Paul Spies – Dieser Mann soll 4,5 Millionen Berlin-Schätze sortieren

 

Der Holländer Paul Spies übernimmt die Stiftung Stadtmuseum. Am 1. Februar tritt der 55-Jährige offiziell seinen Posten als Direktor an. Ein B.Z.-Interview. 

Von Juliane Primus:

Er ist der neue Mann für Berlins Stadtgeschichte. Der Holländer Paul Spies (55) tritt am 1. Februar offiziell seinen Posten als Direktor für die Stiftung Stadtmuseum an. Auch 4500 Quadratmeter im Humboldtforum soll er bespielen.

Noch ist Spies Chef des Amsterdam Museums. Doch schon jetzt zeigt er in Berlin, wo es langgehen soll. So hat er angekündigt, bis Juli 2016 einen Masterplan für seine Stiftung vorzulegen. Rückenwind bekommt er von Land und Bund: 65 Millionen Euro geben sie für die Modernisierung des Märkischen Museums und des Marinehauses gegenüber.

Herr Spies, können Sie sich an Ihren ersten Berlin-Besuch erinnern?

Oh ja! Über die Kirche hatte meine Familie Kontakt mit DDR-Dissidenten in Eisenach. Wir haben sie mehrmals besucht und fuhren auch nach Berlin. Die Stadt war auf beiden Seiten eine Karikatur. Ostberlin war ziemlich hart und manchmal unangenehm. Der Westen war ein goldener Käfig. Auf dem Kurfürstendamm rasten die großen Autos von einer grünen Ampel zur nächsten.

Und in den letzten Jahren?

Manchmal war ich hier, weil mich ein Museum oder eine Ausstellung interessiert hat. Aber ich muss ehrlich sein: So groß war mein Interesse an der Stadt noch nicht.

Im Sommer klingelte dann Ihr Telefon. Was dachten Sie da?

Erst ging es nur um das Stadtmuseum Berlin. Da dachte ich, naja, so groß ist der Unterschied zu Amsterdam jetzt nicht: Ähnliche Größe, ähnliche Anzahl der Mitarbeiter und wieder mehrere Gebäude. Aber mit dem Humboldt-Forum gab es dann eine Herausforderung für mich.

Was fasziniert Sie an der Geschichte Berlins?

Wenn hier etwas passiert, dann ist es nicht nur bedeutend für Berlin, sondern vielleicht auch für Deutschland, für Europa. Das ist seit dem 19. Jahrhundert so.

Auch im Humboldtforum wollen Sie den Schwerpunkt auf das 19. und 20. Jahrhundert sowie die Entwicklung bis heute legen. Ist es das, was Sie interessiert?

Ich selbst bin Spezialist für das 17. Jahrhundert, das Goldene Zeitalter in Holland sozusagen. Aber die Bedeutung Berlins wird ab dem 19. Jahrhundert immer größer, die Stadt wächst von der Residenzstadt zur Industrie-Metropole. Berlin spielt in der selben Liga wie Paris und London. Es gibt hier in Berlin sehr viele Leute, die sagen: Berlin ist keine Weltstadt. Aber ich sage ihnen von außen: Berlin ist eine Weltstadt.

Das Märkische Museum wird manchmal als Rumpelkammer bezeichnet. Welche der 4,5 Millionen Objekte wollen Sie zeigen?

Meine elfjährige Tochter hat sich richtig gefreut über das Gebäude und die ersten Säle. Aber nach anderthalb Stunden sagte sie: Papa, das ist viel zu viel. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. So geht es auch anderen Besuchern. Klar gibt es Liebhaber, die sagen: Es kann immer noch mehr geben. Aber das hier ist keine Enzyklopädie. Das hier ist ein Museum, eine Gebäude, wo etwas erklärt werden soll.

Was ist Ihr Plan?

Ich will alles von A bis Z aus einem Guss schaffen. Dafür muss man erstmal alles weg denken und mit viel weniger Objekten und einer klareren Linie neu schaffen. Vielleicht muss man auch ein paar Säle wieder so herrichten, wie sie ursprünglich zur Eröffnung vor mehr als 100 Jahren waren. Wie in einer Zeitmaschine.

Ihre Vorgängerin Franziska Nentwig hatte nicht die Millionen zur Verfügung wie Sie jetzt. Ist das Geld der entscheidende Punkt?

Ja klar. Ich habe in dem Sinne jetzt schon mehr Glück, als sie es hatte. Sie hat dafür kämpfen müssen und am Ende hatte sie nicht genug Geld und Möglichkeiten, um ihre Pläne umzusetzen. Das ist auf Dauer ziemlich frustrierend.

Was passiert mit den Plänen wie das Neue Berlin Museum?

