Die Portale IV und V in der Lustgartenfassade
Johann Eosander von Göthe, Andreas Schlüters Nachfolger als leitender Baumeister, erweiterte das Berliner Schloss nach Westen und verdoppelte damit dessen Frontenlänge. Eosander übernahm grundsätzlich Andreas Schlüters Entwurf für die Lustgartenfassade, veränderte diesen jedoch bei den Portalen in nicht unwesentlichen Details: Er fügte ihnen auf der Höhe des ersten Stockwerks Hermenpilaster hinzu. Mit der Ausführung dieserSkulpturen wurde offenkundig Balthasar Permoser beauftragt; zumindest besagt dies eine durchaus plausible Zuschreibung – Belege existieren hierfür allerdings nicht. Permoser war einer der bedeutendsten Bildhauer des Barock; im Wesentlichen war er für den Dresdner Zwinger tätig. Seine Tätigkeit für das Berliner Schloss brachte einen Hauch des feinen und phantasievollen sächsischen Barock auf preußischen Boden.
Die unterschiedlichen Ansichten des Berliner Schlosses vom Schlossplatz und vom Lustgarten aus
Portal IV. Serliana und Hermenpilaster Herbst und Winter im untergegangenen Schloss
Im Gegensatz zur Stadtseite mit den mächtigen Säulen an den Portalen wird auf der Gartenseite des Berliner Schlosses auf dieses architektonische Detail bewusst verzichtet. Die säulengeschmückte Fassade richtet sich zur Stadt, zum Schlossplatz, zur Breiten Straße und zur Langen Brücke, mithin auf die Seite, durch die nicht nur der König, sondern selbstverständlich auch bedeutende Staatsgäste in das Schloss einzogen. Die Gartenseite ist demgegenüber ein wenig zurückhaltender; sie fügt sich zu ihrer Umgebung, zum Lustgarten. Es ist deshalb kein Zufall, dass die vier Hermen, die wir an den Portalen V und IV von Frühling bis Winter sehen, die Jahreszeiten darstellen, die ja für den Garten von wesentlicher Bedeutung sind. Es wird damit in Berlin etwas ausformuliert, was an anderer Stelle wieder begegnet, nämlich bei dem Schloss Sanssouci in Potsdam. Auch hier sehen wir zur Stadtseite hin eine Kolonnade, dazu Halbsäulen an dem Schlossgebäude, während auf der Gartenseite die berühmte Serie von Satyrhermen zu sehen ist.
Portal IV ist breiter als das in seinen Dimensionen noch von Schlüter festgelegte Portal V. Barocke Proportionen geraten hier ein wenig aus den Fugen, was wohl dem Durchgang durch den Schlosshof geschuldet ist, der vom Lustgarten in die Breite Straße führt. Diese etwas disproportionierte Form des preußischen Barock veranlasste übrigens den berühmten Direktor der Schlösserverwaltung Martin Sperlich zu der Bemerkung, Revolutionäre sollten so viel kunsthistorische Kompetenz mitbringen, dass sie, wenn sie schon die Revolution und die Republik ausrufen, dann doch wenigstens das bedeutendere Portal hätten wählen sollen, nämlich jenes, das von Schlüter selbst noch in seinen Proportionen entworfen wurde. Das Foto auf Seite 12 zeigt übrigens, wie wichtig die Attikafiguren sind, also jene Figuren, die ganz oben auf dem Dach stehen; sie haben ästhetisch die Aufgabe, die durch die Hermenpilaster vorgegebenen vertikalen Architekturelemente nach oben gegen den freien Himmel fortzusetzen. In dieser Überzeugung bin ich mit Wilhelm von Boddien einer Meinung.
Eine historische Nahaufnahme zeigt die beiden Hermen des Portals IV, Herbst und Winter sowie, darüber unter dem Balkon, eine Kartusche mit dem Monogramm Friedrichs I. Oberer Abschluss des Portals ist eine große Serliana, darüber eine weitere Kartusche mit dem Adler, dem preußischen Wappentier, sowie zwei die Tuba blasenden Famen, die den Ruhm des Königs verkünden.
Das Schloss hat bekanntermaßen ein wechselhaftes Geschick gehabt. Ein Foto zeigt die Beschädigung des Portals im Jahre 1918; es belegt, dass bereits die Revolution im Herbst 1918 dem Schloss und insbesondere diesem Portal übel zugesetzt hatte. Die Beschädigungen wurden allerdings wieder repariert; dennoch ist es wichtig, dies bei der weiteren Beschäftigung mit unserem Thema im Kopf zu haben und zu wissen, dass das Portal IV eine wechselhafte Geschichte bereits hinter sich hatte, als es dann im 2. Weltkrieg erneut beschädigt wurde, um später, nach abermaliger Reparatur und Überarbeitung einiger skulpturaler Teile, aber in den Portalwänden völlig neu kopiert, 1962 im Staatsratsgebäude eingebaut zu werden.
