LEITARTIKEL ZU FINANZAUSGLEICH UND STADTSCHLOSS
Die Deutschen von Passau bis Bargteheide haben ein Recht und eine offensichtlich große Lust, Berlin als ihre Stadt zu betrachten und hier mitzureden. Es geht also in Ordnung, wenn der Bundestag der Stadt ein Schloss verordnet.
Je mehr Berlin aus dem Schatten seiner sprichwörtlich gewordenen Armut tritt, umso mehr fällt mit dem Licht auch der Neid auf die Stadt. Die Lobgesänge auf Berlin halten sich mit dem scharfem Tadel die Waage. Wird von den einen die Stadt zum Sehnsuchtsort verklärt, geht sie den anderen umso gehöriger auf den Wecker. Vor allem denen natürlich, die für den neuen Glanz der Hauptstadt bezahlen müssen, den anderen Bundesländern.
Genau genommen, sind es zwar nur noch Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die im Länderfinanzausgleich zu den Gebern zählen, aber die anderen könnten ja noch mehr aus dem Süden bekommen, wenn nicht das verdammte Berlin wäre.
Altkanzler Helmut Schmidt, dessen Heimat Hamburg inzwischen selbst zum Nehmerland geworden ist, droht: „Die Großartigkeit, mit der in Berlin das Geld anderer ausgegeben wird, ist phänomenal. Ich prophezeie, dass das nicht mehr lange so weitergehen wird. Irgendwann haben die anderen die Schnauze voll, dass sie Berlin finanzieren müssen.“
Bund wollte das Schloss
Schmidts Bemerkung fällt in einem ziemlich launigen Gespräch in der „Zeit“ mit der Berliner Architektin Louisa Hutton, in dem es über Architektur und Stadtplanung geht, und sie bezieht sich auf die Rekonstruktion des Stadtschlosses. Beim Schloss, dieser Mischung aus Himmelfahrtskommando und staatlicher Repräsentationsaufgabe, hat aber nicht etwa Berlin den Bund zur Hilfe genötigt, wie Schmidt behauptet, sondern umgekehrt.
Der Bund beschloss den Bau des Schlosses zunächst gegen den Willen der Mehrheit der Berliner und auch gegen den des Berliner Senats. Klaus Wowereit war damals ein erklärter Schlossgegner. Und wo stammt der Anführer jener „Privatleute“ unter den Schlossbauinitiatoren her, die Schmidt als Prototypen der Berliner Verschwendungssucht ins Feld führt? Aus Hamburg. Es ist der ehemalige Bargteheider Landmaschinenfabrikant Wilhelm von Boddien.
Aber diese Details sollten hier nicht dazu verführen, die Berliner Kosten kleinzureden und das Problem vom Tisch zu wischen. Es geht um die Logik der Hauptstadtfinanzierung und deren emotionale Grundlagen im deutschen Gefühlshaushalt.
Berlin kostet die übrigen Länder eine Menge, das ist überhaupt keine Frage. Und mit dem schmerzlichen Geldtransfer finanzieren sie auch noch ihren eigenen Bedeutungsverlust mit. Das gilt insbesondere für Hamburg und München. Die wachsende Attraktivität Berlins stellt die übrigen Großstädte deutlich in die zweite Reihe. Wer redet noch von der heimlichen Hauptstadt, als die sich während der deutschen Teilung München so gerne sah?
Verständlicher Zorn
Der verständliche Zorn auf den Kostgänger Berlin relativiert sich bei vielen Politikern anderer Bundesländer allerdings stets in den Augenblicken, in denen sie sich klar darüber werden, in welch hohem Maße Berlin auch ihre Stadt ist. Und diese Augenblicke sind gar nicht so selten, wie man an den tatsächlich großen finanziellen Opfern absehen kann, die die Deutschen beispielsweise für die vielen Museen des preußischen Kulturbesitzes leisten. Oder für das Stadtschloss, das eben keinem Berliner Spleen entspringt, sondern einem nationalen.
Die Deutschen von Passau bis Bargteheide haben ein Recht und eine offensichtlich große Lust, Berlin als ihre Stadt zu betrachten und hier mitzureden. Insofern geht es völlig in Ordnung, wenn der Bundestag der Stadt ein Schloss verordnet, gegen das kommunalpolitisch eine Menge einzuwenden ist.
Berlin gehört den Berlinern viel weniger als etwa München den Münchnern. Die Inbesitznahme der Hauptstadt als Heimat ist eines der Hintergründe des enorm gestiegenen Berlin-Tourismus. Die aus dem Inland kommenden Besucher fühlen sich hier nicht einfach zu Gast, sondern in Teilen auch zu Hause.
Es sind ihre Politiker, denen sie in der Reichstagskuppel aufs Dach steigen. Sie schauen sich an, wen sie gewählt und was sie bezahlt haben. Es ist ihre Stadt. Auch historisch gesehen. Berlin ist seit 1871 für die Deutschen weit schicksalhafter als Hamburg oder Frankfurt. In dieser Prägung liegen die mentalen Hintergründe der Verantwortung, die das Land für seine Hauptstadt aufbringt.
Den mit der praktischen Hauptstadtexistenz einhergehenden Souveränitätsverlust der vereinten Stadt haben einige Berliner noch nicht ganz verkraftet. Weshalb die Schwabendebatte in der Stadt gerade als Realsatire exerziert wird. Hier hat Berlin noch einiges zu lernen. Provinz ist Berlin ja nur deshalb nicht, weil die anderen Provinzen hier zu Hause sind. Den Identitätswächtern vom Prenzlauer Berg fällt das ähnlich schwer zu akzeptieren wie dem großen Kanzler der Bonner Republik.
Quelle: Frankfurter Rundschau 09.02.2013, Autor Harald Jähner, Ressortleiter Feuilleton