Berliner Stadtschloss: Seid begeistert!

Berliner Stadtschloss: Seid begeistert!

Das geplante Humboldt-Forum in Berlin wird viel besser, als die meisten glauben.

© dpa

Die Illustration des Berliner Stadtschlosses an der Fassade der „Humboldt-Box“ in Berlin.

Was so lange debattiert worden ist wie das Berliner Schloss und die Frage, was da nun rein soll, das geht im Auf und Ab unserer launischen Neugier irgendwann allen auf die Nerven und hat es schwer, noch Begeisterung auszulösen. Nicht schon wieder eine Meinung zum Schloss! In der Tat ziehen sich in diesem Fall die Mühen der Ebene endlos dahin. Aber so ist das mit Jahrhundertprojekten: Sie treten nicht wie Athene in voller Rüstung aus der Stirn des Zeus, sondern sind häufig eine schwere Geburt.

Doch wäre es jetzt an der Zeit, die mühevolle Vorgeschichte zu den Akten zu legen und zu erkennen, was für eine Chance sich für Deutschland da auftut: Am zentralen Ort der Republik wird ein Museum entstehen, das das Zeug dazu hat, zu den aufregendsten seiner Art zu werden! Ein Museum, das mit seinen Exponaten und den Geschichten, die sich damit erzählen lassen, mitten hineintrifft ins Herz der Gegenwart, das ästhetischen Genuss und Welterkenntnis zusammenführt und ein Bild unserer vernetzten Weltgesellschaft entwirft – nicht als multikulturelle Phrase, sondern in überwältigender Anschaulichkeit. Kurz, ein Museum von großer Strahlkraft, das unseren ganzen Enthusiasmus verdient.

Warum aber fehlt es im Moment noch an diesem Enthusiasmus? Drei Institutionen werden das Humboldt-Forum, also die Räume des rekonstruierten Preußenschlosses, bespielen: die Humboldt-Universität mit ihren wissenschaftshistorischen Sammlungen, die Landesbibliothek Berlin und, als das Herzstück, die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, die beide in den vergangenen 60 Jahren eine Randexistenz in Dahlem gefristet haben. Der Wert dieser Sammlungen und was man mit ihnen museumspolitisch machen kann, wird von der Öffentlichkeit leider völlig unterschätzt. Das hat Gründe. Es ist nämlich der Eindruck entstanden, die Entscheidung, die außereuropäischen Sammlungen im Schloss unterzubringen, sei ein ideologischer Kompensationsakt, eine Art symbolpolitische Bußübung. Nachdem der beschlossene Wiederaufbau des Schlosses aus dem 18. Jahrhundert dem – unsinnigen – Verdacht ausgesetzt war, eine retro-nationale Schlagseite zu haben, habe man die Gemüter durch einen fortschrittlich-weltoffenen Inhalt beruhigen wollen: außen Preußen, innen Kosmopolitismus.

Das ist natürlich Humbug – und zwar in doppelter Hinsicht. Das Hohenzollernschloss, das die DDR in einem talibanhaften Anfall von Kulturvandalismus 1950 sprengen ließ, braucht kein Feigenblatt, es war historisch immer schon der Ort, an dem Preußen die Früchte seines wissenschaftlich-ethnologischen Entdeckergeistes stolz zur Schau stellte. Noch entscheidender: Die außereuropäischen Sammlungen, die Berlin dank seiner wissenschaftlichen Vorreiterrolle im 19. Jahrhundert besitzt, sind allerersten Ranges. Sie sind keine Notlösung, sondern haben tatsächlich das Potenzial, die 20.000 Quadratmeter Geschossfläche im Humboldt-Forum mit Leben und Geist zu füllen.

Ein weiterer Einwand, der von der Fraktion der Verzagten und Mürrischen vorgetragen wird, lautet: Natürlich sind die außereuropäischen Sammlungen toll, aber wie soll sich das mit der feudalen Fassade des Schlosses vertragen? Zugegeben, rein museumspraktisch hätte ein Neubau an dieser Stelle die Gelegenheit gegeben, eine Architektur zu entwerfen, die genau auf die Bedürfnisse der Sammlungen abgestimmt ist. Jetzt müssen sich die Kuratoren und Szenografen nach der Decke strecken, weil Raumaufteilungen und Geschosshöhen zu einem großen Teil durch die Struktur der Fassade vorgegeben sind.

