Gespräch mit Paul Spies: „Sie sehen, ich bin Optimist“

 

Paul Spies, der künftige Direktor der Stiftung Stadtmuseum, über die Zukunft seiner Häuser und die Pläne für die Berlin-Ausstellung im Humboldt-Forum.

Paul Spies, Jahrgang 1960, übernimmt zum1. Februar die Leitung der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Er folgt auf Franziska Nentwig, die bis Ende 2014 Generaldirektorin der Stiftung war. Der gebürtige Niederländer war zuvor Direktor des Amsterdam Museums. Die Stiftung Stadtmuseum betreibt fünf Museen, darunter auch das Märkische Museum und das Ephraim-Palais, sie ist mit 4 Millionen Objekten das größte Stadtmuseum Europas.

>> Ein Gespräch Christian Schröder

 

Herr Spies, an Ihrem Haupthaus hängt noch immer das Schild „Märkisches Museum“. Könnte da bald etwas anderes stehen, etwa „Berlin Museum“?

Das könnte ich mir vorstellen. Für Touristen, die nach Berlin kommen, ist es nahezu unmöglich zu verstehen, dass das Märkische Museum das offizielle Berliner Geschichtsmuseum ist. In Amsterdam habe ich eine ähnliche Veränderung durchgesetzt und das „Amsterdams Historisch Museum“ in „Amsterdam Museum“ umbenannt. Viele Stadtbesucher dachten, ein historisches Museum ist zu akademisch für mich. Museumsmacher sollten sich aber bemühen, möglichst viele Menschen zu erreichen. In Berlin könnten wir den historischen Namen ändern – doch sicher bin ich mir noch nicht.

Warum?

Weil wir bald eine große Bühne dazubekommen, das Humboldt-Forum. Dort werden wir eine große Berlin-Ausstellung gestalten, sie wird die großen Massen der Berlin-Touristen anziehen, die vielleicht auch die Museumsinsel gleich nebenan besuchen. Ich muss bis Juli einen Masterplan schreiben, in dem ich für jeden Ort eine Zielgruppe benenne. Neben dem Märkischen Museum auch für die Häuser drum herum, Ephraim-Palais, Nikolaikirche, Knoblauchhaus. Es dürfte nicht so schwierig sein, das Märkische Museum noch einmal neu in der Berliner Museumslandschaft zu positionieren. Es gibt eine gleichnamige U-Bahn-Station, der historische Name hat einen Klang, er ist kein unbekannter Begriff. Bisher war nur nicht klar genug, was hier stattfindet. Wir müssen das Gefühl zurückbringen, dass Berliner am Sonntagnachmittag sagen, ich gehe mal ins Märkische. Das Haus muss dringend renoviert werden, die Gelder stehen bereit, und wenn es in ein paar Jahren rundumerneuert dasteht, mit dem Marinehaus als Erweiterungsbau, dann bin ich sicher, dass die Berliner kommen und staunen.

Welche Konsequenzen folgen daraus für das Humboldt-Forum?

Im Humboldt-Forum wird es einen gut inszenierten Überblick über die Berliner Geschichte geben. Aber wenn man tiefer hineinwill in diese Geschichte, dann ist das Märkische Museum die nächste Stufe. Die Dachorganisation unserer vier Museen heißt Stiftung Stadtmuseum Berlin. Das ist überhaupt nicht interessant, das ist ein Backoffice-Name. Auf meiner Visitenkarte steht ein großes M. Wieso ein M? Warum nicht ein B oder ein S? Der Fokus muss sich entweder auf Stadtmuseum oder Berlin richten, aber doch nicht auf M, das Museum. Diese Begriffsunklarheit trägt zur Verwirrung der Besucher bei. Sie müssen wissen: Wenn ich etwas mit meinen Kindern unternehmen möchte, dann gehe ich ins Museum X – vielleicht bald in das Marinehaus – und nicht in die anderen drei Museen.

Wie wollen Sie die Profile der anderen Häuser schärfen, etwa des Ephraim-Palais’?

