Das Prinzip Täuschung

Monumentale Fototapeten simulieren einen restaurierten Idealzustand

Von Bernd Noack

Mit der Simulation des Berliner Stadtschlosses begann es – die Fassaden zerstörter Gebäude erstrahlen in neuem Glanz, wenn auch nur als abwaschbare Fakes. In Fürth lässt man einen 1938 abgerissenen Bahnhof wieder aufleben.

Um sie auf den Geschmack zu bringen, hatte man Anfang der 90er Jahre den Berlinern schon mal ein komplettes Schloss hingestellt. Sie sollten sich mit den wuchtigen alten herrschaftlichen Dimensionen vertraut machen. Da, am ursprünglichen Platz und wo noch die Reste des DDR-Palastes vor sich hin rotteten, strahlte nun die Fassade des Prachtbaus in Originalgröße und so schön königsgelb – als wäre alles echt.

War es aber natürlich nicht. War alles nur Fake und abwaschbar dazu. Die Simulation des Stadtschlosses auf mit Bildern bedruckten Planen veränderte in Rekord-Aufbauzeit die ganze Atmosphäre dieses geschundenen Ortes und lenkte doch auch geschickt davon ab, dass dahinter alles nur leer war und bar jedes Nutzungskonzepts. Mittlerweile sind die riesigen Fototapeten längst wieder weg und eingemottet.

Das Prinzip Täuschung aber hat sich zu einem beliebten innerstädtischen Dekorations-Verwirrspiel entwickelt. Wo alte oder neue Fassaden herausgeputzt werden, bespannt man während der Bauzeit die Gerüste davor gerne mit Monumental-Fotografien des Gebäudes in seinem restaurierten Idealzustand. Von der Ferne schaut das dann von Anfang an aus wie fertig, und nur wer versucht, eine der aufgescannten Türen zu öffnen oder an ein Fenster in Parterre zu klopfen, wird herb enttäuscht.

Ansonsten bieten diese perfekten Architektur-Illusionen einen wundervollen Ausblick auf das, was mal war und bald wieder kommt. Oder eben auch unwiederbringlich dahin ist und nunmehr für einen Augenblick zu einer vorgegaukelten Realität wird.

In Fürth hat man im Rahmen der Feierlichkeiten zum 175-jährigen Jubiläum der Eisenbahn gerade einen 1938 abgerissenen Bahnhof als fotografiertes Gehäuse wieder aufleben lassen. Da steht er nun, wo er ab den 1880er-Jahren schon stand, genau an der Stelle, wo einst der „Adler“, die erste deutsche Eisenbahn, von Nürnberg kommend seine Endstation hatte.

Die Fürther Freiheit ist sonst übers Jahr eine öde Freifläche, die höchstens von ein paar Marktständen und vielen parkenden Autos belegt wird. Im Herbst macht sich hier die Kirchweih breit mit modernen Fahrgeschäften, denen gegenüber sich die die erste Eisenbahn sicher wie eine Modell-Niedlichkeit ausnehmen würde.

In die Attrappe, die Sandstein und roten Klinker vortäuscht, wird aber nie ein Zug dampfen, durch die Plastiktüren nie ein Reisender hasten: Die bunte Konstruktion hat allein die Funktion, Erinnerungen an eine Zeit wach zu rufen, die anscheinend gut war und doch nie mehr kommt. Denn seltsam putzig macht sich der Ludwigsbahnhof nun hier aus, wie ein nutzloses Spielzeug, hinter dem der Klotz eines Kaufhauses wie aus einer anderen Welt in die Luft ragt. Das war mal die „Quelle“, die freilich ebenso ausgedient hat wie der Stolz der Fürther, in der „Ankunftstadt“ der ersten deutschen Eisenbahn zu leben. In zwei Wochen werden die Fassaden wieder eingerollt.

Dieser Rekonstruktion wird nie ein Neubau folgen. Doch auch hier geht es um Geschichtsbewusstsein, nostalgische Rückwärtsgewandtheit und den Schein einer besser geglaubten Historie. Die Verpackung bestimmt das Bewusstsein.

Auf die Idee aber, die Illusion zum Dauerzustand zu erheben, ist noch niemand verfallen. Warum eigentlich nicht? Wenn sich erstmal Planen gegen Planung durchsetzen sollten, weil das zweifellos billiger kommt als eine komplette Restaurierung oder ein neues Haus, würden sich spannende Chancen für die Städte ergeben. Alles ist fotografisch möglich, nichts muss von Dauer sein, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Historische Bauten können Rundreisen durch Deutschland antreten und auf jeder hässlichen Freifläche aufgestellt werden: Neuschwanstein als Fototapete am Elbufer, die Frauenkirche auf der Theresienwiese, der Kölner Dom auf dem Kreidefelsen – warum nicht? Jeder Bürger hat das Recht auf ein imposantes Kunstwerk vor seiner Haustür. Und innen drin kann guten Gewissens alles hohl bleiben …

 

Deutschlandfunk, 13.8.2010