Ein Beitrag aus dem Berliner Extrablatt Nr. 102:
Neue Figuren für die Balustraden des Berliner Schlosses
von Bernd Wolfgang Lindemann:
Spätestens seit der Renaissance verlangt ein Gebäude nach Skulpturen – Figuren, Trophäen oder Vasen, eventuell auch Obelisken – als oberster vertikaler Abschluss des Baus, in Fortsetzung der architektonischen Gliederung, gleich, ob es sich hier um Säulen, Pilaster oder Hermenpilaster handelt. Auch das für die Repräsentation der neu erworbenen Königswürde in Berlin notwendig gewordene Schloss rechnete von vornherein mit reicher Zier auf seinen Attiken. Schon auf den Stichen für Deckers Fürstlichen Baumeister ist dies deutlich sichtbar.
Jedoch: Bei der Wiedererrichtung des Berliner Schlosses war vieles gut dokumentiert, durch die wenigen erhaltenen Originale (etwa einige der Figuren des Schlüterhofes) oder durch Photographien – auch wenn man da hin und wieder etwas erstaunt war, wie stark man in der Stadt der Messbildanstalt auf höchst unscharfe Wiedergaben oder Zufallsfunde angewiesen war. Ausgerechnet aber über den Zierrat ganz oben, auf den Balustraden, über den Portalen, wissen wir so gut wie nichts. Die Deckerschen Kupferstiche geben wieder, dass dort etwas vorgesehen war, sind aber keine sichere Quelle über das tatsächliche Programm. Weniges von der ursprünglichen Ausstattung ist erhalten, stark verwittert, ohne Köpfe und Arme. Über die Ikonographie dieser wenigen Torsen lässt sich nur spekulieren, für eine Rekonstruktion der ursprünglichen Ausstattung taugen sie nicht – zumal wir nicht einmal wissen, wo genau sie sich einmal befanden.
Bereits im frühen 19. Jahrhundert war das Schloss seines Balustradenschmucks beraubt, die vielgepriesene Berliner Luft hatte den Skulpturen so zugesetzt, dass deren spärliche Reste schliesslich abgenommen werden mussten. Immerhin wurden sie konserviert, so dass einige von ihnen heute in der Skulpturenhalle des Humboldt-Forums präsentiert werden können. Und trotz ihrer Beeinträchtigung durch Verwitterung und teilweise Beschädigung geben sie noch heute Zeugnis ab für die hohe Qualität, die auch diese Elemente des ursprünglichen Schlossbaus besaßen. Sie sind von erstaunlich zartem Körperbau, feingliedriger als die Skulpturen im Schlüterhof oder des Bildhauers Arbeiten für die Villa Kamecke. Offenbar war hier bereits eine jüngere Bildhauergeneration am Werk, die bereits in Richtung des sich nahenden Rokoko lugte.
Bereits Karl Friedrich Schinkel, Baumeister des klassizistischen Berlins, trat dafür ein, dem Bau erneut Balustradenfiguren zu geben – er plädierte dafür, sich für diese Aufgabe an Andreas Schlüters Formensprache zu orientieren, da er diesen Vorläufer über alles schätzte.
Doch es kam anders: Erst im späten 19. Jahrhundert bekam das Schloss neue Balustradenfiguren, die allerdings bei der Demolierung des Schlosses vollständig verloren gingen und lediglich durch Photographien überliefert sind.
Die Rekonstruktion des Schlosses betraf laut Bundestagsbeschluss die drei barocken Fassaden, den Schlüterhof, die Stellasche Passage mit den barocken Portalen II und IV sowie auch die innere Wiederherstellung des Eosanderportals mit barocken Famen und christlichen Tugenden, letztere ebenfalls aus dem späten 19. Jahrhundert.
Wie nun entscheiden bei den Balustradenfiguren? Die Wiederherstellung des letzten Zustands aufgrund der Photographien wäre möglich gewesen – dem standen aber ästhetische und ikonographische Bedenken gegenüber: Nicht alle dieser Arbeiten entsprachen dem hohen Standard der Bildhauerei ihrer Zeit respektive jenem, der bei der Rekonstruktion des Baus leitend war. Zudem waren sie inhaltlich stark ihrer Zeit verpflichtet, ohne auf den Bau des 18. Jahrhunderts Rücksicht zu nehmen. Dem Autor dieser Zeilen erschienen sie auch ein wenig zu groß dimensioniert.
