Passion, Suchen, Lernen, Abwägen, Kombinieren, Wissen, Forschen, Nüchternheit
Wagnis Schlossrekonstruktion
Die Portalbekrönung des Innenportals II im Großen Schlosshof an der Südseite
Bozetto der Portalbekrönung des Innenportals II (Foto: Bildhauer Frank Kösler, Berlin)
Die Öffentlichkeit reagierte ungläubig und erstaunt. Zeitungen schrieben lange Jahre über unsere Anstrengungen, das Berliner Schloss originalgetreu zu rekonstruieren wie über ein verbotenes, anmaßendes Handeln, das es zu bekämpfen gelte. Wir waren die Schlossgespenster, die Schlossfälscherbande.
Das neue Schloss wurde als Disneyland, als Fake bezeichnet, ein Phantom aus einem verbotenen Traum. Wir waren einfach ungehörig, reaktionär, revisionistisch und mancher Journalist machte uns auch einfach nur lächerlich.
Keiner der Schlossgegner ahnte, wie sehr er uns damit half. Wir wurden hellwach. Wir vertieften unser Wissen und überließen bei der Durchführung unserer Pläne nichts mehr dem Zufall. Wir mussten dafür das Rad nicht neu erfinden, sondern konnten uns an berühmten Beispielen orientieren. Es gibt unzählige seriöse und gelungene Rekonstruktionen berühmter Bauten. Da sind die Kathedrale von Reims oder die Tuchmacherhallen von Ypern, schwer oder auch vollständig zerstört im 1. Weltkrieg. Da sind die Altstadt und das Schloss von Warschau, das Michaelskloster in Kiew, das Kloster auf dem Monte Cassino, das Schloss und vor allem auch die Frauenkirche in Dresden, alle vernichtet im 2. Weltkrieg.
Putto der Nordkartusche neben Portal III: Bildhauer Jens Cacha überträgt die Maße des Modells mit einem Punktiergerät auf den Stein und meißelt den Punkt frei.
Aber eigentlich sind überhaupt alle historischen Steinbauten längst rekonstruiert, auch wenn sie nie zerstört waren. Die schleichende Zerstörung durch Eis und Schnee, durch Sturm und sauren Regen, Hitze und Kälte wirkt auf den Stein, er wittert Fortsetzung auf Seite 18 ab. Ständig arbeitet man an der Restaurierung, gegen den Verfall. Wir hätten keine Kenntnis der Schönheit alter Kathedralen, wenn sie nicht immer wieder restauriert worden wären. Sie wären einfach über die Jahrhunderte zerfallen. Stellen Sie sich den Kölner Dom vor, ohne dass dessen Bauhütte nicht irgendwo an ihm werkelt. Kennen Sie etwa eine Nachkriegsbilderserie dieses Monuments, an einem Tag von allen Seiten aufgenommen – und auf keinem ist ein Gerüst zu sehen?
Bildhauer Johann Gewers erarbeitet aus einem großen Block ein Kleidungsdetail
Der obere Genius: Fertiger Stein und Gipsmodell
Zeitzeichen: Die Anfertigung der großen Adler im Hauptgesims wurde nun auch begonnen, damit sie demnächst in die Fassade eingebaut
werden können.
An all diesen und vielen weiteren Beispielen schärften wir unseren Verstand, vertieften unser Wissen, lernten und begannen zugleich, die neuesten Technologien zu nutzen, die unsere Arbeit erheblich vereinfachten. Der Computer mit all seinen Möglichkeiten der Programmierung half, Bilder maßhaltig zu machen, denn die Baupläne des Schlosses waren seit fast 300 Jahren verschollen. In den verschiedensten Archiven, häufig nur durch Zufall entdeckt, hatte das Berliner Schloss seine Spuren hinterlassen, ein riesiges Puzzle aus Restaurierungsbauplänen mit Zoll- und anderen Maßen, meist ungenau und interpretierungsbedürftig. Dutzende von Messbildfotos von Meydenbauer sowie Handrisse (Katasteraufmaße) aus der Kaiserzeit warteten auf ihre Interpretation. Dazu kamen die wunderbaren Detailfotos, die Eva Kemmlein massenweise von der Ruine mit ihrer Leica aufnahm, von Gerüsten und Feuerleitern, während die Sprengungen 1950 bereits begonnen hatten. Die Ernst von Siemens Kunststiftung spendete Geld, das 1999 an die TU Berlin weitergeleitet wurde. Diese entwickelte unter Prof. Dr. Albertz ein Fotogrammetrie-Programm, mit dessen Hilfe die exakte Rekonstruktion der Schlossfassaden zu mindestens 99 % erst möglich wurde. Zentraler Partner des Fördervereins wurden Stuhlemmer Architekten, Berlin. Sie suchen und suchten mit detektivischem Eifer und fanden immer neue, schlüssige archivalische Beweise, die die Fehlstellen im Puzzle passgenau ergänzten, bis dann 2006 die Baupläne archäologisch genau gezeichnet waren. Wie bei den geschredderten Stasiunterlagen wurde das riesige Material wie ein Puzzle von den Stuhlemmers in ein Gesamtgefüge eingeordnet, das, mit den verschiedensten Hinweisen und Maßen gefüttert, ein zusammenhängendes Datengerüst und schließlich die Baupläne ergab. Diese wurden zur im Auftrag des Fördervereins entwickelten Grundlage für die jetzt entstehenden historischen Fassaden.
