13.06.13
INITIATIVE EINES HAMBURGERS
Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist ein großer Erfolg für den Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien. Er ist die Schlüsselfigur im Ringen um den Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz.
Von Rainer Haubrich
Berlin. Der Grundstein für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses ist gelegt. Nach zwei Jahrzehnten des Streits scheint dieses bedeutende Kulturprojekt Deutschlands zu Beginn des 21. Jahrhunderts keine großen Debatten mehr auszulösen. Das Berliner Schloss kehrt als Humboldt-Forum ins Herz der Hauptstadt zurück, und vielen kommt es inzwischen schon so vor, als hätte es nie anders sein können.
Doch wer ein wenig mit der Vorgeschichte dieses Projektes vertraut ist, dürfte sich daran erinnern, wie lange es gedauert hat, bis die anfangs noch wahnwitzig wirkende Idee eines Wiederaufbaus breite Unterstützung fand, bis der Deutsche Bundestag im Juli 2002 mit großer Mehrheit den entsprechenden Beschluss fasste, und bis nach vielen politischen, finanziellen und juristischen Problemen die letzten Hürden aus dem Weg geräumt waren.
Die Schlossbefürworter wollen sich lieber nicht vorstellen, wie diese Geschichte ohne das Engagement des Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien ausgegangen wäre. Er ist die Schlüsselfigur im Ringen um den Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz. Keiner hat so lange, so hartnäckig, so leidenschaftlich, so gewitzt für die Rekonstruktion des Berliner Schlosses gestritten wie der heutige Geschäftsführer des Fördervereins.
Schon lange vor dem Fall der Mauer interessierte sich Wilhelm von Boddien für die Geschichte des monumentalen Barockbauwerkes. 1992 gründete er den Schlossverein, dessen einziges Ziel damals die Errichtung der spektakulären Attrappe ein Jahr später war, dieser zauberhaften Fata Morgana, die wesentlich dazu beigetragen hat, in der Bevölkerung einen Stimmungsumschwung zugunsten des Wiederaufbaus einzuleiten. Es war auch von Boddiens Verein, der die Anfertigung der zentimetergenauen Fassadenpläne finanzierte, die zur Grundlage des Architektenwettbewerbs wurden – wo dies doch die Aufgabe des Bauherrn, also des Bundes und Berlins, hätte sein müssen.
Wilhelm von Boddien ist ein großer Kommunikator. Auf Podien hat er gesessen, unzählige Vorträge im In- und Ausland gehalten, so locker und entspannt, dass nie der Eindruck entstand, hier kämpfe ein von der Gegenwart Enttäuschter verbissen um ein Stück Restauration. Mit seiner Überzeugungskraft hat er die Zuhörer begeistert, mit seinem Charme manch älterer Dame einen Scheck in Millionenhöhe entlockt. Und von Boddien hat die Fähigkeit zur Pointe. Den Vorschlag, lediglich eine große Bibliothek am Schlossplatz anzusiedeln, bürstete er mit der Bemerkung ab, Berlins Mitte solle doch bitte kein „Groß-Tübingen“ werden. Mit taktischem Geschick plante er die Schritte seiner Kampagne, diskret knüpfte er Verbindungen in die Politik.
Den Skeptikern und Zauderern war von Boddien immer einen Schritt voraus, mit einer Mischung aus Bodenständigkeit und Wahnsinn hat er sie schließlich mitgerissen. Als man sich die Wirkung des historischen Schlosskörpers nicht vorstellen konnte oder wollte, plante er mit seinem Freund Goerd Peschken, dem Schlossforscher, die Installation der Attrappe. Peschken verstand seine Idee eher als eine künstlerische Intervention im Stadtraum, mit der für eine Verbindung von Palast der Republik und Schloss geworben werden sollte. Aber von Boddien erkannte, welches prächtige Argument für den Barockbau des Architekten Andreas Schlüter diese Attrappe sein würde, organisierte Spenden für deren Realisierung und ging in letzter Minute als Privatmann erhebliche Risiken ein, um sie auf jeden Fall möglich zu machen.
