„Einheitswippe: Bauarbeiten beginnen mitten in der Corona-Krise“

20.05.2020 Berliner Zeitung

Zum Baubeginn des umstrittenen Freiheits- und Einheitsdenkmals an der Schlossfreiheit hagelt es Kritik von allen Seiten.

Von Ulrich Paul

Wenige Tage nachdem bekannt wurde, dass sich die Arbeiten auf der Schloss-Baustelle in Mitte wegen der Corona-Pandemie verzögern, haben am Dienstag direkt daneben die Arbeiten für ein weiteres Bauprojekt begonnen: für das umstrittene Freiheits- und Einheitsdenkmal an der Schlossfreiheit.

Während sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) erleichtert zeigt, dass nun „endlich mit dem Bau des Freiheits- und Einheitsdenkmals begonnen werden kann“, hagelt es Kritik von vielen Seiten. „Wir protestieren gegen diesen Baubeginn und gegen die Realisierung des Denkmals“, sagt Annette Ahme, Vorsitzende des Vereins Berliner Historische Mitte. „Dieses Denkmal passt nicht mehr in die Zeit.“ Angesichts der Corona-Krise täten sich riesige Haushaltslöcher auf. Die Kulturstaatsministerin sollte das Geld für das Projekt – 17,12 Millionen Euro – lieber nehmen „und an bedürftige Künstler verteilen“.

Hinzu komme, dass das Denkmal für den Betrieb im Winter mit einer Bodenheizung ausgestattet werden soll. Das bedeute, dass man in die Luft heize. Das sei „klimatologisch aus der Zeit gefallen“. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch (Linke) sieht es ähnlich. „Der Bundesregierung ist jedes Gefühl für Prioritäten abhanden gekommen“, bemängelt Lötzsch. „In der Corona-Krise fehlen Bauarbeiter an allen Ecken und Enden.“ In dieser Situation, ein „völlig überholtes Konzept zu realisieren, zeigt die Ignoranz der Bundesregierung gegenüber der Wirklichkeit“, kritisiert Lötzsch.

Begehbare Schale

Das Freiheits- und Einheitsdenkmal soll nach Plänen des Büros Milla & Partner entstehen. Der Entwurf mit dem Titel „Bürger in Bewegung“ sieht den Bau einer begehbaren Schale als Verkörperung einer Bürgerbewegung vor. Die Schale soll sich, je nachdem, wie die Personen darauf stehen, in die eine oder andere Richtung bewegen.

Errichtet werden soll das Denkmal auf dem Sockel des früheren Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals, das denkmalgeschützt ist. Zwar gibt es seit 2015 eine Baugenehmigung für das Projekt, die im September vergangenen Jahres verlängert worden ist, doch machen Denkmalschützer trotzdem Bedenken geltend. Denn zum einen soll die Einheitswippe auf dicken Betonpfeilern durch den historischen Sockel des früheren Nationaldenkmals hindurch befestigt werden. Zum anderen will der Bund nach Angaben der Denkmalschützer historische Mosaike, die zwischenzeitlich dort geborgen wurden, nicht wieder einbauen.

„Gegen die beabsichtigten Eingriffe in den denkmalgeschützten kaiserzeitlichen Denkmalsockel und den beabsichtigten Verzicht auf die Rückführung der zu ihrer Restaurierung geborgenen, gut erhaltenen und kunsthistorisch wertvollen Mosaike auf den Sockel bestehen aus der Sicht des Landesdenkmalamtes erhebliche denkmalpflegerische Bedenken“, teilte die Senatsverwaltung für Kultur am Dienstag mit. Die Gründung und Verankerung des Freiheits- und Einheitsdenkmals führe zu „weitreichenden Abbrüchen des Denkmalsockels und dadurch zu unersetzlichen Verlusten an Authentizität, Substanz und Qualität des Denkmalsockels“. Dies sei umso bedauerlicher, als der Denkmalsockel neben den Resten der Schlosskeller das einzige in seiner originalen Substanz erhaltene Gebäudefragment des ehemaligen Schlosskomplexes sei.

Immerhin: Über die Zukunft der Fledermäuse im historischen Sockel gibt es nach Angaben der Kulturstaatsministerin und der Senatsumweltverwaltung eine Einigung. Die Fledermäuse sollen während der Bauarbeiten an nahe gelegenen Brückenbauwerken unterkommen und nach dem Bauende wieder in das Sockelgewölbe zurückkehren können. Das Büro Milla & Partner verteidigt den Baustart mitten in der Corona-Krise und erklärt, es freue sich, „einen kleinen Beitrag zur Stabilisierung der Wirtschaft leisten“ zu können. Lieferketten seien nicht bedroht. Es gehe davon aus, dass das Denkmal in eineinhalb Jahren fertiggestellt werde und wohl in zwei Jahren eröffnet werden könne.

Anderer Standort vorgeschlagen

Während die Kulturstaatsministerin hofft, dass das Denkmal nach seiner Fertigstellung „breite Akzeptanz“ erfährt, mag sich Wilhelm von Boddien, Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss, mit dem Projekt nicht anfreunden. „Ich bin traurig, dass das Denkmal jetzt doch gebaut wird“, sagt er.