Nach intensiven Diskussionen wurde entschieden, einen anderen Weg zu gehen. „Moderne“ pseudofigürliche Bildhauerei wie im Falle des Schlosses Charlottenburg wurde abgelehnt, eine Rekonstruktion der ursprünglichen Figurierung des frühen 18. Jahrhunderts war aufgrund der mangelnden Quellenlage nicht möglich – auch die Deckerschen Stiche geben da keine solide Grundlage. Es gab nur eine Lösung: Begabte Bildhauer zu finden, die jetzt nicht etwa Kopien nach Vorlagen (Originale oder Photos) liefern sollten, sondern, wie schon vor 200 Jahren von Schinkel gefordert, Figuren im Geiste Schlüters und seiner unmittelbaren und unbekannten Nachfolger.
Also wurde ausgeschrieben und ein Bewerbungsverfahren initiiert. Erwartet wurden Ideen für neue Figuren, in Orientierung an der Formensprache Schlüters, aber ausdrücklich ohne ikonographisches, inhaltliches Programm (da wir über deren ursprüngliches Konzept nichts wissen). Hauptaufgaben waren eine gelungene vertikale Verlängerung der Architektur über den Portalen I bis II sowie IV bis V sowie über der „Eosanderschulter“ und den Ecken der Westfassade. Als Referenz wurden die wenigen erhaltenen ehemaligen Attikafiguren empfohlen sowie selbstverständlich Werke von Andreas Schlüter selbst sowie von ihm nahestehenden Künstlern. Ausdrücklich ist an dieser Stelle Fabian Hegholz zu danken, der hierzu wichtiges Material beibrachte, nicht zuletzt Photographien der Skulpturen des untergegangenen Schlosses Schlobitten.
Zur Ausschreibung gehörte ein Termin mit Erläuterungen zu den Anforderungen. Die Bildhauerinnen und Bildhauer reichten kleinformatige Modelle ein, die im Humboldt-Forum vorgestellt wurden. Dort wurde entschieden, welchen der Einreicher und Einreicherinnen welcher präzise Auftrag übergeben werden sollte. Alle ausgewählten Modelle wurden bei einem weiteren Termin in der Schlossbauhütte vorgestellt; dort fanden weitere Gespräche mit den Künstlerinnen und Künstlern statt, in denen sie ihre Ideen weiter erläutern konnten.
Auftraggeber und Expertenkommission waren von den vorgeschlagenen Lösungen positiv überrascht: Allen Beteiligten war klar, dass wir hier ein anderes Terrain betreten: Nicht mehr Kopierarbeiten nach Schlüterschen Werken waren gefordert, sondern eigenständig schöpferisch-künstlerische Arbeit auf der Grundlage barocker Vorbilder. Durch ihre jahrelange Beschäftigung mit Kopierarbeiten von Schlüterschen Werken sind die Künstler offenkundig hervorragend in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen.
Wir haben vor uns weibliche und männliche Figuren, als Akte und in Gewandung. Paarweise sind sie einander zugeordnet durch Haltung und Blickrichtung, aber auch der Zusammenhang der jeweils vier über den Portalen projektierten Skulpturen ist gesichert. Wichtig ist ferner der Zusammenhang jeweils der benachbarten Portale an den Süd- und Nordflügeln (Portal 1 und 2 sowie Portal 4 und 5). Besonders spannend wirken die Figuren an der Eosander-Schulter sowie an den Ecken des Westflügels, die wegen ihrer Fernwirkung auf die Straße Unter den Linden und den Schinkelplatz besonders exponiert sind.
Von den kleinformatigen Modellen zu den Entwürfen im Maßstab 1:1 (immerhin um die 3 Meter Höhe) bis zur endgültigen Steinausführung ist noch ein weiter Weg, mit manchen Anpassungen, den zu gehen aber Künstler wie Experten zu gehen sich freuen. Wir dürfen erwarten, dass in wenigen Monaten das wiederaufgebaute Schloss mit diesen Balustradenfiguren im wörtlichen Sinne seinen höchsten Abschluss findet.
Quelle: Berliner Extrablatt Nr. 102, Seiten 8 bis 11
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