Beitrag aus DIE WELT – 20.07.2021
Nach drei Jahrzehnten Debatte öffnet das Humboldt Forum im wiederaufgebauten Berliner Schloss. Es ist ein Jahrhundertprojekt mit unzähligen Facetten, das man nicht auf Kolonialismus und Raubkunst reduzieren sollte.
Von Rainer Haubrich
Warum ein Großprojekt nur einmal eröffnen, wenn man auch mehrmals feiern kann? Das Humboldt Forum im Berliner Schloss wird bis Mitte nächsten Jahres sechsmal eröffnet haben. Die erste Feier waren die Spendertage Ende November 2020, mit denen die 45.000 Bürger geehrt werden sollten, die durch ihre Beiträge die Rekonstruktion der barocken Fassaden möglich machten. 80 Millionen Euro hatte der Förderverein von Wilhelm von Boddien einst versprochen, gesammelt wurden dann sogar 110 Millionen Euro. Weil damals gerade die zweite Corona Welle heranrollte, durften die Spender zwar nicht ins Haus. Aber man bot ihnen ein zweistündiges Programm im Livestream.
Ein Blechbläser-Quartett schmetterte eine Fanfare vom Balkon am Portal IV, jenem Ort, an dem 1918 angeblich Karl Liebknecht die sozialistische Republik ausgerufen haben soll. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier grüßte per Video, es kamen Menschen zu Wort, die auf vielfältige Weise zur Vollendung des Bauwerks beigetragen hatten, und der Klarinettist der Berliner Philharmoniker, Andreas Ottensamer, spielte im berühmten Schlüterhof, dem prächtigen Herzstück des einst von Andreas Schlüter um 1700 errichteten Schlosses.
Dagegen fiel die zweite Feier etwas ab: Am 16. Dezember 2020 wurde das Humboldt Forum virtuell eröffnet, ebenfalls per Livestream. Man stellte Ideen und Personen für den globalen, multikulturellen Dialog vor, den man sich vorgenommen hat – ein Vorhaben, das sich nicht leicht in einprägsame Bilder umsetzen lässt.
Die dritte Eröffnung war vor sechs Wochen, als Berliner und Besucher erstmals den Schlüterhof betreten konnten sowie die Schlosspassage – beides Innenhöfe unter freiem Himmel, die seitdem jeden Tag rund um die Uhr zugänglich sind. Zugleich öffnete im Erdgeschoss ein Museumsshop (mit erstaunlich vielen Souvenirs zum Palast der Republik) und das erste der künftig fünf Restaurants und Cafés, mit vielen Tischen und Sitzgruppen in einer Ecke des Schlüterhofes.
Die festlich-heitere Pracht des Schlüterschen Barock macht das Publikum staunen, sie verdreht den Besuchern buchstäblich den Kopf. An lauen Sommerabenden wähnt man sich in Italien. Es ist ein städtischer Raum, wie es ihn nirgendwo sonst in einem Schloss in Deutschland gibt. Schon allein dafür hat sich der Wiederaufbau gelohnt.
Am Dienstag ist nun die vierte Eröffnung. Zum ersten Mal nach all den Jahren des Streitens und Bauens kann das Publikum das Humboldt Forum in Teilen betreten, das gesamte Erdgeschoss und die erste Etage werden geöffnet. Kulturstaatsministerin Monika Grütters und der Regierende Bürgermeister Michael Müller werden Reden halten.
Nicht reden – aber hoffentlich in der ersten Reihe sitzen – wird Wilhelm von Boddien, der Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss, der unermüdliche Streiter für den Wiederaufbau der einstigen Hohenzollernresidenz, ohne den es diesen Neubau nicht gäbe. Sein Förderverein steuerte dreimal so viel Geld bei wie das Land Berlin. In den vergangenen 30 Jahren hat von Boddien mehrere Bundeskanzler, Regierende Bürgermeister und Kulturfunktionäre kommen und gehen sehen, auch solche, die gegen den Wiederaufbau waren und sich jetzt im Glanz dieses Projektes sonnen.
Zuletzt hatte man immer wieder versucht, ihn zu behindern und außen vor zu lassen. In den Broschüren und Infoblättern des Humboldt Forums wird der Begriff „Berliner Schloss“ so gut es geht vermieden, der Beitrag der Spender weitgehend verschwiegen.
Die größte der am Dienstag öffnenden Ausstellungen ist die Dauerpräsentation „Berlin Global“ des Stadtmuseums, in der die Hauptstadt von ihrer Geschichte und ihren vielfältigen Verbindungen in die weite Welt erzählt. Die Ausstellung „Geschichte des Ortes“ erinnert an die Wandlungen, die dieser historische Standort erlebt hat, von der ersten Burg über den Palast der Republik bis heute. Dazu gehören auch die noch erhaltenen, begehbaren Schlosskeller in der Südwestecke des Bauwerks, wo die Besucher Reste der Heizungsanlage des Schlosses sehen und Graffiti von Wachleuten, die sich einst dort unten die Zeit vertrieben.
Ebenfalls öffnet die Sonderausstellung über Elfenbein, außerdem das Humboldt-Lab der gleichnamigen Universität, eine kleine Schau über die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt sowie die Kinderausstellung. Es kommt ein weiteres Restaurant hinzu und ein weiterer Museumsshop.