Wenn ein solches Denkmal schon entstehen soll, dann wäre der geeignete Platz dafür zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Paul-Löbe-Haus des Bundestags. Von Boddien: „Weil es Abgeordnete und Regierung daran erinnern würde, was das höchste Gut unserer Demokratie ist: Freiheit und Einheit.“

Quelle: Berliner Zeitung, 20.05.2020

7 Kommentare zu “„Einheitswippe: Bauarbeiten beginnen mitten in der Corona-Krise“

  1. Jetzt bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. In meiner Heimatstadt gab es eine ähnliche Geschichte: Hierbei wurde ein Gymnasium aus der Gründerzeit abgebrochen und eine neue Universitätsbibliothek gebaut, von der jemand sagte, das Maginot, ein französischer Festungsbauer, noch etwas hätte abschauen können. Jahre später wurde das Gebäude abgetragen und in Stahl-Glas-Bauweise wiedererrichtet. Im Zuge dessen wurde noch die Umgebung neu gestaltet. Das Gleiche geschieht nun am Schloss und daher muss man schauen, was dabei herauskommt. Sch…. kann man danach immer noch sagen. Ob die „Einheitswippe“ zwischen den Abgeordnetenhäusern zur Geltung kommt oder vor dem Reichstag (Bundestag), hätte man mit Hilfe von Modellen oder Animationen herausfinden können. Schließlich hat man ja auch das Schloss am Palast der Republik dargestellt, in dem man die Glasfassade mit dem Bild der Außenwände des Vorgängerbaus verhängte

  2. Es muss nun wirklich einmal Bilanz gezogen werden — über das Erreichte, aber auch Geplante und Begonnene. Fakt: Die Welt und Berlin haben ein architektonisches Kleinod zurück, mehr noch, ein Höhepunkt in einem einzigartigen Ensemble, architektonisches Erbe der letzten 300 Jahre und von der Mehrheit aller, die es nun fast vollendet sehen, als ästhetisches Labsal empfunden — um nicht zu spekulieren: das wird so sein! Beschämend und unverständlich die Massnahmen der Planer, das nicht unwichtige Umfeld unfertig zu lassen… bzw. bewusst durch moderne einerseits langweilige, uninspirierte und ökologisch anfechtbare und adererseits reißerische Kontrapunkte zu belegen. Die Steinwüste des Umfeldes ohne die historischen Elemente und die Wippe sind gemeint. Tragisch und doch bewusst inszeniert, um ja nicht die gewonnene barocke Pracht und ästhetische Prägnanz ungetrübt wirken zu lassen. Berlin sollte sich schämen, die nötige Sensibilität bei der Vollendung des wunderbaren Geschenks Vieler an die Stadt vermissen zu lassen — das sage ich als kleiner Spender und sicher
    im Einklang mit vielen seit Jahrzehnten für das Projekt Kämpfenden. Peinlich, wie das Für und Wider um das historische Grün, die Skulpturen und den Neptunbrunnen zerredet und per bürokratische und weltanschauliche Stellschrauben verhindert werden. Normal Denkende, Unbefangene, nicht durch verbohrte Altlasten Geprägte würden sich einfach freuen, und alles daran setzten, ein Ensemble im idealen Kontext zu verwirklichen. Aber nein: man hat den Eindruck, Verwässern und Kontra sind Selbstzweck einiger Entscheider — die Wippe ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen, da sie natürlich von der Hauptfront des Schlosses ablenken wird und soll, als Event und gewollte Ärgernis; wo sie doch per se genial ist und an anderen Orten mehr ideellen Wert hätte und genauso Anziehungskraft hätte, aber eben nicht das am Schlossplatz dominierende Objekt stören würde. Danke an alle, die das abgenickt haben und sich nicht etwas sensibler mit der zwingenden Alternative auseinandersetzen …. Als Bürger diese Landes hat man genauso Berechtigung das Optimum dieses Ortes zu wollen wie jeder einzelne Berliner, denn es geht um national-kulturelles Erbe. Vielleicht hätte man das „Volk“ mehr einbeziehen und informieren sollen, Viele werden es hinnehmen und leider nie erfahren, wieviel besser das Gesamtensemble hätte werden können. Zumal Vieles von dem Erwähnten ja noch erhalten ist, deplaziert untergebracht bzw. auch leicht schöpferisch ergänzbar ist. Berliner Architektur-Brei wieder mal. An vielen Ecken zu entdecken, wenn man offenen Auges durch die Stadt geht oder fährt.

  3. Es ist ziemlich armselig, den C-Irrsinn gegen dieses unsägliche Projekt ins Feld zu führen. Solcher herbeigezogener „Argumente“ bedarf es nicht; damit dokumentiert man nur, keine tatsächlichen Fakten für eine nicht verhandelbare Ablehnung (und die ist geboten!) parat zu haben. Leider haben es nun die Gegner eines Humboldt-Forum’s in historischem Gewand geschafft, das Projekt aus allen vier Himmelrichtungen zu konterkarieren. Im Osten die schlimme Fassade zzgl. äußerst nüchterner Uferpromenaden-Gestaltung, im Süden die sich abzeichnende Steinwüste, im Norden die völlig deplazierten Materialien bei der Einfassung der „Schlossterassen“ und nun im Westen als Krönung diese alberne „Einheits“Wippe !