Das Ephraim-Palais steht sehr gut da, dort gibt es aufsehenerregende, gut besuchte Ausstellungen. Sie sind manchmal überladen, und sie haben nicht immer eine Schnittstelle zur Gegenwart. Man soll nicht nur in die Geschichte schauen, das ist nicht relevant genug. Die Geschichte kann ein Spiegel sein für die heutige Zeit. Flüchtlinge zum Beispiel gibt es in Berlin schon ewig. Unsere Ausstellung über die zwanziger Jahre heißt „Tanz auf dem Vulkan“. In Berlin wird heute auch wieder „auf dem Vulkan“ getanzt, etwa im Berghain – das sollten wir zeigen. Die nächste Ausstellung beschäftigt sich mit Frauen in Berlin. Sie wird mit starken Frauen von heute enden – und der Frage, in welchen Gesellschaften sie noch immer gebraucht werden, wo es sie gibt und wer sie sind.

Wie steht es um die anderen Häuser?

Das Knoblauchhaus ist schön, aber ich vermisse die richtige Atmosphäre. Es ist zu still. Ein stilles Haus ist ein totes Haus. Es muss lebendig werden. Ohne Kitsch. Die Nikolaikirche war früher gut besucht, als noch kein Eintritt verlangt wurde. Jetzt zeigen wir dort religiöse Kunst aus unserer Sammlung. Wenn man den Leuten ein Ticket verkaufen möchte, muss man ihnen eine Geschichte erzählen, die interessant ist. Jetzt haben wir dort aber vor allem Objekte. Die Nikolaikirche könnte ein sehr guter Raum sein für spirituelle Kunst.

„Im Humbold-Forum muss es um die Internationalität der Stadt gehen“

Bund und Berlin stellen 65 Millionen Euro für die Sanierung des Märkischen Museums und den Ausbau des Marinehauses bereit. Ein Geschenk zu Ihrem Dienstbeginn?

So fühlt es sich an. Bei meinen Bewerbungsgesprächen wurde gesagt, dass es Gelder geben soll, aber dass der Bund nun so schnell diese Entscheidung getroffen und die Summe reserviert hat und die Stadt schnell nachziehen möchte, hat vor allem einen Vorteil: Ich kann in meinem Masterplan mit dieser Summe planen, das ist wahnsinnig wichtig.

Das Marinehaus sollte schon 2012 renoviert werden, dann galt es plötzlich als zu klein. Was hat sich verändert?

Wir haben das Humboldt-Forum dazubekommen, in dem wir 4500 Quadratmeter bespielen können. Jetzt haben wir auf einmal eine Unmenge von Raum. Im Humboldt-Forum kommen im Erdgeschoss noch zwei weitere große Räume dazu, die nach der Idee von Gründungsintendant Neil MacGregor den Bewohnern des Hauses zur Verfügung gestellt werden sollen, also dem Ethnologischen Museum, dem Museum für Asiatische Kunst und uns. Auch dort werden wir schöne Ausstellungen machen können. Die Berliner Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts werden im Blickpunkt des Humboldt-Forums stehen, im Märkischen Museum präsentieren wir auch die ältere Geschichte, immer im Spiegel zur Gegenwart. Im Marinehaus könnten wir uns stärker der Vermittlung widmen.

Wann wird das alles fertig sein?

Ich habe einen Vertrag für fünf Jahre unterschrieben, werde – wenn alles klappt – also noch da sein, wenn das Humboldt Forum 2019 eröffnet wird. Vielleicht bleibe ich länger in Berlin, das Märkische Museum könnte 2021 fertig werden. Das Marinehaus braucht nicht so lange.

Das Motto der Ausstellung im Humboldt-Forum lautet „Welt. Stadt. Berlin“. Was ist damit gemeint?