Revolution am Schloss im Dezember 1918. Das zerschossenene Portal IV
Der Winter im zerstörten Schloss hat den linken Arm verloren.
Vorkriegsaufnahme: Achten Sie auf die Haltung der Hand!
Eine Aufnahme aus dem Jahr 1950 zeigt Beschädigungen im Bereich des figürlichen Zierrats, jedoch keine völlige Zerstörung. Auch die Famen mit der Adlerkartusche oberhalb der Serliana hatten den Krieg relativ gut überstanden. Die Hermen selber waren tatsächlich relativ wenig beschädigt. Interessant ist übrigens, dass die Kartusche unterhalb des Balkons 1950 ebenfalls noch perfekt vorhanden war. Die Balkonplatte war unberührt. Wichtig jedoch ist eine heftige Beschädigung am linken Arm des Winters. Die Hand dieses Arms jedoch, die die eigentliche Stützarbeit leistet, war nach dem 2. Weltkrieg noch vorhanden. Kurz nach dem Zeitpunkt dieser Fotografie wurde bekanntlich die Sprengung des Schlosses beschlossen und gegen vielfach geäußerten Widerstand auch durchgeführt. Die Wucht der Explosionen führte nicht nur dazu, dass das Schloss in sich zusammenbrach; es flogen gleichsam Einzelteile in alle Himmelsrichtungen davon. Die Löwen des Kaiser-Wilhelm-Denkmals landeten im Tierpark, der Schlossbrunnen nahe dem Alexanderplatz und das Portal IV bekanntermaßen in der Fassade des Staatsratsgebäudes.
Seit der Vollendung des Staatsratsgebäudes ziert nun dieses Portal IV die Fassade des Baus, wenn auch in gewissermaßen zensierter Form. Es fehlt die Monogrammkartusche unter der Balkonplatte; auch die obere Kartusche wurde stark verändert. Anstelle des Adlers sehen wir nun zwei Jahreszahlen, von denen sich die eine auf das Schloss bezieht, die andere auf das Staatsratsgebäude. Interessanterweise nicht verzeichnet ist hier das Revolutionsjahr 1918, also die eigentlich Legitimation, wegen derer das Portal transloziert wurde – an das Nächstliegende wird kurioserweise gar nicht erinnert.
Das Ensemble Staatsratsgebäude mit Eosander-Portal steht unter Denkmalschutz zu Recht übrigens bereits allein aus dem Grund, weil es schon lange genug besteht. Alleine dies wäre für die Denkmalpflege bereits ein gewichtiges Argument. Die Unterschutzstellung ist hier aber auch inhaltlich wohlbegründet: Zum einen ist das Staatsratsgebäude ein nicht unbedeutender Bau aus DDR-Zeiten, zum anderen birgt er das Portal IV einzig und allein deswegen, weil sich die DDR mit dem, was an diesem Portal geschah oder geschehen sein sollte, in besonders hohem Maße identifizierte. Dieses Geschehnis ist in der Rückschau übrigens ein wenig mysteriös. Es gibt Berichte, Liebknecht habe vom Balkon dieses Portals heraus die Republik ausgerufen. Andere Berichte besagen, er habe dies von einem davorstehenden Lastwagen aus getan. Mir erscheint dies plausibler, weil Liebknecht dann nach dem Vorbild von Lenin gehandelt hätte. Wie dem auch immer sei – die Nähe dieses Ereignisses zu eben diesem Bestandteil des Schlosses genügte offenkundig, um einige der bildhauerischen Bestandteile des Portals zu bergen und an anderer Stelle wieder einzubauen – übrigens nicht unter Verwendung der barocken Werksteine und Steinmetzarbeiten, da diese wohl nach der Demontage zu stark beschädigt waren. Es gab übrigens beim Abriss des Schlosses die Absicht, sehr viel mehr der skulpturalen Werke zu bergen: Wir besitzen Fotografien, in denen eingezeichnet ist, wie zum Beispiel Portalbekrönungen in Blöcke zerfallen sollten, um sie bergen zu können. Dies unterblieb jedoch wegen der Eile der Arbeiten, vor allem aber, wie mir Wilhelm von Boddien einmal erzählte, weil auf dem Gelände der künstlich herbeigeführten Ruine nur kleine Loren zur Verfügung standen, Wägelchen, wie man sie auch im Bergbau verwendet. Damit der Schutt dort hineinpasste, wurde er mit Presslufthämmern und Pressluftbohrern soweit zerstört, dass er nahezu Korngröße annahm. Insofern ist es tatsächlich ein Glücksfall, dass überhaupt noch vorhandene Originale existieren und für den Wiederaufbau genutzt werden können.
