Die Kunst der Skulptur ist die Metamorphose von toter Materie zu großem Geist
von Wilhelm von Boddien
Im Museum von Delphi in Griechenland befindet sich eine hinreißende Statue des Antinous, des schönsten Jünglings der Antike. Freunde und ich standen sprachlos und betroffen vor diesem herrlichen Kunstwerk. Unsere ziemlich robuste Führerin durch das Museum herrschte uns nach einem Moment an, wir sollten uns von dem Jüngling lösen und durch das Fenster auf den Berg schauen, an dem Delphi liegt, den Parnass. Dieser Berg sah so ruppig aus wie manch anderer in Griechenland. Stechpalmen, Ginster, Dornengestrüpp und sonnenverbranntes Gras deckten ihn.
„Dieser Berg ist im Inneren aus weißem Marmor“, hörten wir sie sagen. „In ihm schlummern Tausende solcher Jünglinge von der Schönheit dieses Antinous. Aber erst einmal haben die Götter einem Menschen die Kraft und den Geist geschenkt, einen dieser Jünglinge aus dem Berg zu befreien – und nun steht er in seiner Schönheit vor Ihnen!“ Niemals wieder hörte ich eine ähnlich bewegende Definition über die Kunst der Bildhauerei, eine so wunderbare Beschreibung der Metamorphose der toten, steinernen, kaltweißen Materie zu einem beseelten, großen Geist!
Bildhauerische Liebe zum Detail wie vor 300 Jahren
Bukranien in verschieden Ausführungen, fertig zum Einbau!
Fotos: Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser
Daran musste ich immer wieder denken, als ich die Steinbrüche in Sachsen und Schlesien besuchte, in denen nun riesige, tonnenschwere Steine gebrochen werden, aus denen die Schlossfassaden herausgearbeitet werden.
Zurzeit von Andreas Schlüter vor über 300 Jahren wurde in mühevoller Handarbeit von den Gesellen der Bauhütten die grobe Kontur der Skulptur herausgearbeitet. Dies war und ist auch heute noch die längste Bearbeitungszeit des Steins auf dem Weg zum Kunstwerk, und man sieht später nichts mehr davon. Nur durch die enorm gesteigerte Produktivität von CNC-gesteuerten Sägen, Robotern, Entgratungsmetallbürsten und anderen technischen Hilfen bis hin zum Druckluftmeißel, können die großen Mengen an Stein abgetragen werden, die das Kunstwerk verbargen und nun durch die Bearbeitung zu Schutt und Staub zerfallen. Dann kommt der Steinbildhauer und gibt dem Rohling seine individuelle Note, die ihn dann zu dem großen Kunstwerk macht, über das wir uns später an den Schlossfassaden freuen werden.
Druckluftunterstütze beidhändige Feinarbeit des Bildhauers (Foto: Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser)
Die Scharur, das Anbringen einer Riffelung im Stein, ist immer noch reine Handarbeit. (Foto: Hofman Naturstein, Werbach-Gamburg)
Foto: Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser
Machen wir uns nichts vor:
Das Berliner Schloss war ein einzigartiges Kunstwerk, eine Gesamtskulptur, erdacht und geschaffen von Andreas Schlüter, dem wohl bedeutendsten Architekten und Bildhauer des frühen 18. Jahrhunderts in Deutschland.
Sein Vorbild war der Italiener Michelangelo Buonarrotti, dessen Petersdom in Rom in seiner Gesamtkomposition bis heute erregt, fasziniert und den Betrachter in seiner Schönheit überwältigt. Wie Sie auf den letzten Seiten gesehen haben, stecken das ganze Wissen über Andreas Schlüter, sein Schloss und dessen wunderbare Details als Ergebnis umfangreicher Forschungsarbeit und deren Umsetzung durch begnadete, akribisch arbeitende Bildhauer in den Tonmodellen im Maßstab 1:1.
Die Modelle zerstören sich selbst durch Trocknung des Tons, der schrumpft und reißt. Deswegen fertigte man schon früher immer Abgüsse in Gips an, um sie für die Steinkopie formstabil zu halten. Diese wurden beim nun wieder entstehenden Schloss nach historischem Vorbild häufig nur nach historischen Fotos und berechneten Maßen aus dem Nichts geschaffen, da die Originale durch die Sprengung vernichtet wurden.
Rekonstruktion aus dem Nichts: Die Nachschöpfung der südlichen Kartusche mit den Genien und den Initialen König Friedrichs I. (Gips-Positiv des 1:1-Modells) (Foto: Bildhauer Matthias Körner, Berlin)
Das Eosanderportal vor der Zerstörung mit der südlichen Kartusche. Beschädigt durch Atilleriebeschuss, wurde sie nach dem Krieg mit dem Schloss ohne Überreste weggesprengt.
Der wichtigste und künstlerisch beste Bildhauer ist nach wie vor der Mensch….
