„Humboldt Forum: Die Touristen werden in Scharen kommen“

19.01.2020 Berliner Morgenpost

Im Humboldt Forum soll im September die Berlin-Ausstellung eröffnen. Ein Gespräch mit dem Museumsdirektor Paul Spies.

Von Felix Müller

Es wird ein wichtiges Jahr für Paul Spies, Museumsdirektor der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Denn Berlin feiert ein besonderes Jubiläum – die Gründung von Groß-Berlin vor 100 Jahren. Und im Humboldt Forum im Herzen der Stadt soll im September die neue imposante Berlin-Ausstellung eröffnet werden. Ein Gespräch mit dem 60-Jährigen Museumsdirektor über Chancen und Herausforderungen.

Berliner Morgenpost: Herr Spies, der Stiftung Stadtmuseum Berlin steht ein großes Jahr bevor. Das Märkische Museum soll umfassend renoviert und durch das Marinehaus erweitert werden. Außerdem steht im September die Eröffnung der Berlin-Ausstellung im Humboldt Forum an. Läuft alles nach Plan?

Paul Spies: Ja, aber in Berlin gilt der Satz: „Slow is the new fast.“ Als ich 2016 hier anfing, waren die 65 Millionen Euro für die Renovierung des Märkischen Museums und das Marinehaus bereits zugesagt. Das Marinehaus war einmal ein Ballsaal für die Marine in Berlin, wir wollen dort ein CityLab eröffnen, einen Ort, wo wir aktiv mit unseren Besuchern ins Gespräch kommen können. Erst im vergangenen Jahr wurde entschieden, wie die Bau- und Renovierungsprozesse genau weitergehen. Wir schließen das Märkische Museum Ende 2022, können also erst Anfang 2023 anfangen mit den Bauarbeiten. 2025/26 soll es dann eröffnen. Ich kann darüber nicht klagen, wir nutzen ja die Wartezeit gut mit unserer Ausstellung zum Thema Groß-Berlin im Märkischen Museum.

Und die Ausstellung im Humboldt Forum, für die Sie der Chefkurator sind?

Das gesamte Humboldt Forum ist gedacht als ein Ort der Begegnung der Kontinente und der Weltkulturen. Berlin hat im ersten Stock eine Fläche mit 4000 Quadratmetern. Wir wollen die globale Verflechtung der Stadt in Geschichte und Gegenwart reflektieren. Was ist die Weltgeschichte von Berlin? Was kam aus der Welt nach Berlin? Was ist hier passiert? Wo hat Berlin Einfluss genommen? Es ist eine lokale Geschichte über Globalität. Es ist eine populäre Ausstellung gegen Populismus. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, für wen wir das machen. Die Berliner werden kommen und diese Ausstellung wahrnehmen und, weil es ja ein partizipatives Projekt ist, auch mitmachen.

Dafür sollen sie aber Geld bezahlen. Die Berlin-Ausstellung wird ein Eintrittsgeld verlangen, während für die anderen Ausstellungen freier Eintritt gilt.

Das stimmt so nicht, es gibt nicht überall freien Eintritt im Humboldt Forum. Die Ausstellungen im Erdgeschoss, die vom Humboldt Forum selbst betrieben werden, werden auch eines Tages Eintrittsgeld verlangen. Wenn wir im September eröffnen, gibt es ja zunächst nur zwei geöffnete Stockwerke im Haus: Unten die Geschichte des Ortes mit freiem Eintritt und die Sonderausstellung, die nur für eine Weile freien Eintritt haben wird, und im ersten Stockwerk die Berlin-Ausstellung und das Humboldt Labor der HU. Das versuche ich jetzt auch für Berlin zu bekommen: Freien Eintritt in genau dieser Zeit, wenn unten zum Beispiel die Elfenbeinausstellung auch freien Eintritt bietet. Später wird der Eintritt für die Berlin-Ausstellung dann bei sieben Euro liegen – und für viele Besuchergruppen wird der Eintritt generell frei sein.

Wird das die Besucher nicht abschrecken?

Das glaube ich nicht. Die Berlin-Ausstellung ist für viele Besucher einer der Gründe, das Humboldt Forum zu besuchen. Die Touristen werden in Scharen kommen – und die Berliner auch.

Wissen Sie, wann alle Ausstellungen im Humboldt Forum zugänglich sein werden?

Wenn wir im September eröffnen, denke ich nicht, dass innerhalb von drei Monaten die zweite Eröffnung stattfindet. Ich denke, das kann noch länger dauern. Das steht aber noch nicht fest, das hängt an technischen Fragen.

Wenn ich im Humboldt Forum auf 4000 Quadratmetern Berlin erleben kann, warum soll ich dann eigentlich noch ins Märkische Museum gehen? Macht sich das Stadtmuseum hier nicht unnötig selbst Konkurrenz?

Das Märkische Museum steht für Chronologie, für Sammlung, für die politischen Themen der Stadt. Es bleibt der Ort für die Geschichte Berlins. Und Konkurrenz in der Stadt sind wir seit vielen Jahren gewöhnt: die Gedenkstätte Berliner Mauer, das Holocaust-Mahnmal und so weiter. Wir haben auch kommerzielle Konkurrenz wie den Berlin-Story-Bunker in Schöneberg. Da muss man seine Häuser klug profilieren. Das Gebäude des Märkischen Museums ist ein Erlebnis für sich, ein Juwel. Das Haus ist eine Art Zeitmaschine, das werden wir noch stärker hervorheben.