Das Liebknechtportal im Staatsratsgebäude mit den Hermenpilastern Herbst und Winter
9. November 1918. Karl Liebknecht ruft die Sozialistische Deutsche Republik aus – nicht vom Balkon des Portals IV, sondern von Portal V, wenn er sie dort überhaupt ausgerufen hat, verstehen konnte ihn von dort oben angesichts des Lärms der Masse auf dem Platz sowieso niemand! (Gemälde aus DDR-Kunstbesitz)
Der gravierendste Eingriff, der beim Einbau des Portals IV in das Staatsratsgebäude vorgenommen wurde, traf den linken Arm des Winters, der im Vergleich mit dem Original entschieden anders ergänzt wurde. Der Bildhauer, der die Skulptur für den Einbau im Staatsratsgebäude ergänzte, wählte eine andere Armhaltung. Er machte dies in freier Erfindung – möglicherweise hatte er nicht genügend fotografisches Material zur Hand – und opferte für seinen neuen Arm offenkundig auch die 1950 noch erhaltene originale Hand: Nicht nur die Armhaltung des linken Armes ist gänzlich anders als beim Original, sondern kurioserweise auch die Hand. Man erkennt sehr deutlich die Nahtstelle, wo der neue Arm angesetzt wurde. Als es nun darum ging, für den Wiederaufbau des Portals IV am originalen Standort Kopien von den beiden Hermenpilastern zu machen, korrigierte der Bildhauer Kai Rötger diesen Irrtum mithilfe der älteren Fotografien. Die heute am Staatsratsgebäude befindlichen Hermen wurden im 3D-Verfahren eingescannt; danach wurde dann ein großer 1:1 3D-Druck hergestellt und dieser 3D-Druck bzw. ein Gipsabguss davon diente nun Kai Rötger als Ausgangspunkt, von dem aus er weiterarbeitete. Zunächst entfernte er den falschen Arm, um anschließend in Ton einen neuen Arm zu modellieren, der nun aber tatsächlich dem Zustand des frühen 18. Jahrhunderts sehr genau entspricht. Dieser aus Ton gearbeitete Arm wurde anschließend, wegen der besseren Haltbarkeit, in Gips nachgegossen – Ton reißt und schrumpft, wenn er trocknet. Will man eine Form haben, die dem, was in Sandstein geschaffen werden soll, 1:1 entspricht, dann muss das Tonmodell in Gips abgegossen werden. Diese Gipsform wurde schließlich wieder dem Gesamtgips dieser Figur angefügt.
Der Winter im Staatsratsgebäude: Der linke Arm wurde falsch rekonstruiert.
Die Rekonstruktion der originalen Armhaltung, nicht nach dem Foto aus dem Liebknechtportal, das die falsche Handhaltung zeigt, sondern nach der fotografischen Auswertung des alten Portals IV
Das Haus von Loreto und eine seiner zahlreichen Kopien, welches ist wohl das Original?
Im Falle des Portals V waren wir in der Lage, originale Teile wieder einzubauen, vorher mussten jedoch wichtige Restaurierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Auch hier lässt sich übrigens der Begriff „Original“ nur eingeschränkt verwenden. Im Falle des Frühlings finden wir eine mächtige und einschneidende Ergänzung des 19. Jahrhunderts, wodurch der gesamte Brustbereich der Jünglingsfigur im Zeitgeschmack ersetzt wurde. Es war denkmalpflegerisch vernünftig und gut zu begründen, hier tatsächlich den ergänzten Torso des 19. Jahrhunderts zu verwenden und wieder einzusetzen. Wie wir auf dem nächsten Foto sehen können, ist dieser Einbau inzwischen vollzogen. Eine weitere wichtige Frage war, wie wir mit den Fehlstel
len umgehen. Nicht alle wurden ergänzt, sondern lediglich so gesichert, dass dort zukünftig kein Wasser eindringen kann. Kopien in eine neugeschaffene Fassade einzusetzen ist technisch grundsätzlich einfacher als die Verwendung von Originalteilen. Jedoch bereits relativ früh, nachdem der Entschluss zur Wiedererrichtung des Schlosses gefasst worden war, wurde begreiflicherweise gefordert, man möge so viel von den original erhaltenen Teilen verwenden wie nur irgend möglich.
