„Der Schlüterhof zeigt brutal die ganze architektonische Problematik des Schlossneubaus“

21.08.2018  Berliner Zeitung

 

Von Nikolaus Bernau

Der Schlüterhof zeigt brutal die ganze architektonische Problematik des Schlossneubaus. Gestatten Sie einen Ratschlag:

Wenn Sie am Wochenende auf die Baustelle des Humboldt Forums gehen sollten, die langgestreckte Passage zwischen Lustgarten und Schlossplatz passiert haben und durch den lukenartig engen Durchgang in den „Schlüterhof“ gelangen, sehen Sie geradeaus.

Gehen Sie – weiter stur nach vorne sehend – seitwärts in die Nordwest- oder Südwest-Ecke dieses Hofes und sehen Sie dann nach Nordosten oder Südosten. Das ist etwa die Perspektive, die der Maler Eduard Gaertner in der Mitte des 19. Jahrhunderts für seine Schlosshof-Gemälde eingenommen hat, das ist die Sicht, die die Kunstpostkarten der 1920er-Jahre zeigen.

Um 1700 entstand dieser Raum wohl auf der Grundlage von Entwürfen des schwedischen Architekten Nicodemus Tessin d. J., die Andreas Schlüter zum höheren Ruhm des Hauses Hohenzollern überaus dramatisiert hatte.

Seit dem späten 19. Jahrhundert galt dieser Raum als einer der bedeutendsten architektonischen Kompositionen des deutschen und des europäischen Barock, in einer Linie stehend mit den großartigen Stadtpalazzi in Rom, Neapel und Genua, dem großen Hof des Pariser Louvre. Doch tatsächlich, das zeigt nun der wiederentstandene Hof viel deutlicher als all die Fotos, Gemälde und Modelle, verwendet dieser Schlosshof zwar italienische Formen. Aber letztlich ist er mit seinen Galerien, Balkonen und Altanen, von denen aus Turniere beobachtet werden konnten, doch ein ganz und gar nordosteuropäisches Geschöpf, weist eher zu den Schlössern in Dresden oder Krakau.

Also bewundern Sie von hier aus die in den so schnell vergangenen fünf Jahren – länger ist es nicht her, dass diese Baustelle eröffnet wurde – nachgeschöpfte Architektur Schlüters, den reichen Gesims-, Balustraden- und Säulenschmuck, die Details, die die Bildhauer der Schlosswerkstätten mit teilweise berückender Kunstfertigkeit neu geschaffen haben. Dieser Nachbau kommt weitgehend ohne Originalbauteile aus, und angesichts der Erfahrungen, die am Portal V und im Eosander-Hof zu sehen sind, wo in all dem Nachgebauten klein wirkende, graue Steinflecken die Präzision des Nachschöpfung belegen sollen, kann man nur sagen: Wie gut, dass im Schlüterhof nicht vergleichbar gehandelt wurde. Diese Werkstücke sind viel zu kostbar, um nur als Beweis für heutige Leistungsfähigkeit herhalten zu müssen – sie sollten bei nächster Gelegenheit wieder ausgebaut und in eine gute Museumsinstallation eingebracht werden.

Zumal die handwerkliche Leistung beeindruckend ist. Allenfalls, dass manche Kante, manche Rundung und Kurve der Profile, der Skulpturen zu scharf erscheint, zu schnell. Aber das wird sich mit der Zeit wegschmutzen, wegbrechen. Und sicher, kommende Generationen werden genau sehen können, dass diese Skulpturen von modernen Bildhauern geschaffen wurden, werden erkennen, was an ihnen barock und was 21. Jahrhundert ist.

Stella hat kein Gefühl für barocke Architekturmethodik

Kein Künstler kann seinen ästhetischen Erfahrungen aus Filmen, Reisen, Werbung oder Büchern entkommen, sie drängen sich auch bei bester Gegenkontrolle durch Kommissionen mit Büchern und Fotos in der Hand immer wieder in das eigene Werk. Doch wir Zeitgenossen dieses Nachbaus, wir dürfen uns wenigstens eine kurze Zeit lang der Illusion erfreuen, dass Nachschöpfungen möglich sind – haben wir doch die gleichen ästhetischen Erfahrungen, eine ähnliche Idee davon, wie Barock aussehen sollte.

