„Ausstellung zum Republikpalast – Als der Volkswille den Parkplatz wählte“

19.05.2024 – Frankfurter Allgemeine Zeitung

Von Andreas Kilb

Der Palast der Republik war ein Symbol der DDR. Sein Abriss erregte die Gemüter in Ost und West. Das Humboldt-Forum, das an seine Stelle trat, widmet ihm jetzt eine Ausstellung.

Berlin-Mitte, irgendwann in den Achtzigerjahren. Ein Wintertag. Auf einem großen Parkplatz fährt ein dunkler BMW in die Lücke zwischen zwei hellere Autos der Marke „Trabant“. Die Wagentüren öffnen sich, zwei Männer in dicken Jacken steigen aus, und als die Kamera heran­zoomt, erkennt man, dass der eine um die vierzig, der andere etwas jünger ist. Sie laufen auf ein Gebäude im Vordergrund zu, das nicht zu sehen ist, weil es sich ebendort befindet, von wo sie gefilmt werden. Es ist der Palast der Republik.

In der Ausstellung „Hin und weg“, mit der das Humboldt-Forum an den verschwundenen Republikpalast erinnert, gibt es zahlreiche Erinnerungsstücke materieller und medialer Art, aber nur wenige, in denen die Atmosphäre der Jahre bewahrt ist, in denen der Palast den Zwecken diente, für die er erbaut worden war. Eines davon ist der kurze Clip aus ei­nem Überwachungsfilm der Staatssicherheit, der auf einem Monitor neben den Vitrinen mit Ess- und Kaffeegeschirr aus den Palastrestaurants läuft.

Die Nutzung hatte sich erledigt

Der stille Horror, den die Stasi-Bilder ausstrahlen, kommt nicht nur daher, dass sie schwarz-weiß sind, er hat auch mit ihrer Form zu tun: Der Zoom ist manuell, nicht automatisch, offenbar wurden die an der Fassade aufgehängten Kameras rund um die Uhr bedient. Die Bewegungen der beiden Männer wiederum haben eine gewisse Ge­hemmt­heit, die verrät, dass sie ahnen, sie werden gefilmt. Der Clip ist ohne Ton, aber wer damals in Berlin war, weiß noch genau, wie es sich anhörte, anfühlte und wie es roch – ein Wintertag, irgendwann in den Achtzigerjahren, in der Hauptstadt der DDR.

Der Palast, an dessen Stelle heute das Humboldt-Form steht, verschwand nicht klaglos: Um seinen Abriss wurde erbittert gestritten. Die Spuren dieser Debatte versucht die Ausstellung ebenso freizulegen wie die Spuren des Gebäudes selbst, und manchmal wird ihr Geschichtseifer dabei zur Donquichotterie. So kann man an einer Besucherstation darüber abstimmen, ob der Republikpalast „weiter genutzt“ hätte werden sollen oder nicht. Ebendiese Frage haben die Abgeordneten des Deutschen Bundestages seinerzeit mit überwältigender Mehrheit verneint. Sie hätten in Wahrheit auch gar nicht anders entscheiden können, denn die Nutzung, für die der Palast errichtet worden war, hatte sich mit dem Ende der DDR erledigt, und eine andere gab es realistischerweise nicht.

Ein Symbol staatlicher Lebenslügen

Geschichtsausstellungen haben den Vorteil, dass sie ihren Gegenstand, eben weil er historisch ist, aus dem Gezänk der Gegenwart heraushalten können. In diesem Sinn ist die Schau im Humboldt-Forum, wie es auch ihr Untertitel verspricht, keine Geschichtsausstellung. Sie gehört zu einem Genre, das man kuratierte Nostalgie nennen könnte. Was aus dem Strudel des Untergangs gerettet werden konnte, wird hier präsentiert: Teile der „Gläsernen Blume“, der Hauptattraktion des Pa­last­foy­ers, das Rednerpult aus dem Volkskammersaal, stählerne Eisbecher, eine Paris-Statuette nach Rudolf Schadow aus dem VEB Lauchhammerwerk, Gemälde von Willi Sitte, Walter Womacka und anderen DDR-Malern, Stühle, Lampen, Tassen, Teller, Tresen. Dazu Fotos und Statements von Zeitzeugen, die um den Palast trauern, wehmütig, zornig, unversöhnt.

Um die historische Dimension des Bauwerks und seiner Zerstörung zu begreifen, muss man den Katalog aufschlagen. Hier wird in wünschenswerter Deutlichkeit gezeigt, warum der Republikpalast das Symbol des Staates war, der ihn erbaute, seiner Lebenslügen und seines Scheiterns. Denn der Komplex, der ab 1973 unter Leitung von Heinz Graffunder auf dem Gelände des gesprengten Berliner Hohenzollernschlosses entsteht, überfordert die Kräfte der DDR von Anfang an.

