Der Geist der Weltkulturen hinter der Fassade
VON HARRY NUTT
Die Idee wirkte wie ein Befreiungsschlag, und der Name war eine Offenbarung. Als Klaus-Dieter Lehmann, noch als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), seine Gedanken zum so genannten Humboldt-Forum in die Debatte um die inhaltliche Gestaltung des Berliner Stadtschlosses warf, griffen Politik und Feuilleton begierig zu. Das Unbehagen über geplante Shopping-Malls mit Kunstdeko und Wohlfühl-Lounges mit Vortragsprogramm in Berlins historischer Mitte war wie weggeblasen. Der Name Humboldt verhieß anhaltende Sinnstiftung, und Lehmann verstand es, prächtig auszumalen, was andere nicht einmal zu hoffen wagten.
Museumsinsel und Schlossplatz, so der Plan, „werden zu einer gedanklichen Einheit von Kulturerbe, Kulturwissen, Kulturbegegnung und Kulturerlebnis“. Die Welt könne Teilhaber sein am „vornehmsten Platz Deutschlands“. Lehmanns Überlegungen zu einer Manifestation des Weltkulturerbes in deutscher Diktion fand den öffentlichen Applaus und gleich zweimal die Zustimmung des Bundestags (2002 und 2003), weil sie gut Ausgedachtes mit Pragmatischem verbanden. Drei gediegene Institutionen sollen eine praktische und geistige Kooperation in Deutschlands nobelstem Ideenstore eingehen. Die größte Fläche (24 000 Quadratmeter) ist für die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) vorgesehen. Die einzigartigen Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst werden von Dahlem nach Mitte umziehen.
Die Preußenstiftung würde damit gleich zwei hauseigene Probleme lösen. Den Dahlemer Museen wurde nach der Wiedervereinigung die Aufmerksamkeit des Publikums durch die neue Randlage in Berlins Südwesten zunehmend entzogen. Ferner sind die Gebäude einer langsam verrottenden Moderne stark renovierungsbedürftig. Ein Umzug wäre eine haushalterische Entlastung. Zweiter im Bunde der ungewöhnlichen Mietergemeinschaft ist die Berliner Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), die auf 4000 Quadratmetern Fläche für ihre Kernbereiche Tanz, Bühne, Film und Musik sowie eine „teaching library“ für Kinder und Jugendliche erhalten soll. Als Dritter plant schließlich die Humboldt-Universität (HU) auf 1000 Quadratmetern die Präsentation ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen sowie spezifische Veranstaltungen.
Berlins Geist soll vibrieren, Synergien mögen wuchern. Künftig werden täglich, so Hermann Parzinger, seit einem Jahr Lehmanns Nachfolger als SPK-Präsident, 15 000 Besucher das Schloss mit Leben füllen. Die Zukunft, glaubt Parzinger, „wird nicht aus einem Museum im Schloss bestehen. Vielmehr geht es um die Schaffung eines gänzlich neuartigen Kunst- und Kulturerfahrungszentrums, das Wissen über Weltkulturen und Kompetenz in Weltverständnis vermittelt“. Die herausragenden Neigungen, die die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt einst getrennt verfolgten, werden im Schloss wieder vereint. Während Wilhelm von Humboldt für die Ideen- und Geistesgeschichte Europas steht, war Alexander von Humboldt der Erfinder einer empirischen Geographie und der Erforscher Amerikas und Asiens. Das nachhaltige Wirken beider soll im Schloss zu einer deutschen Botschaft für die Welt amalgamiert werden. Das Schloss der Hohenzollern, deren Geschichte durch schnörkellose militärische und politische Macht geprägt ist, wird dabei auf den genius loci geistiger Zusammenkünfte festgelegt. Das hat Tradition. So traf Alexander von Humboldt auf Einladung von König Friedrich Wilhelm IV., der Romantiker auf dem Thron, im Teesalon Geistesheroen wie Ranke, Schelling, Niebuhr und Schinkel.
Je länger die Pläne zum Humboldt-Forum in der bloßen Entwurfsphase verblieben, desto deutlicher artikulierte sich aber auch Kritik. Das preußische Herrscherschloss, schreibt beispielsweise der Architekt Philipp Oswalt, „wird zum Ort des globalen Kulturausschusses unter dem Label der liberalen Gebrüder Humboldt – ein Musterbeispiel für Political Correctness“.
Ferner wird bemängelt, dass die zur Verfügung stehenden Flächen für die drei Anrainer arg zusammengeschnurrt sind. Noch ehe ein handfestes Konzept gereift ist, geht das Gespenst das Platzmangels um. Andere haben unterdessen vorgeschlagen, die Berliner Gemäldegalerie in das Schloss zu integrieren, die ihren Standort auf dem Kulturforum am Potsdamer Platz verlassen will, deren Pläne für einen Neubau eher unausgegoren scheinen.
Der Humboldt-Plan scheint schon jetzt daran zu leiden, dass der ihm innewohnende Geist ständig neuer Energiezufuhr bedarf. Die soll ein Generalintendant gewährleisten, der zusammenhält, was auseinanderzubrechen droht. Unklar ist aber, ob der General lediglich für eine „Agora“ gesucht wird, in der Ausstellungen und Konferenzen den Weltgeist aus Berlin beflügeln sollen. Lehmann, inzwischen Präsident der Goethe-Institute, sieht die Hauptverantwortung bei der Preußenstiftung. Nach der Vision kommt das Kompetenz- und Zuständigkeitsgerangel. Ab Freitag um so intensiver.
Frankfurter Rundschau, 27.11.2008