Aber der Einwand zielt vor allem auf einen ästhetisch-ideologischen Kern: die Diskrepanz zwischen innen und außen. Die erbittertsten Gegner des Humboldt-Forums – die sich in dem Protestkollektiv »Alexandertechnik« zusammengetan haben – halten es für eine geschichtsmoralische Geschmacklosigkeit, dass die außereuropäischen Kulturen hinter der Fassade jenes ancien régime präsentiert werden, das sie seinerzeit kolonisiert habe.

Diese Position, zu Ende gedacht, würde allerdings auf eine Komplettrevision der Weltgeschichte unter dem Maßstab der Moral der Gegenwart hinauslaufen. Alle Artefakte müssten an den Ort ihrer ursprünglichen Herkunft zurückkehren, damit die Wunden der Geschichte wieder heilen könnten. Ein solches Geschichtsbild verklärt die Unschuld der Ursprünge. Trotzdem sind diese Fragen wichtig, denn sie machen ethnologische Museen zu Orten, an denen Fragen von Aneignung, kulturellem Austausch, Abwertung und Verklärung des Fremden und insgesamt das Verhältnis zwischen the west and the rest in paradigmatischer Weise diskutiert werden. Auch das Humboldt-Forum wird deshalb mit den Exponaten zugleich die Geschichte ihrer Erwerbung erzählen. Denn jedes Objekt, das man in einem westlichen Museum zeigt, hinterlässt eine exakt so große Lücke am Ort seiner Herkunft. In Berlin kann man die Buddha-Darstellungen der berühmten Turfanexpeditionen zwischen 1902 und 1914 sehen, die buchstäblich aus der Felswand herausgemeißelt worden waren und heute den Besucher vor Ort als klaffende Wunde anstarren.

Deshalb bleibt den ethnologischen Museen – auch wenn der Erwerb ihrer Exponate rechtlich einwandfrei war – nichts anderes übrig, als mit den sogenannten source communities in ein Gespräch zu kommen, denn es wäre ja völlig absurd, die Kultur eines Stammes abzubilden, ohne deren lebende Vertreter einzubeziehen. Das alte Prinzip der Völkerkundemuseen, about them without them, geht nicht mehr. Damit löst sich aber auch die Unterscheidung von Kunstwerk und ethnologischem Artefakt weiter auf: Warum soll eine Kultur nur durch Baströckchen und Masken, die im 19. Jahrhundert erworben wurden, präsentiert werden, wenn es aus dieser Kultur auch zeitgenössische Künstler gibt, die man ausstellen kann? Ethnologische Sammlungen konfrontieren mithin alle Beteiligten mit Identitätsfragen und zwingen zu produktiver Selbstreflexion.

In einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert werden Sammlungen gezeigt, die zum großen Teil im 19. Jahrhundert erworben wurden, um ein Museum für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Ist das zu heterogen, um erfolgreich sein zu können? Geschichte ist auch immer eine charmant-unordentliche Gerümpelkammer, die kein Innenarchitekt einheitlich getrimmt hat. Alles aus einem Guss wäre zu steril. Eine Kongruenz zwischen innen und außen ist ohnehin nicht der Normalfall der Kulturgeschichte: In griechischen Tempeln sind christliche Kirchen, in der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts wird die Kunst des 21. Jahrhunderts gezeigt. Zugegeben, wer je vor dem rekonstruierten Braunschweiger Stadtschloss stand, um, kaum hat er die Fassade hinter sich gelassen, vom Einheitslook der H&M-Läden und Body Shops umgeben zu sein, der weiß, dass das auch ins Auge gehen kann. Aber eine Fürstenresidenz zum Konsumtempel umzufunktionieren, plant Berlin ja nicht.

Nun eröffnet in Berlin die Humboldt-Box, die einen Vorgeschmack auf die Schätze geben wird. Was jetzt noch fehlt, ist Enthusiasmus. In Paris hat sich Jacques Chirac mit dem ethnologischen Musée du quai Branly verewigt. Vielleicht braucht das Humboldt-Forum auch einen machtvollen Fürsprecher? Es wäre ein Projekt, das jedenfalls gut zur Handschrift des Bundespräsidenten Christian Wulff passen würde.

www.zeit.de am 29.6.2011, Textvon Ijoma Mangold

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