüber. Die fünf niederländischen Fürsten verweisen auf Preußens Unterstützung der Niederlande in deren Freiheitskriegen gegen Spanien. Auch der Begas-Brunnen ist bedeutsam, aber nur dort wo er einst stand. Im Berliner Zentrum gab es auf engstem Raum viele Bezugspunkte, die in ihrer historischen Bedeutung und städtebaulichen Ästhetik eine hohe Ausdruckskraft hatten. Dann kam die Tabula Rasa des Bombenkrieges, danach die ideologisch-fortschrittliche Geschichtsrevision die DDR, die alte Denkmäler und Kunstwerke sprengte, abbaute, einschmolz oder an die Peripherie verbannte.
    Heute, wo es möglich wäre, die erhaltenen Skulpturen an ihre Originalstandorte zurückzuversetzen und sie hier einer aufgeklärten Bevölkerung im geschichtlichen und städtebaulichen Kontext wieder zugänglich zu machen, zeigen die zuständigen Berliner nur geschichts- und kunstvergessenes, banausenhaftes Desinteresse und nur Sinn für „zeitgemäße“ Monotonie und Banalität. Leider.

  2. Uta Raifer schreibt: „In der berühmten siegreichen Schlacht von Fehrbellin gegen die Schweden wurde er zum Helden stilisiert, die Schlacht freilich gilt heute als unbedeutendes Scharmützel.“ In der hier einmal um Objektivität bemühten Wikipedia steht: „Während die schwedische Geschichtsschreibung dem Treffen bei Fehrbellin kaum mehr als die Bedeutung eines Rückzugsgefechts beimaß, erkannte die deutsche Historiographie in ihm einen geschichtlichen Wendepunkt.“ Frau Raifer schlägt sich also auf die schwedische Seite, aber haben die schwedischen Historiker recht? Sicher war die Schlacht als Endpunkt einer Reihe von Operationen wohl nicht mehr ausschlaggebend. Aber sie wurde als glorioser Schlußpunkt in ganz Deutschland als eine Befreiungstat wahrgenommen, und sie hatte zur Folge, daß ein neuer französisch-schwedischer Angriffskrieg gegen das ohnehin noch weithin zerstörte Reich unterbunden wurde und die schwedische Kriegsmacht für geraume Zeit zu Angriffen nicht mehr imstande war. Nicht Friedrich Wilhelm, sondern Lobredner aus allen Teilen Deutschlands gaben ihm den Titel des „Großen“. Schweden war in den Augen der Deutschen nach dem alten Erbfeind Frankreich zu so etwas wie einem neuen Erbfeind geworden. Hatten sie recht? Natürlich nicht, sie hätten tolerant sein müssen, den fremden Heeren und deren Monarchen ihr Land ausliefern müssen und überhaupt sich selbst aufgeben und auflösen müssen. Dann hätten auch unsere heutigen Oberen nicht so viel Ärger mit der Selbstauflösung eines teilweise noch widerborstigen Volkes, das immer noch nicht vollständig zur Bevölkerung geworden ist. Unsere Vorfahren aber gedachten freudig ihrer Siege und und vergaßen nicht die Leiden ihrer Niederlagen, wie das bis heute anderswo allgemein üblich ist. Übrigens spielte damals der konfessionelle Gegensatz in Deutschland keine Rolle mehr. Die Schweden waren im protestantischen Brandenburg mindestens ebenso verhaßt wie im katholischen Bayern.

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