Die fünfte Eröffnung ist für den 22. September geplant, wie man hört, wird der Bundespräsident eine Rede halten. Ab dann sind in einem ersten Abschnitt jene Kunstsammlungen zu sehen, die den größten Teil des Gebäudes ausmachen werden und die programmatisch am Anfang der Idee Humboldt Forum standen: nämlich die herausragenden außereuropäischen Kunstsammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, die aus Dahlem im Südwesten der Stadt zurückgeholt werden in die historische Mitte, wo man sie der Museumsinsel gegenüberstellt. Es war der damalige Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus Dieter Lehmann, dem mit dieser Idee der Durchbruch in der jahrelangen Debatte gelang, was denn der Inhalt des wieder aufgebauten Schlosses sein soll.
Nach dem Fall der Mauer gab es die unterschiedlichsten Vorschläge. Naheliegend schien anfangs der Gedanke, in das einstige Schloss der preußischen Könige und deutschen Kaiser das Staatsoberhaupt der bundesdeutschen Demokratie einziehen zu lassen, den Bundespräsidenten. Doch die Vorstellung, dass dieses zentrale Gebäude im Herzen Berlins die meiste Zeit des Jahres abgesperrt sein würde, unzugänglich für die Bürger, ließ diese Option bald wieder verschwinden. Dann war ein „Haus der Bundesländer“ oder ein „Haus der deutschen Forschungsinstitutionen“ im Gespräch, vorgeschlagen wurde sogar ein privat betriebenes Hotel mit Kongresszentrum inklusive Tiefgarage.
Das Humboldt Forum ist ein Glücksfall
Vor dem Hintergrund dieser Alternativen wird deutlich, welchen Glücksfall das Humboldt Forum im Berliner Schloss darstellt: Es ist für jedermann zugänglich, es wendet sich an ein breites Publikum aus aller Welt, vor allem aber schafft es zusammen mit der Museumsinsel einen Kulturbezirk, in dem künftig in sechs architektonisch herausragenden Häusern die Kunst fast aller Regionen und Epochen der Weltgeschichte versammelt sein wird. Das gibt es so nur noch im Metropolitan Museum of Art in New York.
Ab dem 22. September wird im zweiten und dritten Obergeschoss zunächst etwa die Hälfte der außereuropäischen Kunstwerke zu sehen sein. Der Rest soll in der ersten Jahreshälfte 2022 folgen. Das wäre dann die sechste Eröffnung und zugleich der Abschluss des Umzuges. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass ein breiteres Publikum die Schönheit, die Vielfalt und den Rang jener Sammlungen entdecken wird, die so lange ein Schattendasein in Dahlem führten.
Schweifen wir in unserer Vorstellung schon einmal durch die Raumfluchten. Wir sehen die Ostasiatische Sammlung mit der Kunst Chinas, Japans und Koreas. Dazu zählt die „Höhle der ringtragenden Tauben“ mit ihren Wandmalereien aus dem 5. Jahrhundert, die wissenschaftlichen Weltrang besitzt. Als ein Meisterwerk der Qing-Dynastie aus dem China des 17. Jahrhunderts gilt der Reisethron aus Palisanderholz mit einem Paravent, der mit Perlmutteinlagen in Lack- und Goldgrund verziert wurde. Herausragend ist auch die Sammlung japanischer Malerei und ostasiatischer Lackkunst von Klaus Friedrich Naumann, außerdem die Sammlung Yuegutang mit chinesischer Keramik vom Neolithikum bis ins 15. Jahrhundert.
Die Sammlung Süd-, Südost- und Zentralasiens umfasst Kunstwerke des indoasiatischen Kulturraums vom 4. Jahrtausend v. Chr. bis in die Gegenwart. Schwerpunkte sind die frühindische Skulptur und die Kunst der Seidenstraße. Eines der Highlights ist die fast lebensgroße Holzskulptur des Prozessionsstieres Nandi, das Reittier des Gottes Shiva. Exponate stammen außerdem aus Pakistan, Afghanistan, Sri Lanka, Bangladesch, Nepal, den Autonomen Gebieten Tibet und Xinjiang der Volksrepublik China, aus Myanmar, Thailand, Kambodscha und Vietnam sowie der indonesischen Inselgruppe.
Die Sammlung des Ethnologischen Museums umfasst über 500.000 Objekte aus allen Erdteilen und große Bestände an Tonaufnahmen, Fotodokumenten sowie Filmen, sie ist eine der weltweit bedeutendsten ihrer Art. Wir sehen steinerne Götterfiguren der Azteken, tonnenschwere Stelen aus dem Maya-Gebiet mit ihren erzählenden Reliefs, die Melanesien-Sammlung aus der Südsee mit bis zu 15 Meter langen Booten nur aus Naturmaterialien. Einzigartig ist das Phonogrammarchiv mit mehr als 145.000 Tondokumenten traditioneller Musik aus den Jahren 1893 bis 1952. Die Aufnahmen wurden 1999 als erster deutscher Beitrag in das Unesco Register Memory of the World aufgenommen.
Man muss sich das Ausmaß dieser Schätze vor Augen führen, um zu erkennen, dass die Beschäftigung mit „kolonialen Erwerbungszusammenhängen“ bei einem kleinen Teil der Exponate zwar ein wichtiges Thema für das Humboldt Forum ist, aber nicht der entscheidende Prüfstein für den Erfolg oder Misserfolg dieses prächtigen Kulturdampfers. Darüber entscheidet das Publikum.
Textquelle: DIE WELT, 20.07.2021; Foto: Gritt Ockert, Förderverein Berliner Schloss e.V.
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A wonderful recreation. Pity the online cameras were removed as I enjoyed watching the building for the last 4 or 5 years.
Bleibt zu hoffen, dass das Gros des deutschen Feuilletons seiner blindwütigen Agitation gegen das Forum selbst überdrüssig werden wird. Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Die Besucherscharen am Wochenende sprechen für sich und werden die Zeitungskritiker alsbald von selbst verstummen lassen.