  4. Eine Option bleibt immer offen: Man kann diese Einheitswippe jederzeit wieder abreißen und durch eine originalgetreue Rekonstruktion des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals ersetzen.

  5. Ist die Idee eines Denkmals für die Deutsche Einheit schlecht? Nein. Ist sie angemessen, um dem Erinnerungsgedanken an die Deutsche Einheit Rechnung zu tragen und auch am richtigen Standort? Nein!
    Das Denkmal ist nicht selbsterklärend. Touristen aus dem Ausland werden dieses Denkmal, das uns in Bezug auf das historische Ereignis der Wiedervereinigung so wichtig sein sollte, vermutlich als überdimensionales Spielzeug für Menschgruppen begreifen. Dafür ist es in Zeiten wie diesen jedoch schlicht zu teuer, wenn es seinen Zweck nicht erfüllt. Der Standort der Wippe hat eine Öffentlichkeit, die grundsätzlich wünschenswert für eine Wahrnehmung ist und den Anstoß zur Erinnerung bietet. Aber die Gestaltung an genau jenem Ort zerstört das neue verbesserte Stadtbild, das man mit dem Aufbau des Berliner Schlosses gerade zu schaffen im Begriff war. Das historische Ensemble der Gebäude mit seinen Fassaden wird empfindlich gestört. Gegensätze von Alt/Historisch und modern/schlicht sind nicht immer ein Gewinn. Wie hier an anderer Stelle bereits bemerkt wurde, ist der Wiederaufbau des Schlosses und damit die Wiederherstellung historischer Bezüge in Berlins Stadtmitte zu wesentlichen Teilen eine Leistung von Spendern aus der Bevölkerung. Das Verpflanzen einer Wippe an die geplante Stelle ist ein Schlag ins Gesicht jener Bestrebungen und Unterstützungen der vielen Spender. Wenn die Politik sich (und ggf. auch anderen) ein Denkmal von solch brutaler Schlichtheit in Betonbauweise setzen möchte, warum dann nicht in einem Park oder im Zusammenhang mit modernen Gebäuden? Es wird die Chance vertan, auch im Umfeld des Schlosses -ob in naher oder ferner Zukunft- Flächen zu schaffen, die mit dem Berliner Schloss und den weiteren wichtigen historischen Zeugnissen drum herum harmonisch wirken und in den geschichtlichen Kontext passen. Ich habe Bilder von sehr schönen Grünanlagen gesehen, welche einst vor dem alten Schloss zum Verweilen einluden. Welch ein Gewinn wäre es, wenn solche Flächen den Besuchern der kommenden Ausstellungen des Schlosses und der umliegenden Sehenswürdigkeiten ebenfalls Raum zum Verweilen bieten würden. Die historischen Denkmäler passten zu diesen Grünanlagen in der Nähe zum Schloss wunderbar. Was spricht gegen die Schaffung solcher Flächen mit den früheren Denkmälern im heutigen Deutschland? Vermutlich allein unser gestörtes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit. Deshalb vermutlich auch das Denkmal der nichtssagenden Wippe. Ich meine, es schadet nicht, dass die Bürger auch an das Kaiserreich Wilhelm I. als Teil ihrer Geschichte erinnert werden, das erst 1871 durch die Beendigung der deutschen Vielstaaterei durch Einigung gegründet wurde. Die Wiederherstellung des Nationaldenkmals am Schloss ist für mich die einzig richtige Entscheidung. Möge die Wippe einen anderen Platz finden, aber bitte ohne Fußbodenheizung in einer Zeit, in der jeder Bürger in unterschiedlichsten Lebensbereichen zum Energiesparen verdonnert und deshalb mit Mehrkosten belastet wird. Vielleicht lässt sich ja die Fridays for Future-Bewegung für Demonstrationen gegen die Wippe und für die Wiederherstellung der Grünanlagen gewinnen.

  6. Tja, leider alles schon entschieden worden und in naher Zukunft unumkehrbar. Als alter Mensch und Spender stimme ich Ihnen zu, besonders den letzten Passagen. Nächstes Jahr im Januar jährt sich zum 150. Mal die Reichsgründung von 1871 – einer der glücklichsten Momente in der deutschen Geschichte. Ich hatte vor diversen Monaten Frau Ministerin Prof. Grütters brieflich vorgeschlagen wenigstens am Boden unter der Wippe mit einer Tafel an das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal, das aus Spenden des deutschen Volkes errichtet wurde, zu erinnern, aber keine Antwort erhalten. Gestern war Spatenstich für die Wippe – war dieser Akt angekündigt worden? Am Rand des Webcam-Bildes, Westseite des Schlosses, waren nur wenige Leute zu sehen, die daran teilnahmen. Kein großes Interesse. Wo war die große Mehrheit im Bundestag, die dem zugestimmt hatte? Noch erschöpft von den vielen Gedenkfeiern in den vergangenen Monaten?

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