Wer sich für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses engagiert, den interessiert natürlich das Thema Rekonstruktion auch im Allgemeinen. Um diesem Interesse nachzukommen, bietet der Münchner Freundeskreis seit Jahren Führungen zu Schlössern der bayerischen Landeshauptstadt an und zeigt dabei deren originale oder auch in der Nachkriegszeit rekonstruierte Werte auf.
Spaziergänge durch die Münchner Innenstadt mit dem Aufzeigen all jener „historischen“ Gebäude, die nach 1945 gänzlich oder weitgehend vernichtet und bereits seit Jahrzehnten wiederaufgebaut und im Stadtbild wie selbstverständlich wahrgenommen werden, gehören in das Veranstaltungsprogramm der Münchner Schlossfreunde.
Diese Führungen werden von Dipl. Ing. Ernst Götz geleitet. Als ehemaliger Mitarbeiter in der Bauabteilung der staatlichen Bayerischen Schlösserverwaltung betreute er solche Restaurierungen und Rekonstruktionen von ihrer Planung bis zur Fertigstellung, und in seinen Führungen begegnet man Objekten aus seinen Arbeitsfeldern und bei denen er Zeuge der Entscheidungen seiner älteren Kollegen war. Nicht unerwähnt bleiben dabei die Methoden, wie Rekonstruktionen gepflegt werden oder mit welchen Argumenten Wiederaufbauentscheidungen zustande kamen. Die Erläuterungen mit diesem besonderen, erfahrenen Blick hinter die Kulissen sind zum Markenzeichen für die Münchner Führungen geworden und im Folgenden wird auch auf diese Hintergrundinformationen besonders eingegangen:
Wiederholt war die Münchner Residenz Ziel solcher Exkursionen. Sie ist die größte urbane Schlossanlage in Deutschland und ein Paradebeispiel für einen gelungenen Wiederaufbau nach schwersten Kriegszerstörungen, bis hin zur Wiederherstellung ihrer weitläufigen, außerordentlich prachtvollen Raumfluchten.
Große Teile dieses im Kern viel älteren Komplexes waren unter Ludwig I (1786–1868) durch seinen Hofarchitekten Leo von Klenze in der Zeit von 1826–1835 entstanden. Der Wiederaufbau des äußerlich Florentiner Palastarchitekturen nachbildenden, besonders markanten Südtrakts, des „Königsbaus“ war nach Teileröffnungen 1958 und 1980 zuletzt wieder geschlossen. Nach Jahren der Restaurierung und Sanierung wurde er Ende Juni 2018 wiedereröffnet. Das war Anlass, die Münchner Schlossfreunde zu einer ersten Führung Anfang August einzuladen. Die Resonanz auf dieses Angebot war so groß, dass zwei Führungstermine angesetzt werden mussten.
Zu der riesigen Raumflucht der in feinstem Klassizismus eingerichteten Wohn- und Empfangsräume von König und Königin kamen jetzt in vier Geschossen unmittelbar daneben wieder die „Rückwärtigen Königsbauzimmer“ hinzu. Darin findet man, äußerst geschmackvoll präsentiert, international bedeutende Spezialsammlungen wie die Terrinen, das Teeservice und Silberteller in der Silberkammer. Die Exponate mit Meisterwerken aus den wichtigsten Porzellanmanufakturen Europas befinden sich im zweiten Geschoss. Auf zwei großen KPM-Vasen entdeckten die Münchner Schlossfreunde Ansichten des Berliner Schlosses: Den Schlüterhof sowie den Blick von der Langen Brücke auf die Südfassade, den Runderker und die Ostseite des Schlosses. Ungewöhnlich erscheint die Porzellan-Pinakothek, sie gilt als Höhepunkt der Porzellanmalerei des 19. Jahrhunderts.
Bei den Führungen kamen auch Erinnerungen zur Sprache, die einst an der Rettung der Residenz Beteiligte Götz gelegentlich zu berichten hatten. Bereits im Krieg und unmittelbar danach wurde nicht nur versucht, die Raumausstattungen so gut wie möglich zu schützen, sondern auch alle beweglichen Kunstschätze vorbeugend zu bergen. Der damalige Präsident der Bayerischen Schlösserverwaltung, Rudolf Esterer, gründete damals eine spezielle Bauleitung und beauftragte damit den politisch unabhängigen, in München lebenden jungen Schweizer Architekten Tino Walz. Er organisierte die Auslagerungen, kümmerte sich nach Bombenangriffen um Notdächer und nutzte schließlich seine Möglichkeiten, noch Kunstgegenstände vor fremdem Zugriff zu schützen: Mit nur wenigen Eingeweihten fuhr er die Bestände der Residenz- Schatzkammer vorbei am von der SS besetzten Neuschwanstein kurzerhand in die Schweiz und entzog sie damit den bald erwarteten Besatzern. Mit dem Schlösser- und Museumskonservator Dr. Thoma fuhr Walz zwischen Angriffsfolgen in seinem PKW zur Veste Coburg, um in einem zusammengelöteten Metallbehälter den Gesamtbestand der dortigen berühmten Graphischen Sammlung abzuholen und sie danach zeitweise in einer privaten Bootshütte eines oberbayerischen Sees unbemerkt zu versenken. Andere Wertgegenstände landeten durch Walz zeitweise im Kartoffelkeller eines vertrauenswürdigen Bauern. Bald nach Kriegsende gelang es Walz, zusammen mit seiner Frau den Förderverein „Freunde der Residenz“ zu gründen und die lange Jahre hoch angesehenen „Nymphenburger Sommerspiele“ zu organisieren.
Durch all dies wurde das Bewusstsein geschaffen, die Residenz wieder aufzubauen. Anfang der 1950-er Jahre begann man, ohne große Diskussionen, mit der Rekonstruktion, 1958 konnte sie schon teilweise eröffnet werden. Weitere rekonstruierte Raumfolgen kamen im folgenden Jahrzehnt hinzu. Obwohl äußerlich der Wiederaufbau der Residenz längst beendet war, ergänzte man sie im Innern noch bis zum Ende des Jahrhunderts um einzelne Raumausstattungen. Das schon vor den ersten Bombenangriffen fast komplett ausgelagerte und damit gerettete Mobiliar, die Bilder sowie ein Großteil der Wand- und Deckenverkleidungen kamen so wieder in ihren historischen Zusammenhang.
Nach den Königsbau-Rundgängen nahmen die Besucher das zusätzliche Angebot von Herrn Götz gern wahr, einen kurzen Gang durch die genau ein Jahrhundert älteren „Reichen Zimmer“ des Hofkünstlers Cuvilliés anzuschließen: Zuerst Hauptwerk der klassizistischen Raumkunst im Königsbau, danach unwahrscheinliche Zartheit und feinste Pracht der ebenfalls längst meisterhaft rekonstruierten Rokoko-Suite, beides in ihren Gegensätzen!
Der Münchner Freundeskreis dankt Herrn Götz herzlichst für diese Führung. Die Führungsgebühren überweist Herr Götz als Spende für die drei Tugend-Kolossalfiguren am Eosander Portal, die sich der Münchner Freundeskreis als Spendenziel ausgesucht hat.
Text und Fotos: Karin von Spaun