Wir dürfen jetzt nicht mehr zurückschauen. Wir haben jetzt die Gelder für das Humboldtforum und für die Restaurierung des Stadtmuseums. Damit können wir jetzt wirklich etwas bewegen. Vielleicht gibt es für unsere Wünsche sogar noch ein bisschen mehr Geld, wenn der Masterplan steht. Jetzt müssen wir erst einmal planen.

Wann treffen Sie sich endlich mit dem Gründungsintendanten des Humboldtforums Neil MacGregor?

Hoffentlich gleich Anfang Januar. Wir haben schon telefoniert und sind uns einig über sehr viel Grundlegendes. Wir wollen das Haus als ein Ganzes sehen und nicht als einen Ort, wo sechs verschiedene Nutzer versammelt sind, kein Betriebsversammel-Gebäude, wie wir in Holland sagen.

Und es wird nicht nur ein Ort für Touristen?

Nein bitte auch für Berliner! Die Leute sollen ihre Geschichten und Erfahrungen einbringen. Aber auf unterschiedliche Art und Weise: Als Tourist hat man wenig Zeit, man muss viel machen während eines Städtetrips. Der Berliner will sich erstmal alles ansehen, aber er will auch wieder kommen und Wissen vertiefen. Dabei werden Partner wie die Humboldt-Uni und die Kunstbibliothek helfen und der Verweis zum Märkischen Museum.

Zurzeit dümpelt das Stadtmuseum bei rund 260 000 Besuchern, davon 45 000 im Märkische Museum. Welche Zahl peilen Sie an?

Wenn alles klappt, haben wir in ein paar Jahren eine halbe Million Besucher an den Standorten des Stadtmuseums, davon allein 200 000 im Märkischen Museum. Das ist aber eine Entwicklung und erst möglich, wenn das Haus neu ausgestattet ist. In den kommenden Jahren können wir experimentieren, aber das wird vielleicht 10 000 Besucher zusätzlich bringen, mehr nicht.

Und im Humboldtforum?

Zählt man das mit, werden es natürlich viel mehr Besucher sein. Es strömen Millionen auf die Museumsinsel, davon wird ein Großteil zu uns kommen. Wie viele Hunderttausende kann ich noch nicht sagen.

Wie lange bleiben Sie?

Ich habe einen Vertrag für fünf Jahre, also bis 2021. Dann ist das Humboldtforum anderthalb Jahr offen. Entweder übergebe ich dann an meinen Nachfolger oder mache weiter. Denn auch das Märkische Museum ist wichtig, das Ephraim-Palais ist wichtig, das Knoblauchhaus ist wichtig, die Nikolaikirche und das Museumsdorf Düppel sind wichtig. Ich weiß nicht, ob man das alles gleichzeitig machen kann, vielleicht brauche ich noch ein bisschen mehr Zeit.

Haben Sie sich schon eine Wohnung gefunden?

Ich gucke mir öfters mal etwas an, aber ich habe noch keine Zeit gehabt, richtig zu suchen. Ich wohne entweder im Hotel oder miete online Privatzimmer. Ab Februar möchte ich dann etwas Festes. Und wenn die Familie nächsten Sommer kommt, müssen wir richtig wohnen.

Warum sprechen Sie eigentlich so gut deutsch?

Noch ist es ja Feriendeutsch. Meine Eltern hatten sich in 70er-Jahren in Österreich ein Appartement gekauft. Ich hatte da einen österreichischen und einen deutschen Freund. In der Schule hatte ich den Unterricht, aber die Übung kam mit den Freundschaften.

Welches Berlin nehmen Sie heute wahr?

Früher war Kreuzberg eine Underground-World, die Linden waren ein toter Streifen. Jetzt hat die Stadt eine Ausstrahlung und viel Wärme. Ich glaube, gerade weil die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges so präsent sind. Der Boden ist schwanger mit Geschichte. In anderen Städten sind Baulücken unsympathisch und Misserfolge von Stadtplanung. Hier gehören sie dazu, Berlin ist eine gelungene Stadt.

 

Quelle: B.Z. Berlin, 08.12.2015

 

 

3 Kommentare zu “Paul Spies – Dieser Mann soll 4,5 Millionen Berlin-Schätze sortieren

  1. Sind denn überhaupt noch ein paar deutsche in kulturellen Führungspositionen? Humboldt – Brite, Stadtmuseum – Holländer. Irgendwie komisch da diese Personen zu der deutschen Kultur niemals den gleichen Bezug haben können und auch diese Stiftungen teils von Steuergeldern finanziert werden!

  2. Ein internationales Museum kann kulturell durchaus von ausländischen Fachleuten vertreten werden..Sie sind bestens präsentiniert das wissenschaftliche Haus mit seinen Exponaten ins rechte Licht zu rücken.

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