„Und es bewegt sich doch“

03.10.2021  – Der Tagesspiegel

Ein Besuch auf der Baustelle des Einheitsdenkmals 

Das Berliner Einheitsdenkmal, lange ungeliebt und umstritten, nimmt endlich Gestalt an. Samt Nistkästen für umgesiedelte Fledermäuse.

Von Christiane Peitz

Zwei Wohnungen für die Fledermäuse hängen schon. Ein schwarzer Nistkasten als Mehrfamilienbehausung und eine quadratische graue Schatulle für Kleinfamilien, hübsch gekennzeichnet mit Fledermaus-Relief. Spätestens in einem Jahr können sie bezogen werden, und es kommen noch mehr hinzu.

Die Einweihung des Einheits- und Freiheitsdenkmals auf dem Schlossplatz ist für den 3. Oktober 2022 geplant, 15 Jahre nach dem ersten Bundestagsbeschluss 2007.

Im Unterbau des alten Kaiser-Wilhelm-Denkmals

Die Fledermäuse, der Denkmalschutz, die „Einheitswippe“, so der Volksmund, es ist eine lange, verwickelte Geschichte. Und eine ganz besondere Baustelle.

Wir stehen im historischen Gewölbe mit seinen Haupt- und Nebenkammern, in den Eingeweiden des Denkmals auf dem Schlossplatz. Das Fledermaus-Habitat hier im Unterbau des einstigen Kaiser-Wilhelm-Denkmals, dem Sockel fürs Einheitsdenkmal, hatte den Baubeginn vor Jahren verzögert.

Die Kolonie wurde umgesiedelt, nach der Fertigstellung dürfen die Wasserfledermäuse wieder rein.

Nun können die Tiere naturgemäß nicht wissen, bis wann sie noch stören würden. Für die Zeit der Bauarbeiten sind deshalb sämtliche Gewölbeöffnungen mit Pressspanplatten versperrt. Falls sich doch einmal ein Exemplar der gefährdeten Art hierherverirrt, macht ein Bewegungssensor Meldung.

Kommt gelegentlich vor, erzählt Projektleiter Petar Božić. Eine Biologin teilt den Baustellenleuten dann mit, dass eine Fledermaus in der Nacht von 4.38 Uhr bis 5.25 Uhr in den Katakomben herumflatterte. Retten können die Tiere sich durch eine der Kunststoffklappen am Spreekanal. Die Klappen sind als monodirektionale Schleusen konstruiert: Die Fledermaus kann nur rausfliegen, nicht aber wieder hinein.

Backstein, Stahlgerüste, Holzverschalungen, Beton: Bereitwillig führen Petar Božić vom Stuttgarter Büro Milla & Partner und sein Projektleiterkollege Till Waninger vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) die Besucherin durch das unterirdische Gewirr. Hinter einer Plane dümpelt der zwei Meter tiefe Mühlengraben, jene Wassersackgasse, die schon zu Zeiten des Kaiserdenkmals Richtung Schloss führte. Eine logistische Herausforderung, sagen sie, während unsere Handy-Taschenlampen flackern.

Derzeit stützt das Gerüst den Rohbau der Mulde, jenes gebogenen „Tischs“, der die begehbare Schale tragen wird. 50 Meter wird die Schale lang sein, auf deren rund 800 Quadratmetern dürfen sich dann bis zu 1600 Menschen aufhalten.

Die Mulde darunter, Božić sagt „Pfahlkopfplatte“ dazu, wird von sieben Bohrpfeilern getragen. Es sind wuchtige Säulen hier unten, 40 Meter tief wurden sie in den Berliner Sumpfgrund gerammt. So können sie, umgeben von einer Mergelschicht, die Kräfte der 150 Tonnen schweren kinetischen Schale direkt nach unten leiten, ohne dass das historische Gewölbe davon auch nur berührt würde. Die Schale selbst, eine riesige Stahlkonstruktion, wird derzeit im nordrhein-westfälischen Stemwede gefertigt.

Ein Tragring und 32 Tortenstücke, nächstes Jahr werden sie zusammengesetzt und getestet, bevor die Schale, wieder zerlegt, nach Berlin verschickt wird.

Mittlerweile sind wir aus dem Gewölbe, dessen unterirdischer Eingang die Anmutung eines Pharaonengrabs hat, nach oben gestiegen. Petar Božić rechnet vor: Damit die Schale sich neigt, braucht es 3,5 Tonnen Gewicht. Begeben sich also rund 50 Personen oder mehr gemeinsam von der einen auf die andere Seite der „Wippe“, kippt sie dort bis zu 1,60 Meter nach unten und hebt sich gegenüber.

Anders als auf einer Spielplatzschaukel

Es wird eine langsame Bewegung sein, anders als auf einer Spielplatzschaukel. „Man spürt keine Beschleunigungsenergie, auch keinen harten Anschlag“, hatte tags zuvor am Telefon bereits Sebastian Letz erklärt. Letz verantwortet im Stuttgarter Büro als Kreativdirektor das „Denkmal in Bewegung“.