Wir werden in Zukunft also die zweifellos etwas kuriose Situation vor uns haben, dass wir an der Lustgartenfassade das Portal V unter der Verwendung der originalen Bestandteile sehen. Dafür dürfen wir uns bei Portal IV gleich zweimal freuen, nämlich einmal an der Lustgartenfassade, wo die Kopie steht, und zum Anderen selbstverständlich am Staatsratsgebäude, weil es uns dort ein zweites Mal begegnet.
Haben wir in Portal V originale Teile, die am originalen Standort wieder eingebaut werden, so haben wir es bei Portal IV mit etwas grundsätzlich anderem zu tun: Es steht zwar am originalen Standort, exakt an der Stelle, wo das Portal sich ursprünglich befunden hat, die skulpturale Dekoration dort ist jedoch eine Kopie oder eine Nachahmung. Die Umsetzung der Modelle in Sandstein geschieht in der Nähe von Dresden bei der Bildhauerfirma Sven Schubert. Die gewaltigen Hermen werden nicht in einem Stück gearbeitet; sie entstehen in mehreren Blöcken und werden anschließend auf der Baustelle versetzt. Das ist übrigens ein Verfahren, das in etwa dem entspricht, was wir uns auch für das frühe 18. Jahrhundert vorstellen dürfen. Auch damals wurden nicht ganze Figuren als kolossale Blöcke versetzt, vielmehr wurden sie als sogenannte Bossen zusammen mit der Fassade aufgemauert. Die eigentliche Bildhauerarbeit fand dann erst an der Fassade statt. Wir bezeichnen dieses Vorgehen mit dem französischen Begriff après la pose – nach dem Versatz. Beim Schlossneubau wäre dies technisch und vom Arbeitsablauf her nicht zu machen gewesen. Daher die Entscheidung, die Figuren komplett bei den Bildhauerwerkstätten entstehen zu lassen; allerdings müssen die Bildhauer, wenn die Einzelteile versetzt sind, dann doch noch einmal auf die Gerüste, da es immer noch kleine Details zu überarbeiten gibt – vor allen Dingen können die Übergänge zwischen den einzelnen Blöcken vernünftigerweise erst an Ort und Stelle gestaltet werden. Ich möchte diese Gelegenheit selbstverständlich auch nutzen, um noch einmal die grundsätzliche Frage zu behandeln, ob man denn überhaupt ein solches Schloss wieder aufbauen darf. Eigentlich könnte ich mir die Diskussion und die Argumente auch sparen und auf die Macht des Faktischen verweisen. Da aber immer noch Leute darüber den Kopf schütteln, fühle ich mich doch aufgefordert, dazu etwas zu sagen, umso mehr, als gerade von Kunsthistorikern eher erwartet wird, dass sie die harte Haltung derer einnehmen, die sagen, eine solche Rekonstruktion käme einer Todsünde gleich.
Die berühmte Scala Santa, rechts das Original, links eine nachempfundene Variante. Die Bilder auf dieser Seite lassen die Frage offen „Wie original ist das Original?“
Konrad Witz: Der Verkündigungsengel, Original und Ergänzung
Baut eine, zwei, drei, vier, viele Liebknechtreliquien!
Ein gutes Beispiel, sich dieser Frage zu nähern, ist der Verkündigungsengel von Konrad Witz im Kunstmuseum in Basel. Das Gemälde hat sein Aussehen seit der letzten Restaurierung vollkommen verändert. Nicht nur ein alter Firniss wurde abgenommen, wie das bei Restaurierungen üblich ist, der Engel erhielt vielmehr ein völlig neues Gesicht. Dafür gab es einen guten Grund: Der Verkündigungsengel besaß nämlich gar keinen Kopf mehr. Beim Spalten der Bildtafel im 19. Jahrhundert ist durch eine technische Panne dieses wesentliche Detail zerstört worden. Die bei der Spaltung verwendete Säge wanderte aus und schnitt das Gesicht des Verkündigungsengels weg. Damit war dieser Engel im Grunde genommen nicht mehr aufhängbar: das neben der grüßenden Hand Wichtigste ist selbstverständlich das Gesicht, weswegen der Entschluss gefasst wurde, das Gesicht nachzumalen, in selbstverständlich revidierbarer Technik, also in wasserlöslichen Farben. Vorbild für das Gesicht dieses Engels war das Detail eines anderen Gemäldes von Konrad Witz. Warum erzähle ich das hier? Aus einem einfachen Grunde: Berlin hat mit der Sprengung des Stadtschlosses sein Gesicht verloren. Die Holländer nennen Stadtansichten klugerweise stadsgezicht – Stadtgesicht.