Das ist nicht mein Motto, aber ich bin total damit einverstanden, dass es im Humboldt-Forum nicht nur um Berlin gehen kann. Es muss um die Internationalität der Stadt gehen. Die Welt wird oben sein, Ethnologisches Museum, Asiatische Kunst. Berlin ist unten, der Boden der Stadt. Wir sind in der Mitte und sind eine Brücke zwischen Berlin und der Welt. Wir werden erzählen, dass die Welt immer schon in Berlin anwesend war. Und dass Berlin eine Geschichte hat, die manchmal Weltgeltung besaß. Im besten Fall war und ist das Humboldt-Forum ein Katalysator von Weltbürgerschaft. Die Stadt Berlin ist das Material für unsere Erzählung und für die Erzählungen von anderen Leuten. Es soll nicht nur eine Veranstaltung des Kurators werden, sondern ein neues Ding, ein Museum des 21. Jahrhunderts, wo die Leute mitmachen, ihre Geschichten übergeben. Mit solcher Partizipation habe ich schon in Amsterdam Erfahrungen gesammelt, das geht nur behutsam, Schritt für Schritt.

Sie nennen das Märkische Museum eine „Zeitmaschine“. Was meinen Sie damit?

Das Märkische Museum, nach Plänen von Ludwig Hoffmann 1908 errichtet, ist ein Konglomerat von Architekturzitaten aus verschiedenen Perioden. Kirche, Rathaus, Bürgersaal. Der Besucher soll dort die Jahrhunderte durchschreiten. Es kommt darauf an, die Zeitschichten zu zeigen, die heute auch noch relevant sind. Das Märkische Museum war ein Projekt des Bürgertums, von Individuen, die gemeinsam ein Kollektiv formen. Das muss das Thema der Ausstellung hier sein. Man macht Karriere in der Stadt, vom Hungerleider zum Millionär. Oder man kommt in die Stadt, weil man sich eine Zukunft sucht. Als Industriearbeiter oder als Flüchtling. Die Stadt ist der Raum von Menschen, die neu anfangen. Aber das immer zusammen machen. Was ist eine Stadt, was ist Bürgertum, was ist meine Position darin? Solche Fragen sollten gestellt werden. Das Märkische Museum ist in Europa das älteste von Bürgern als Stadtmuseum gebaute Ausstellungsgebäude. Ein Juwel.

Ist die Abfolge von kleinen engen Räumen und großes Sälen nicht ein museumsdramaturgisches Problem?

Ich finde die Räume und ihre Theatralik großartig. Nur wenn man in jedem Raum die gleiche Menge von Daten für seine Erzählung versammeln wollte, dann wäre das ein Problem. Die Museen werden heutzutage immer schneller. Der neue Besucher will keine enzyklopädische Information, er will ein schnelles Produkt, und dann geht es weiter im Internet. Wenn es ihm supergut gefallen hat, kommt er vielleicht noch mal zurück. Der Normalbesucher hat anderthalb Stunden, nicht mehr. Von diesem Normalbesucher müssen wir ausgehen. Deshalb gibt es in einem kleinen Raum nicht fünf, sechs, sieben Informationen, sondern eine klare Aussage. Und dann geht es wieder weiter. In größeren Räumen verbleibt der Besucher länger, da kann er mehr erfahren, zum Beispiel mit multimedialen Angeboten.

2014 zählte die Stiftung Stadtmuseum 200.000 Besucher. Wie viele werden es in zehn Jahren sein, wenn alle Baupläne verwirklicht sind?

Im Humboldt-Forum sollten wir 300.000, 400.000 zahlende Besucher haben. Man baut sich so etwas nicht für weniger Leute. Es könnten aber auch weitaus mehr werden, das Schloss wird die Magnetwirkung der Museumsinsel weiter verstärken. Allerdings wird das Humboldt-Forum viele Besucher an anderen Orten fressen, ein Kannibale auch für unsere Museen. Mein Ziel lautet trotzdem: 200.000 Besucher im Märkischen Museum, noch mal 200.000 Besucher im Ephraim-Palais, mindestens 150.000 in der Nikolaikirche, im Marinehaus 50.000. Sie merken, ich bin ein Optimist.

 

Quelle: Der Tagesspiegel, 08.01.2016

 

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