Noch einmal erläutert er die Grundidee des Entwurfs, der nach dem gescheiterten ersten Wettbewerb beim zweiten Durchlauf zu den Siegern gehörte und 2011 den Zuschlag der Preisrichter erhielt. Die Begehung der Schale sei eine kommunikative Herausforderung. „Es ist ein gemeinsames Erlebnis, eine Verabredung, wie bei den Demonstrationen in der DDR 1989“, so Letz.

Als Erinnerung an die friedliche Revolution und als Würdigung des „urdemokratischen Verhaltens der Ostdeutschen“ stelle das Denkmal aber auch Fragen an die Zukunft. „Was traue ich mich, wie bringe ich mich ein, wie tue ich mich mit anderen zusammen?“

Als Milla & Partner (zunächst gemeinsam mit der Choreografin Sasha Waltz, bis man sich trennte) mit der Ausführung betraut wurde, dachten alle noch, die „Einheitswippe“ sei eine einfache Sache. Der Sockel des Nationaldenkmals von 1897 gleich vor dem Eosanderportal des Humboldt-Forums stand ja schon da. Schale drauf, fertig. Von wegen. Nicht nur die Tierschützer hatten ein Wort mitzureden, auch Protestbürger mischten sich ein, die hier lieber den Kaiser auf seinem Pferd wiedersehen würden.

Andere, darunter Kulturstaatsministerin Monika Grütters, verwiesen auf das Brandenburger Tor, das die deutsche Einheit doch ohnehin symbolisiere. Das „Denkmal in Bewegung“ blieb lange unbeliebt, umstritten. Die Deutschen, weltberühmt für ihre Erinnerungskultur, tun sich schwer mit dem Gedenken an ihre historische Tat einer unblutigen Revolution und den Mauerfall.

In Leipzig, der Stadt der Montagsdemonstrationen, wurde nach mehreren gescheiterten Initiativen erst kürzlich beschlossen, einen neuen Anlauf für ein eigenes Denkmal zu starten. In Berlin war es eine Zeit lang fast so wie beim Holocaustdenkmal: Die Debatte war das Denkmal.

Der Landesdenkmalschutz redete mit

Schließlich hatte auch der Landesdenkmalschutz ein Wort mitzureden, wegen der unter der Asphaltdecke freigelegten wilhelminischen Bodenmosaike. Ursprünglich sollten sie bleiben, inzwischen wurden sie abgetragen. Wann und wo sie der Öffentlichkeit wieder zugänglich sind, ist vorerst noch offen.

Tierschutz, Denkmalschutz, eine erregte Öffentlichkeit: Immer wieder rückte die Realisierung in weite Ferne. Bis die Haushälter des Bundes das Budget 2018 schließlich freigaben, 17 Millionen Euro. Na, ist es inzwischen schon teurer geworden?

Nein, der Kostenrahmen bleibt festgezurrt, schon deshalb, weil Milla & Partner zum Festpreis liefern. Was unter anderem daran liegt, dass es sich eher um ein Kunst-amBau-Projekt des Bundes handelt als um ein Hochbau-Vorhaben wie das Humboldt-Forum oder das Museum des 20. Jahrhunderts.

Was den Denkmalschutz betrifft, war es mit der Sicherung der Mosaike jedoch noch nicht getan. Das historische Gewölbe ist zwar kein öffentlicher Ort, künftig werden hier außer Fledermaus-Familiengründungen höchstens begleitete Begehungen stattfinden, schon wegen der fehlenden Notausgänge. Dennoch darf es durch das Einheitsdenkmal nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen werden.

Ganz schön knifflig: Eigentlich handelt es sich um zwei ineinander verschachtelte Bauten, einen historischen Sanierungsfall und ein gekrümmtes kinetisches Gebilde, das sich auch noch bewegt. Kein Wunder also, dass sich der Einweihungstermin nach dem ersten Spatenstich im Mai 2020 noch einmal verschoben hat. Der Frühjahrstermin, wie ihn Berlin noch immer auf seinem Hauptstadtportal annonciert, hat sich erledigt.

Beim Oktobertermin sind Letz, Božić und Waninger zuversichtlich. Sie loben die einvernehmliche Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege, man habe vernünftige Kompromisse geschlossen. Der Clou: Die Schale samt Unterbau bleibt statisch und optisch komplett vom Gewölbe abgekoppelt.

Niemand wird ausrutschen

Der „Tisch“ wurde in die Backsteinrundungen eingeschnitten, nur ein kleiner Teil des Gewölbes musste weichen, weniger als ursprünglich geplant. Einiges wird sogar wieder aufgemauert, die Bewehrungsstäbe dafür ragen schon aus dem Beton. Und der Abstand zwischen Alt und Neu wird deutlich durch Sichtfugen gekennzeichnet sein.

Auch der Übergang zwischen den historischen Sockeltreppen und -belägen zur Denkmalmulde mit den beidseitigen Treppen und Rampen (samt Südrampe für den barrierefreien Zugang) wird unübersehbar sein. Die Besucher:innen besteigen die Schale in der Mitte, dann können sie ausschwärmen. Und keine Sorge, niemand wird ausrutschen, bei Regen entsteht auch kein Tümpel. Das verhindert ein wasserdurchlässiger Edelsplittbelag, hohe Rutschfestigkeitsklasse.