Um das Vorhaben zu stemmen, dessen Kosten offiziell mit 485 Millionen Ostmark beziffert wurden, in Wahrheit aber wohl das Doppelte betrugen, werden Bauprojekte im ganzen Land zurückgestellt. Das Fassadenglas kommt aus Belgien, die Klimaanlagen aus Österreich, Naturstein aus Schweden, Bulgarien, Jugoslawien und der Sowjetunion, Küchengeräte aus der Schweiz, Rolltreppen, Bowlingbahnen und Bühnenakustik aus der Bundesrepublik. Selbst die 700 Tonnen Spritzasbest, deren Zerfall den Palast am Ende zur toxischen Umgebung macht, werden aus England importiert.

Und auch als fertiges Bauwerk blieb der Palast ein Zuschussgeschäft. Von den hundert Millionen Ostmark, die er jährlich ko­ste­te, konnte er nur ein Drittel erwirtschaften. Die Importgüter, die er vierzehn Jahre lang auf seinen Bühnen und Restauranttischen servierte, gingen auf Kosten der Restbevölkerung. Das integrierte Po­lit-, Konzert- und Gastronomiespektakel hinter den getönten Glasfassaden gaukelte den sechzig Millionen Besuchern ein sozialistisches Paradies vor, das selbst hier in allen Fugen ächzte. Die roten Ledersofas wurden alsbald mit Kunstleder bespannt. Industrieware ersetzte teure Teppichböden. Das Dach blieb bis zuletzt undicht.

Die Zurschaustellung von Widersprüchen

Doch das Publikum strömte ins Schloss der Arbeiter und Bauern. Im Katalog schildert Alfred Hagemann, wie der Plan der Staatsführung, auf dem ehemaligen Paradeplatz vor der Westseite ein Marx-Engels-Forum zu errichten, am Widerstand der SED-Bezirksleitung und der Berliner Oberbürgermeister scheiterte. Ein Denkmal hätte die Freifläche beseitigt, auf der die Palastbesucher ihre Autos abstellten. Die Marx-Engels-Gruppe von Ludwig Engelhardt wanderte auf die andere Seite der Spree, der „Parkplatz der Republik“ blieb erhalten. Die Ideologie beugte sich dem Willen des Volkes, auch wenn die Stasi weiter ihre Kameraaugen offen hielt.

Wer mit der DDR-Chronologie im Kopf durch die Ausstellung läuft, versteht, warum der Palast der Republik nicht zum Symbolbau der Berliner Republik werden konnte – und warum es auch das Humboldt-Forum nicht geworden ist. Denn die Zwangsvereinigung von Volksbespaßung, Massenverköstigung und öffentlicher Politikshow unter einem Dach trägt die Handschrift der Diktatur, nicht der Demokratie. Deren Erkennungszeichen ist die Zurschaustellung von Widersprüchen. Das Humboldt-Forum ist zur Bühne nicht der Preußenfreunde, sondern der postkolonialen Bewegung geworden. Das Einheitsdenkmal vor seinem Westportal wird die Uneinigkeit seiner Erbauer dokumentieren. Und der Republikpalast war nie schöner als in der Erinnerung derer, die ihn heute vermissen. Seine Wiederkehr würde ihren Traum zerstören. Die Ausstellung hält ihn fest.

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.05.2024

2 Kommentare zu “„Ausstellung zum Republikpalast – Als der Volkswille den Parkplatz wählte“

  1. Ich kann dem Autor nur zu seinen Ausführungen zur Palastausstellung im Schloß gratulieren.
    Sie enthielten einige zumindest mir unbekannte Details.
    Ich kann ihm auch zu einem neuen Seitenhieb auf das Humboldt-forum gratulieren.
    „Das Humboldt-Forum ist zur Bühne nicht der Preußenfreunde, sondern der postkolonialen Bewegung geworden“
    Diesen „Schloßfreunden“ fallen immer wieder neue Absurditäten ein.
    Da hat sich Bolle doch köstlich amüsiert.

  2. Ganz toll diese marxistische postkoloniale Bewegung… Super! Alle Museumstücke sollen zügig zurück in die Dritte Welt geschickt werden. Somit schaffen wir viel, viel Platz für die rekonstruierte Barock- und Rokoko-Prunkzimmer. Wir können sogar viele Kommunisten-Künstler nach Afrika mitschicken, damit diese Erbärmlichen dort (vielleicht) endlich lernen, ihre alte Heimat und Kultur zu schätzen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Danke Dir, Frank!

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