In der Berliner Schlossbauhütte gelangt der preußische Barock zu alter und neuer Blüte: Die mehr als 2 800 Schmuckelemente für die Fassade des Stadtschlosses werden hier in Handarbeit restauriert und rekonstruiert.
Traurig, aber wahr: In der freien Natur ist der König der Lüfte bekanntlich arg dezimiert. Doch in einer einstigen Militärfahrzeughalle in Spandau gedeiht eine prächtige Population: Adler, wohin das Auge blickt. In allen erdenklichen Größen und Flügelspannweiten lehnt das Wappentier der preußischen Monarchie an der Wand, es lagert in Regalen und thront in Bildreliefs. „Nach dem dritten Adler geht es leichter von der Hand”, sagt Bildhauer Frank Kösler. Er hat mehrere Modelle für die insgesamt 43 überlebensgroßen Greifvogelfiguren gefertigt, die in der Fassade des neu erstehenden Berliner Stadtschlosses einst wieder ihren Platz im Hauptgesims einnehmen sollen. Was er hier über Adler gelernt hat? „Der symbolisiert im Barock Macht, Entschlossenheit und Dominanz”, erklärt der 50-Jährige, zeigt auf schwungvolle Gefieder, starke Posen und wahre Charakterschnäbel: „Pures Leben!”
Zurzeit arbeitet Kösler an einem rund fünf Meter hohen und acht Meter breiten Tympanon, einem Giebeldreieck, das mit Waffen, Siegessymbolen und einer Pax-Figur geschmückt ist:
Krieg und Frieden bei den Hohenzollern. Kösler hat nach historischen Fotos und Dokumenten ein verkleinertes Modell hergestellt, ein Bozzetto, das er in die Rekonstruktion aus Ton überträgt. Seine Tochter Leona (19) pinselt eine Krone aus Sandstein mit Silikon ein, um die Abformung des original erhaltenen Details vorzubereiten. Im Oktober 2014 soll Kösler dieses und ein weiteres Tympanon fertiggestellt haben: „Das schaffen wir.”
Ein Gesamtmodell des Schlosses offenbart, welche Herkulesaufgabe rund 20 Bildhauer, Kunstformer und Restauratoren hier bewältigen. Die Fassade, für die Hofbaumeister Andreas Schlüter und seine Nachfolger antike Ornamentik mit barocker Formensprache verschmolzen, umfasst über 2800 Schmuckelemente, von kleinen Löwenköpfen bis zu riesigen Wappenkartuschen. Doch es geht voran: „85 Prozent aller 300 Modelle sind inzwischen fertig in Gips modelliert”, sagt Bertold Just (50), Leiter der Schlossbauhütte. Für die serielle Fertigung werden diese zwar maschinell vervielfältigt, „aber die Oberflächen bearbeiten wir bei jedem Stück von Hand. ” Der Schlossneubau sei ja eben keine „Disney-Version”, wie seine Gegner behaupteten. Der Fassadenschmuck werde wie beim Ursprungsbau ins Mauerwerk eingepasst – und auch das „echte” Material verwendet: insgesamt 9000 Kubikmeter Sandstein, angeliefert aus Sachsen, Polen und Tschechien. „Wir sind ein Laboratorium”, sagt Just, „moderne Technik gehört auch dazu.” So wurden Teile eines noch vorhandenen Portals mithilfe eines 3-D-Druckverfahrens als Vorlage für die Steinbildhauer nachgeformt: Wuchtige Kapitelle, Säulen und Atlanten füllen mühelos ein Atelier.
Nebenan reinigt Jette Gutglück (32), Studentin der Steinrestaurierung, eine dunkel patinierte Kolossalfigur behutsam mit dem Mikrodampfstrahlgerät. Die Allegorie der „Eintracht” hat nach dem Abriss des Schlosses 1950 mit weiteren sieben Figuren im Berliner Bode-Museum überdauert. Doch nur ein Bruchteil wurde gerettet. Wilhelm von Boddien kann ein Lied davon singen: Schon vor 20 Jahren führte der Gründer des Fördervereins Berliner Schloss Suchgrabungen auf Trümmerschuttgelände durch, er erzählt von Funden auf Äckern und in Gärten. „Gerade ist eine alte Eisentür aufgetaucht”, sagt der 71-jährige Hamburger Kaufmann, „wir freuen uns über jedes Stück – auch wenn wir es für die Rekonstruktionsplanung nicht mehr benötigen sollten” Die Fragmente werden, wie bei der Dresdner Frauenkirche, nach Möglichkeit in den Neubau integriert, der 2019 eröffnet werden soll.
„Die Größe des Berliner Schlosses mit seiner Fassadenfläche von 22 500 Quadratmetern werden wir erst realisieren, wenn es steht”, ist Just überzeugt. Umso wichtiger sei der Schmuck, der den monumentalen Bau wie schon vor 300 Jahren luftiger aussehen lässt – „wenn das Schloss nicht, dank der vielen Adler, sogar zu fliegen scheint”.
Wir entnahmen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung dem Lufthansa-Magazin 1 / 2014, das in großer Auflage weltweit auf allen Flügen der Deutschen Lufthansa zum Einsatz kommt.