Vor 100 Jahren wurde Berlin mit dem Groß-Berlin-Gesetz zur Weltmetropole mit fast vier Millionen Einwohnern. Was genau planen Sie für die Ausstellung, die Ende April eröffnen soll?

Ich glaube ja nicht an enzyklopädische Ausstellungen, die finde ich anstrengend. Wir möchten ja auch Menschen erreichen, die nicht regelmäßig ins Museum gehen. Zuerst soll man einen Überblick bekommen: Darüber, was für ein unwahrscheinlicher Moment das politisch 1920 war, dass es unter diesen Umständen überhaupt zu so einem dezentralen Konglomerat gekommen ist. Wie konnte im Chaos der Weimarer Republik so eine Entscheidung überhaupt getroffen werden? Jeder Bezirk konnte damals seine eigenen Bedingungen stellen. Und dann kommen wir mit den Fragen, was es gebracht hat: Wohnungsbau, Transport, öffentliche Verkehrsmittel, Wasserversorgung, Gasversorgung: Alles wurde auf einmal möglich. Und dann wollen wir schnell den Sprung in die Gegenwart machen: Wie können wir jetzt in dieser Stadt weitermachen mit diesen Bedingungen. Wir wissen, dass sich die Stadt vor 100 Jahren politisch erweitern und eine Entscheidung treffen musste, die schmerzlich für die reichen Bezirke war. Und jetzt haben wir die gleiche Lage: Der Sprung nach Brandenburg muss gemacht werden, weil die Stadt voll ist. Und diesen Sprung kann man nur tun, wenn man auf Augenhöhe ins Gespräch kommt. Und das ist meine holländische Überzeugung: Ich poldere, sagt man in Holland, wenn man gemeinsam einen Polder leer pumpt und trockene Füße hat – dank einer Kooperation.

Wie steht es denn um die Besucherzahlen im Märkischen Museum? Steigt das Interessse an der Berliner Geschichte?

Wir hatten im letzten Jahr den größten Besucherzuspruch seit das Museum Nikolaikirche Eintritt erhebt (2008) mit 275.000 Besucher – ein Scoop. Die Ost-Berlin-Ausstellung im Ephraim-Palais war sehr erfolgreich, wir hatten ein volles Programm ohne zwischenzeitliche Verbauungen. Und Themen, die ansprechen. Das werden wir nächstes Jahr nicht erreichen können, weil das Ephraim-Palais geschlossen hat, um eine Elektroanlage zu erneuern. Groß-Berlin muss zuerst alleine und ab September zusammen mit dem Humboldt Forum die Zahlen erreichen. Vielleicht gelingt es mit Zehntausenden Besuchern noch einmal, ich bin da zuversichtlich. Die Berlin-Ausstellung im Humboldt Forum wird phänomenal.

Können Sie genauer sagen, wer Ihre Häuser in Berlin besucht? Sind das hauptsächlich Touristen?

Nein. Im Märkischen Museum sind es zirka 20 Prozent. Im Ephraim-Palais sind es ungefähr gleich viel, in der Nikolaikirche hatten wir im vergangenen Jahr tatsächlich mehr als 50 Prozent Touristen. Die Touristen besuchen eigentlich Mitte als historischen Ort für Berlin. Es ist schon krass, dass wir da Eintritt verlangen, aber wir erweitern das Angebot ja auch gelegentlich mit Kunstausstellungen wie im vergangenen Jahr mit dem riesigen gefallenen Kreuz.

 

Quelle: Berliner Morgenpost, 19.01.2020

 

Ein Kommentar zu “„Humboldt Forum: Die Touristen werden in Scharen kommen“

  1. Ja, hoffen wir, dass die Touristen in Scharen kommen. Dass ein „Gross-Berlin´´ vor hundert Jahren proklamiert wurde, war mir unbekannt. Mir ist ein anderes Ereignis bekannt, das Berlin betrifft und das sich am 18. Januar 2021 zum 150. Mal jährt, also sehr genau zum Zeitpunkt der oben genannten Ausstellungseröffnung: Die „Wiederaufrichtung des deutsche Reiches als Bundesstaat´´ (so der Wortlaut im Geschichtsbuch) nachdem des alte Reich von Napoleon Bonaparte zerstört worden war. In diesem Bundesstaat leben wir heute – kein Grund für Herrn Spies daran zu erinnern?? Die Franzosen erinnern sich noch gern an ihre Siege von Napoleon I, selbst in ihrem gegenwärtigen Streik las ich auf einem Plakat „Austerlitz en greve´´. Sie wollen siegen in ihrem Streik wie in Jena und Austerlitz (s. auch deren U-Bahn-Stationen). Dass Herr Spies im Holocaustdenkmal Konkurrenz zum Humboldt Forum sieht … hm..hm..hm. Er ist Niederländer. Auch erstaunlich des Ergebnis des 1. Weltkrieges, das er so zusammenfasst: „… alles wurde auf einmal möglich…´´ – 1920! Wasserversorgung, Gasversorgung usw. — Da bin ich wirklich neugierig auf die Berlin-Ausstellung, denn wie Herr Spies sagt: „Die Berlin-Ausstellung im Humboldt Forum wird phänomenal´´. Interessieren sich die Deutschen tatsächlich mehr für Prince Harry und Meghan als für die Gründung ihres Staates und der großen 30 Jahre danach?

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