Als Kritiker behaupteten, eine seriöse, originalgetreue Rekonstruktion der Fassaden sei technisch unmöglich, stiegen er und seine Mitstreiter in die Archive, sammelten Planunterlagen, fanden verschollen geglaubte Messbildfotos und Detailzeichnungen, und von Boddien finanzierte mit seinem Verein ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität Berlin, das anhand eines Fassadenabschnitts exemplarisch zeigte, wie sich aus allen verfügbaren Informationen eine präzise Bauzeichnung fertigen lässt.
Es fällt einem kaum ein anderes Projekt dieser Bedeutung in Deutschland ein, bei dem sich eine so kleine Schar passionierter Bürger gegen eine anfangs so ablehnende öffentliche Meinung durchgesetzt hat. Als durchgedrehte Kleinbürger, als preußenselige Reaktionäre oder Träumer hatte man sie abgetan. Die Publizisten Joachim Fest und Wolf Jobst Siedler bereiteten mit ihren großartigen Essays publizistisch den Boden, aber die wichtigste treibende Kraft über all die Jahre der hin- und herwogenden Schlossdebatte war Wilhelm von Boddien.
Deshalb musste er für alle, die sich im Herzen Berlins ein vollkommen neues, durch und durch zeitgenössisches Bauwerk gewünscht hätten, zu einem roten Tuch werden – zum „Schlossgespenst“. Einige Schlossgegner investierten viel Zeit und Energie, um den Hanseaten zu diskreditieren, ihm unsaubere Vereinsarbeit oder finanzielle Unregelmäßigkeiten nachzuweisen. Aber bis auf Petitessen wurden sie nicht fündig.
Zuletzt hielt man ihm nur noch vor, dass er ja „erst“ 20 Millionen der versprochenen 80 Millionen Euro für die Rekonstruktion der barocken Fassaden gesammelt habe. Dabei ist das mehr, als die Dresdner beim Baubeginn der Frauenkirche beisammen hatten – und in Berlin gab es bis zum Sommer 2011 nicht einmal einen verlässlichen Baubeschluss. Seitdem er vorliegt, steigt das Spendenvolumen um ein Vielfaches an. Wenn es so weitergeht, könnte von Boddien sein Versprechen schon zur geplanten Eröffnung des Humboldt-Forums im Jahre 2019 einlösen.
Bei allen Erfolgen hat von Boddien immer davor gewarnt, zu früh zu feiern. Auch seinen runden 70. Geburtstag im vergangenen Jahr hat er nicht groß gefeiert. Das hebe er sich auf für den Zeitpunkt, wenn es beim Schloss „konkret etwas vorzuzeigen“ gebe. In vier Jahren, zu seinem 75. Geburtstag, müsste der gewaltige Kubus des Humboldt-Forums schon weit über den Rohbau hinaus sein. Dann wird sich wohl ein Saal finden lassen, um Wilhelm von Boddien groß zu feiern.
Quelle: Hamburger Abendblatt 13.06.2013
Die Wiederherstellung dieses einzigartigen historischen Wahrzeichen Berlins befürworte ich. Nur der Plan, die Spreefassade nach den Entwürfen von Stella im brutalistischen „Stil“ zu bauen, nagt an meiner Seele.
Die Wiederherstellung dieses einzigartigen historischen Wahrzeichens von Berlin befürworte ich. Nur der Plan, die Spreefassade nach den Entwürfen von Stella im „brutalistischen“ Stil zu bauen, nagt an meiner Seele.
Berlin bekommt seine Seele wieder. Aber warum muß nun die eine Seite des Schlosses eine Ungestalt annehmen? Um den Befürwortern eines modernen Baues wenigstens ein kleines Bonbon hinzuwerfen? Hier hätte man nun auch noch die letzte Meile des langen Weges gehen sollen, um das Gesamtkunstwerk wiederherzustellen, das so ein Torso bleibt mit einem ewig schmerzenden Dorn in der Seite.
Ein sehr wahrer Artikel! Man darf den Hut vor Wilhelm von Boddien ziehen, vor dieser Lebensleistung. Ich finde die Spreefassade in „modern“ gerade aus historischen Gründen wichtig.