Die durch Artilleriebeschuss zerstörte Bekrönung von Portal IV an der Nordseite und ihre Wiederauferstehung im Schlossforum Franco Stellas.
Fundstücke helfen weiter: hier die originale Krone von Portal II …
… und ihre Bergung und Abtransport aus einem Berliner Garten. Wir suchen immer noch nach solchen Fundstücken und freuen uns über jede Nachricht dazu!
Auch ein Adler der Kette des Schwarzen Adlerordens aus der Bekrönung wurde in dem Garten gefunden.
Zeitgleich suchten und fanden wir hochgebildete Bildhauer, die sich mit dem Preußischen Barock auskannten, eine besondere Sensibilität dafür entwickelten – und es besonders schwer hatten. Um die Bildhauer der Schlüterschen Bauhütten um 1700 zu interpretieren, mussten sie einen Teil ihrer Persönlichkeit und damit eigene Interpretationsmöglichkeiten aufgeben, den Teil, der dem Wunsch nach originalgetreuer Rekonstruktion entgegenstand.
Mit Matthias Körner, Eckard Böhm, Stefan Werner-Schmelter, Steffen Werner, Peik Wünsche, Andreas Hoferick, Frank Kösler, Carlo Wloch, Bernhard Lankers und später vielen anderen fanden wir bald begnadete Künstler, fast alle erwachsen aus der berühmten Bildhauerwerkstatt von Jürgen Klimes, Berlin, der als ihr Lehrer unter den erschwerten Bedingungen des künstlerischen Arbeitens in der DDR einen phänomenalen Nukleus geschaffen hatte, ohne zu ahnen, wie segensreich dies eines Tages für unsere Arbeit sein würde. Aber Jürgen Klimes liebte den Preußischen Barock, den er am Zeughaus, den Domen am Gendarmenmarkt und anderen berühmten Bauten wiederbelebte. Er und seine Mitarbeiter waren es auch, die das sogenannte Liebknechtportal, das Portal IV des Schlosses, 1963 in das Staatsratsgebäude einfügten, schon damals weitestgehend nach den zerschossenen Originalsteinen des geborgenen Portals rekonstruiert.
Eine Sorge ließ uns aber manches Mal schlecht schlafen: Die Bauzeit des Schlosses würde aus Kostengründen sehr kurz sein – und in seine Fassaden muss eine unvorstellbare Menge an Sandstein eingebaut werden, mehr als 10.000 Tonnen, die von Hand bearbeitet werden müssen. Würden wir je genug Bildhauer dafür finden?
Wir fanden sie, wenn auch in anderer Form.
Die durch Artilleriebeschuss zerstörte Bekrönung von Portal IV an der Nordseite und ihre Wiederauferstehung im Schlossforum Franco Stellas
Bilder oben: Der preußische Adler in der Kartusche über Portal V…
…das verlorene Original…
… wird minutiös in Bildhauerton modelliert (Foto: Bildhauer Kai Röttger, Berlin)
Der steinerne Prototyp für mehr als ein Dutzend der ionischen Kapitelle der Stockwerkssäulen im ersten Stock der Schlüterportale (Foto: Sven Schubert, Dresden-Hellerau/Wilschdorf)
Ein sehr beeindruckendes Projekt….
Dennoch spricht der blanke Hohn aus der Tatsache, dass bei all dieser minutiös geführten Arbeit die Ostfassade an einen Parkhausbau erinnern soll….
Da beugt sich der Höhenflug der Gegenwart. … schade
Ich bin großer Fan des Wiederaufbau alter Gebäude! Dresden ist ja durch dir Frauenkirche Vorreiter und anderer Gebäude. Bin sehr beeindruckt wie das Stadtschloss Berlin wieder entsteht, welch Genauigkeit und Sorgfältigkeit gewahrt wird… Genial!
Das Schloss ist wieder da und muss immer da sein.
Schade drum. Rasterarchitektur =scheußlich.Warum der Schlüterhof nur auf drei Seiten schön sein darf,ist mir einRätsel.Zu guter letzt: Warum drückt man wegen der fehlenden 55Mio Euro für die Fassade herum. Dass der BER gleich um 2,5 oder mehr Milliarden teurer geworden ist,hat offenbar niemand aufgeregt. Soll doch der Bund den Rest zuschießen. Im Vergleich zu den Kosten des BER ist das Schloss wahrlich ein Schnäppchen!
Seit unserem Schlossbesuch vor ca. einer Woche bin ich ein doppelter Fan des Wiederaufbaus.
alles Modene scheint Ihnen zuwider zu sein.