„Das Schloss muss fallen“

04.09.2020 Freie Presse

Von Michael Ossenkopp

Für die DDR war es ein Relikt aus der Vergangenheit, ein Symbol für preußischen Militarismus und Imperialismus. Das Berliner Schloss passte nicht mehr in den jungen Arbeiter- und Bauernstaat. Vor 70 Jahren, am 7. September 1950, begann die SED mit der Sprengung der Bombenruine des barocken Bauwerks. Heute jedoch sieht wieder alles ganz anders aus.

 

Das Berliner Schloss nach Kriegsende 1945

 

Im Zweiten Weltkrieg war das Schloss am 3. Februar 1945 bei einem alliierten Luftangriff von mehreren Spreng- und unzähligen Brandbomben getroffen worden und brannte vier Tage lang zu weiten Teilen aus. Im Juli 1950 beschloss der Ministerrat der DDR unter Führung von SED-Generalsekretär Walter Ulbricht, das ungeliebte Relikt aus monarchischen Zeiten sprengen zu lassen. 2002 fällte der Deutsche Bundestag eine Entscheidung für den Wiederaufbau, außen ist das Humboldt-Forum ein teilweiser Nachbau des Königlichen Schlosses von Andreas Schlüter, innen ein vollständiger Neubau nach Plänen des italienischen Architekten Franco Stella.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung Berlins verhinderte 1948 der für das Schloss verantwortliche Ost-Berliner Magistrat nach und nach die weitere Nutzung, Sicherung und Beheizung. Mit Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 war die Zuständigkeit für den Wiederaufbau des Berliner Stadtzentrums an eine Abteilung des „Ministeriums für Aufbau“ übergegangen. Obwohl das riesige Bauwerk weniger zerstört war als beispielsweise das Charlottenburger Schloss, sperrte die Bauaufsichtsbehörde den Zutritt wegen angeblicher Einsturzgefahr. Dabei waren die bis zu zwei Meter dicken Mauern vielerorts noch festgefügt.

Die sozialistische Staatsführung Ostdeutschlands wollte die preußische Geschichte aus ideologischen Gründen tilgen. „Das Zentrum unserer Hauptstadt, der Lustgarten und das Gebiet der jetzigen Schlossruine, müssen zu dem großen Demonstrationsplatz werden, auf dem der Kampfwille und Aufbauwille unseres Volkes Ausdruck anden können“, forderte Ulbricht am 23. Juli 1950 auf dem 3. Parteitag der SED. DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl blies ins gleiche Horn: „Jetzt schreien alle, und wenn das Schloss weg ist, kräht kein Hahn mehr danach.“ Auch der Ost-Berliner Oberbürgermeister Fritz Ebert verkündete unter dem Beifall der Volkskammerabgeordneten: „Das Schloss muss fallen.“

Doch es gab auch andere Stimmen, selbst in der DDR. „In Anbetracht dessen, dass das Schloss ein Zeuge der Berliner Baukunst durch fünf Jahrhunderte ist, wendet sich die Deutsche Akademie der Wissenschaften mit schwersten Bedenken gegen eine etwa geplante endgültige Zerstörung“, stellte Akademie-Präsident Professor Johannes Stroux fest. Und der Dekan der Kunsthistorischen Fakultät der Ost-Berliner Humboldt-Universität, Professor Richard Hamann, äußerte seinen Unmut über den geplanten Abriss: „Solange man mir den Mund nicht gewaltsam verschließt, werde ich nicht aufhören, gegen den Beschluss zu protestieren …“

Kunsthistoriker aus aller Welt sprachen sich vergeblich für den Erhalt der Ruine und deren baldige Rekonstruktion aus. Ein vom Ministerium für Bauwesen der DDR beauftragtes Architektengutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Wiederaufbau lediglich 32 Millionen DDR-Mark kosten würde. Doch all das konnte den Abriss nicht aufhalten. Am 6. September 1950 stimmte die Volkskammer für die Beseitigung, bereits am darauffolgenden Tag begannen die Arbeiten. Von der Zerstörung verschont blieben nur wenige Stücke. Zeitzeuge Heinrich Wulf gehörte damals zu den Studenten, die im „wissenschaftlichen Kollektiv“ von der Schlossruine Zeichnungen anfertigen sollten. Später erinnerte er sich: „Im Schlüterhof standen sogar noch Figuren unbeschädigt auf ihren Sockeln. Von Abriss war nicht die Rede. Schließlich mussten wir dann doch fassungslos zusehen.“

Mitglieder der FDJ wurden zu „freiwilligen Schichten“ in die Schlossruine abkommandiert. Die Sprengungen auf der weiträumig abgesperrten Museumsinsel dauerten drei Monate. Täglich fuhren Dutzende Lkws die Trümmerreste in militärische Sperrgebiete im Umland. Bis zu den Feierlichkeiten am 1. Mai 1951 war der Platz eingeebnet und mit rotem Ziegelsplitt bedeckt, an der Ostseite wurde eine Tribüne errichtet.