Unerfreulich dagegen sind die harten Oberflächen der nur aus den Stein gefrästen Säulenkörper und Gesimse, der Architekturdetails insgesamt, soweit sie nicht in den Randbereichen von Basen und Kapitellen durch Bildhauer nachgearbeitet wurden. Hier sieht man deutlich: Das ist eben keine Handarbeit wie im 17. und 18. Jahrhundert, sondern industriell gefertigt, glatt, kalt, ohne Schattenspiel und Leben. Sehr bedauerlich, zumal sich nun der Blick auf die vierte Seite des Hofes lenken muss, diejenige, die von Franco Stella entworfen wurde. Wenden Sie sich also um, oder gehen Sie in die Mitte des Hofes, um dieses große barocke Theater mit der neuen Westwand zusammen zu sehen, die nach den Plänen Franco Stellas entstand.

Es zeigt sich hier noch mehr als an der umstrittenen Ostfassade, dass Stella wenig bis gar kein Gefühl für barocke Architekturmethodik hat, für die Kraft, die sinnliche Gewalt, die in den Gesimsen, den Gebälken und Säulen Schlüters. Stellas wesentliches Ziel ist, diesem Rausch einen „ruhigen“ Fond zu geben. Tatsächlich aber drängt sich seine nüchterne Rasterarchitektur mit ihren immer gleichen 17 Achsen vor, zwingt sogar den Eindruck der angrenzenden Teile des Barock-Nachbaus ins Rasterhafte.

Diese Stella-Wand ist ein brutalistischer Widerpart der Schlüter-Wände, der Versuch, eine durch und durch vom höfischen Zeremoniell und von der breiten Geste des Barock geprägt Architektur zu disziplinieren, einzupferchen, zu kategorisieren und zu geometrisieren.

Selbst die Neurenaissance, mit der im späten 19. Jahrhundert der Flügel zwischen den beiden Schlosshöfen verkleidet worden war, haben das Pathos Schlüters mehr respektiert als diese Scheinneutralität. Es sei versprochen, dass es heftige Debatten geben wird, denn selbst wenn man Nachbauten grundsätzlich eher kritisch gegenübersteht, hier kommt schnell der Gedanke auf: Je weiter dieser Neubau nach Fotos und Plänen des 1950 zerstörten Berliner Schlosses gedeiht, desto weniger wird nachvollziehbar, warum nur dessen barocke Fassaden und die massige spätklassizistische Kuppel inklusive Triumphkreuz, nicht aber auch seine für die Gesamtwirkung der Anlage so zentralen Renaissanceteile wiedererstanden, stattdessen hier „moderne“ Formen eingesetzt wurden.

Zumal auch diese nicht zeitgenössisch sind, sondern die Paraphrase eines abgelebten italienischen Rationalismus der 1930er-Jahre und seiner 1980er-postmodernen Renaissance. Was denken Sie über einige Kratzmalereien auf diesen Wänden wie im Dresdner Schlosshof, oder eine Lüftelmalerei nach Bayrisch-Tiroler Vorbild?

 

 

Quelle: Berliner Zeitung, 21.08.2018

 

3 Kommentare zu “„Der Schlüterhof zeigt brutal die ganze architektonische Problematik des Schlossneubaus“

  1. Ja, der Herr Bernau mal wieder, der sich am Schloss abarbeitet… Sitzt der Frust wirklich so tief bei ihm? Das Schloss fügt sich an diesen Ort einmalig ein. Jedes andere „moderne“ Gebäude könnte diesem nicht das Wasser reichen.

  2. Ich darf noch 2 große Schweden nennen: Carl Wilhelm Scheele (Entdecker des Sauerstoffs) und Johann Friedrich Eosander von Göthe (Schlössbauarchitekt Berlin) – beide sind wie Nicodemus Tessin in jenem Stralsund geboren, welches im bzw. nach dem 30-Jährigen Krieg von Schweden okkupiert und ca. 200 Jahre im Besitz gehalten wurde. Dies bestätigt wieder einmal die Worte von Frau Aydan Özeguz, wonach eine spezifische deutsche Kultur jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar ist.

    1. Danke für Ihren Kommentar, Herr Prange, und daß Sie uns damit an die politisch bzw. ideologisch korrekte Sichtweise erinnern. Das hätte ich ja sonst beinah vergessen.

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