Für den besonders glatten, mikrofaserverstärkten Leichtbeton beim obersten Muldenbelag wiederum werden eigens Skaterbahn-Experten hinzugezogen. Und damit sich niemand unterhalb der Schale einklemmen oder gar verletzen kann, wird rundherum ein engmaschiges Edelstahlnetz hängen. Auch der TÜV ist beim Einheitsdenkmal ständig dabei.

Wenn die Schale dann steht, wenn die Steinsäcke und der Sand am und im Mühlengraben, die jetzt das Gerüst fixieren, abtransportiert sind, wird letzte Hand angelegt. Erst ganz zum Schluss soll ein Teil des historischen Sockelbodens rund um die Mulde wieder angebracht werden. Nicht die Mosaike, sondern feingliedrige Beläge aus farbigem Originalstein, der witterungsbeständig gemacht werden muss.

Auch das dauert, nicht zuletzt wegen langer Bestell- und Produktionszeiten. Denkmalbauer brauchen Geduld. Als der Architekt und Szenograf Sebastian Letz mit den allerersten Planungen begann, war sein heute elfjähriger Sohn noch nicht einmal geboren. Und die Projektleiter, gibt es schlaflose Nächte? Petar Božić winkt ab. Zu einer anständigen Baustelle gehören Überraschungen, es ist ihr Job, sie zu meistern.

Nur als nach der Umsiedlung der Fledermäuse am Spreekanal auch noch ein Biber auftauchte und den Baum neben dem Gewölbe annagte, war seine Geduld kurzfristig doch strapaziert. Auch der unter Tierschutz stehende Biber durfte umziehen, endlich ging es los. Seitdem sind hinter dem Bauzaun auf der Schlossfreiheit meist zehn bis 20 Bauarbeiter beschäftigt.

Die Freitreppe für das Flussbad bereitet Sorgen

Nicht dass alle Hürden beseitigt wären. Sorgen bereitet den Verantwortlichen die geplante Freitreppe fürs Flussbad direkt neben dem Einheitsdenkmal. Vor allem wegen des Fahrstuhls (Barrierefreiheit!), der unmittelbar an das historische Gelände angrenzen soll. Wieso nicht auf die andere Seite der Freitreppe mit ihm, Richtung U-Bahn-Eingang? Und wieso müssen die Fahrradständer direkt am Fuß des Sockels platziert werden und die Sicht vom Humboldt-Forum beeinträchtigen?

Darüber gibt es Streit mit dem Senat für Stadtentwicklung, ein Anwaltsschreiben wurde im Frühjahr verschickt. „Ich halte die aktuellen Planungen für rücksichtslos gegenüber dem Denkmal, hoffe aber immer noch auf eine Lösung für eine bessere Gestaltung des Umfeldes“, sagt Letz. Ansprechpartner noch unbekannt: Bevor der Konflikt gelöst werden kann, muss erst mal die neue Berliner Regierung stehen.

Es bleibt also spannend auf der Baustelle. Bei so einem „Denkmal in Bewegung“ ist ständig was in Bewegung, nicht erst nach der Einweihung.

 

Textquelle: Der Tagesspiegel, 03.10.2021

Ein Kommentar zu “„Und es bewegt sich doch“

  1. Die Wippe war einst Gegenstand kritischer Kommentare hier. Jetzt Schweigen. Ich hatte auch zu jenen gehört, die das alte Schlossumfeld bevorzugt hätten. Aber wer weiß. Bekanntlich hatte in Paris der Bau des Eifelturms zunächst viel Unmut erzeugt, und heute ist er die Hauptattraktion dort. Vielleicht ergeht es der Wippe ähnlich!?
    Nach obigen Angaben erfordert es 3,5 Tonnen Gewicht, um eine Neigung der Wippe zu beginnen, also – wenn man wie bei Fahrstühlen ein mittleres Gewicht von 80 kg pro Person annimmt – bei 3500/80 = 43,75, also ungefähr 50 Personen. D.h. bei 50 Personen ist eine Bewegung noch gar nicht wahrnehmbar. Die maximale Schwingungs-Auslenkung wird oben als 1,60 Meter angegeben und benötigt dazu 1600 Personen. Das lustige Abenteuer von einer Busladung Touristen oder von Schulklassen sich zu schaukeln ist damit praktisch ausgeschlossen. Eine minimale wahrnehmbare Bewegung benötigt schon so viele Menschen, wie sich zu diesem Zweck kaum zusammenfinden werden – ganz abgesehen davon, dass solche Menge sehr wahrscheinlich polizeilich überhaupt nicht zugelassen wird. Selbst die maximale Schwingungs-Auslenkung von 1,60 Metern zu erleben ist für einen Touristen „nothing to write home about“. Angesichts dieser Enttäuschung oder Täuschung könnte man auf den Schaukelmechanismus ganz verzichten – hätte dann aber nur die rein menschliche Bewegung.

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