Bis auf einige Großdemonstrationen und Militärparaden blieb der Platz bis in die 1970er-Jahre weitgehend ungenutzt. Erst Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker veranlasste die Errichtung eines Mehrzweckgebäudes auf dem nun in Marx-Engels-Platz umbenannten Areal. Hier entstand bis 1976 der Palast der Republik, der als Sitz der Volkskammer diente. Nach der Wende wurde das Gebäude wegen Asbestbelastung geschlossen und bis auf den Rohbau abgetragen, 2008 folgte der endgültige Abriss.

In der Mitte Berlins gelegen, war das Königliche Schloss Schauplatz wichtiger Ereignisse und Wendungen der deutschen Geschichte. Mit dem Alten Museum, dem Berliner Dom und dem Zeughaus bildete es ein programmatisches Gebäudeensemble der preußischen Hauptstadt. Den Grundstein hatte am 31. Juli 1443 Friedrich II., Kurfürst der Mark Brandenburg, vor den Toren der damals noch unbedeutenden Doppelstadt Berlin/Cölln gelegt. Baumeister Andreas Schlüter prägte das Gebäude zwischen 1698 und 1713 im Auftrag des späteren preußischen Königs Friedrich I. durch seine Umbauten. Wegen seiner ausschweifenden Architektur galt er als „Michelangelo des Nordens“.

Im Zuge der Märzrevolution 1848 demonstrierten Bürger auf dem Schlossplatz für Grundrechte und für die Einigung der Fürstentümer zu einer deutschen Nation. Zum Beginn des Ersten Weltkriegs am 1. August 1914 sagte Kaiser Wilhelm II. vom Schlossbalkon aus: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.“ Am 9. November 1918 verkündete hier Karl Liebknecht das Ende der Monarchie und rief die „freie sozialistische Republik Deutschland“ aus. Allerdings hatte zwei Stunden zuvor bereits Philipp Scheidemann vom Reichstag aus die Republik ausgerufen.

In der Weimarer Republik verlor das Schloss seine staatspolitische Bedeutung; Die Nationalsozialisten nutzten mit Vorliebe den Lustgarten davor, um ihre Aufmärsche zu veranstalten. Nach alliierten Luftangriffen brannte das Schloss bis auf den Nordwestgügel aus. Das Feuer vernichtete nahezu alle Prunkräume.

Die neue Grundsteinlegung für den Wiederaufbau des Schlosses erfolgte am 12. Juni 2013 durch Bundespräsident Joachim Gauck. Die für 2019 geplante Eröffnung als interkulturelles Zentrum mit Museen, Bibliothek, Universität und Veranstaltungsbereichen musste verschoben werden. Nun soll das Humboldt- Forum Ende 2020 zumindest teilweise eröffnen. Hauptnutzer wird die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sein, auch das Land Berlin und die Humboldt-Universität bekommen hier Flächen. Die Gesamtkosten für das Projekt belaufen sich inklusive Ingationsausgleich auf 644 Millionen Euro. Drei der vier Außenfassaden im barocken Stil wurden durch private Spenden in Höhe von 105 Millionen Euro finanziert.

 

Quelle: Freie Presse, 04.09.2020

 

 

 

4 Kommentare zu “„Das Schloss muss fallen“

  1. Zitat: „Die sozialistische Staatsführung Ostdeutschlands wollte die preußische Geschichte aus ideologischen Gründen tilgen.“
    Ähm, und was bitte ist am Abriss des Palastes und Neubau des Schlosses nun anders?
    Ich meine, man hat den Palast ja nicht einfach nur sang und klanglos abgerissen, nein, man hat die Geschichte selbst getilgt und tut mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln so, als hätte diese Zeit niemals stattgefunden?

    1. Wer könnte nicht all die stolzen DDR-Bürger verstehen, die glaubten (und zum Teil auch bis heute noch glauben), man habe ihnen ihren Palast der Republik gestohlen. Aber was hätte statt eines Totalabrisses für eine Alternative bestanden? Das Bauwerk war nachweislich dermaßen mit Asbest verseucht, dass man ohnehin alles bis auf das Gerüst hätte abbauen und das Gerüst selbst vom Asbest befreien müssen. Am Ende wäre es auf einen Beinahe-Neubau hinausgelaufen. Der jedoch hätte der phantastischen Idee vom Schloss-Neubau im Wege gestanden. Also hat man sich doch zum Totalabriss entschlossen, und das war, wie man heute sehen kann, auch besser so. Wir unterstützen die Wiedererrichtung des Berliner Stadtschlosses (auch finanziell) aus tiefer Seele und freuen uns, dass diese Idee Wirklichkeit werden konnte. Wir wünschen dem Schlossbau-Verein alles Gute auf seinem Weg zur Vollendung!

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