Fotos: Hofman Naturstein, Werbach-Gamburg , unten rechts Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser
Qualifizierte Ausbildung, langjährige Erfahrung, Leidenschaft für den preußischen Barock, gekoppelt mit intensiver Kenntnis darüber, das zeichnet unsere Schlossbildhauer aus! Der Computer erleichtert die Arbeit, weil er das Kunstwerk aus dem Stein maßgenau befreit, in viel kürzerer Zeit als ein Mensch es je könnte. Aber er weiß nichts von der Kunst des Barocks, er hat kein Augenmaß. Der Bildhauer ist und bleibt deswegen unentbehrlich. Mit modernen Druckluftwerkzeugen, fein dosierbar, bearbeitet er den Stein weiter und gibt ihm die individuelle, künstlerische Schönheit, ganz dicht am verlorenen Original.
Früher führte eine Hand den Meißel, die andere den hölzernen Schlegel. Jetzt kann der Bildhauer den Druckluftmeißel mit beiden Händen führen, den Schlag elektronisch regeln und damit noch mehr Feinheiten des Kunstwerks mit der nötigen Zeit und Sorgfalt gestalten. Da die körperliche Kraft und Ausdauer weniger beansprucht werden, öffnet sich der Beruf nun auch zunehmend Frauen.
… aber der Roboter erhöhte schlagartig die Kapazitäten. Er ist der schnellste, ausdauerndste und genaueste Bildhauer. Dennoch ist seine Arbeit unsichtbar, denn befreit er nur das unfertige Kunstwerk aus dem rohen Block, die finalen Arbeiten macht immer noch:
Der Bildhauer. Seine Leistung bleibt sichtbar!
Bei der Herstellung der Schlossfassaden und ihres skulpturalen Schmucks wird das Kunstwerk aus dem Stein „befreit“. Nicht selten bleiben von einem 10-Tonnen-Rohsteinblock nach der Fertigstellung der Skulptur nur noch 5 Tonnen übrig, das andere Material wird weggeschlagen. Die menschliche Arbeitskraft eines Bildhauers wird hierfür eigentlich unproduktiv eingesetzt, weil man ja nicht mehr sieht, was weggeschlagen wurde. Diese Arbeit übernimmt nun der computergesteuerte Roboter.
Das künstlerisch perfekt dem Original nachempfundene, von einer Fachkommission als authentisch abgenommene 1:1-Modell wird dreidimensional eingescannt. Dieser Scan wird von dem Computerprogramm interpretiert, das dann den Roboter steuert, millimetergenau der Vorlage entsprechend. Der Roboter entfernt fast 97 % des überschüssigen Steins. Er schlägt nicht, sondern er fräst mit Spezialwerkzeugen die Figur aus dem Stein heraus, gekühlt von einem permanenten Schwall von Wasser. Bei seiner Arbeit kommen verschiedene Werkzeuge zum Einsatz, mit denen er sich, ebenfalls programmgesteuert, selbst bedient. Theoretisch könnte er 24 Stunden im Dienst sein. Die Fräsmethode ist steinschonender als der Meißelschlag, weil mit ihr schlagbedingte Haarrisse im Stein gar nicht erst entstehen können. Damit wird die Lebensdauer des Steins entscheidend verlängert. Der Bildhauer „beseitigt“ jetzt nur noch knapp 3 % des Materials – und gibt dem Stück die entscheidende künstlerische Note. Durch diese Rationalisierung wird die Kapazität eines Bildhauers verdreißigfacht. Damit können alle Kapazitätssorgen beseitigt werden. Es gibt genug qualifizierte Bildhauer!
So entsteht ein Gesimsprofil. Eine vom Laserstrahl gesteuerte Säge sägt Stege in den Stein. Diese werden danach weggebrochen und das Profil von Hand weiter ausgearbeitet.
Die Architekturzeichnung des Bukranionfensters mit den Fugen für den späteren Steinschnitt.
Der Roboter fräst die Verdachung des Bukranionfensters.
Das Bukranionfenster, dreidimensional in den Computer eingescannt. (Foto: Fotos: Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser)
Foto: Hofman Naturstein, Werbach-Gamburg
Fräsen eines korinthischen Kapitells (Foto: Sven Schubert, Dresden-Hellerau/Wilschdorf)
Fräsen einer anderen Fensterverdachung (Foto: Hofman Naturstein, Werbach-Gamburg)
Foto: Sven Schubert, Dresden-Hellerau/Wilschdorf
Der vorgefertigte Körper eines Kapitells, bereit zur Weiterverarbeitung
Die Dynamik des Roboters: Steinschonendes Arbeiten durch Fräsen mit hohen Umdrehungen, statt den Stein zu schlagen (Foto: Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser)
Foto: Sven Schubert, Dresden-Hellerau/Wilschdorf
Die Vielfalt der Bildhauerwerkzeuge für den Druckluftmeißel (Foto: Bamberger Natursteinwerk Hermann Graser)
Es wird und wird ich muss bald mal da hoch fahrn und mir ein eigenes Bild machen U0001f60adieser barocken Architektur
Auf jeden Fall !
Einfach großartig! Die Bildhauer können stolz auf sich sein!
Also doch, es können heute nicht nur noch häßliche Glaskästen gebaut werden.
Absolut phantastisch, meinen allergrößten Respekt!!