Das Schloss mag noch so groß sein, es ist für das Gesamtgefüge von Berlin in der Tat so etwas wie das Gesicht eines Engels von Konrad Witz. Deswegen war ich sofort Parteigänger von Wilhelm von Boddien, als er die große Imagination mit den Planen dort hinstellte, und heute bin ich mit großer Begeisterung dabei, berate die Bildhauer, habe wunderbare Gespräche mit diesen und lerne dabei etwas, was mir an meiner Wiege als Kunsthistoriker natürlich nie gesungen wurde.
Kehren wir noch einmal zurück zu unserem Portal IV, diesmal aber wieder am Staatsratsgebäude. Es enthält zwar einzelne Überreste des Originals, steht aber nicht mehr am ursprünglichen, am authentischen Ort. Das am wieder aufgebauten Schloss zu rekonstruierende Portal ist zwar zur Gänze Rekonstruktion, wird aber, wie bereits betont, am ursprünglichen Ort stehen. Das Portal IV wurde zum Staatsratsgebäude transloziert wegen der Ausrufung der Republik durch Karl Liebknecht an eben diesem Baudenkmal, an eben diesem architektonischen Detail. Insofern besitzt es heute eine eigene Authentizität. Ich will diesen Gedanken im Folgenden ein wenig vertiefen.
Bei Licht besehen ist das Portal am Staatsratsgebäude eine monumentale Reliquie, vergleichbar dem Haus der Heiligen Familie, das auf wunderbare Weise nach Loreto transloziert wurde und dort im 16. Jahrhundert in zeitgenössischer Architektur gefasst wurde. Dieses Haus von Loreto, der Legende nach das Haus der Heiligen Familie in Nazareth, ist vielfach kopiert worden, wobei alle diese Kopien für die frommen Menschen, die dort hinpilgern, in ihrer Substanz ebenso authentisch waren oder sind wie das originale Haus der Heiligen Familie, die Reliquie in Loreto.
Erinnert sei noch an eine weitere bedeutende und monumentale Reliquie, die Scala Santa im Lateran, die Heilige Stiege. Das ist die Treppe, die der Überlieferung nach Christus hinaufgehen musste, um in den Palast des Pilatus zu gelangen. Sie ist von Jerusalem nach Rom gebracht worden und wurde dort in den Lateran eingebaut. Wenn die Menschen auf Knien rutschend, die Treppe bis nach oben geklettert sind, dann wird ihnen ein Ablass zuteil. Wir haben das Jahr 2017, 500 Jahre Reformation. Ich nehme an, Luther hätte sich an dieser Form von Ablass noch gar nicht so gestört. Für den muss man nämlich etwas tun, nicht nur einfach eine Münze in eine Büchse werfen. Auch die Heilige Stiege ist wiederholt kopiert worden, an den unterschiedlichsten Orten, und auch hier gilt jede dieser Nachbauten als absolut authentisch, nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt eines solchen Ablasses. Es ist also für den frommen Christen relativ gleichgültig, ob er das fromme Ritual in Rom ausübt oder in Rastatt, in Tölz oder in Bonn. Grundvoraussetzung ist freilich, dass er den richtigen und frommen Glauben bei dieser Aktion mitbringt.
Um noch einmal zurückzukommen auf das Portal IV im Staatsratsgebäude und die Frage der Reproduzierbarkeit von Baudenkmälern, dann kann dieser Beitrag eigentlich nur enden in einem Aufruf an alle Jünger des großen Kommunistenführers: Baut eine, zwei, drei, vier, viele Liebknechtreliquien!
Prof. Dr. Bernd Wolfgang Lindemann war bis vor kurzem langjähriger Direktor der Gemälde- und der Skulpturengalerie Staatliche Museen Berlin. Dankenswerter Weise stellt er sich mit seinem ganzen Wissen um den Barock als Mitglied der Expertenkommission zur Verfügung, die minutiös, bis ins Detail, die Qualität der Schlossrekonstruktion begleitet und die Bildhauer beratend überwacht.
von Bernd Wolfgang Lindemann
Hochinteressanter Beitrag, Danke