Der Deutsche Bundestag beschließt am 4. Juli 2002 den Wiederaufbau des Berliner Schlosses
Das Parlament erwartet Spendenfinanzierung der Schlossfassaden
Der gemeinsame Antrag der Fraktionen von SPD,CDU/CSU,Bündnis 90/Die Grünen und FDP
Das Parlament erwartet Spendenfinanzierung der Schlossfassaden
Der gemeinsame Antrag der Fraktionen von SPD,CDU/CSU,Bündnis 90/Die Grünen und FDP
In einem gemeinsamen, fraktionsübergreifenden Antrag führten die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP eine Abstimmung zu den Vorschlägen der Kommission Historische Mitte Berlin herbei:
1) Das Nutzungskonzept der Kommission, das diese am 17. April 2002 der Öffentlichkeit vorgestellt hat, wird gut geheißen. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Staatsministers für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt, damals noch Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, soll die Vorschläge überprüfen und weiterentwickeln.
2) Das Finanzierungskonzept auf einer privat-öffentlichen Basis soll durch Fachleute dieser Arbeitsgruppe auf seine Realisierungschancen überprüft werden.
3) Das neue Bauwerk soll auf dem Grundriss und in der Stereometrie, d.h. in den äußeren Abmessungen des Berliner Schlosses entstehen. Dies beinhaltet, dass der Palast der Republik abgebrochen werden muss.
Über diese Einigkeit aller vier Fraktionen hinaus, gabelte sich der Antrag zur Architektur in zwei Alternativen:
A) Das Berliner Schloss soll in seinen drei Barockfassaden und mit dem Schlüterhof wiedererstehen, mit überwiegend neuzeitlich gestaltetem Interieur. Wo immer möglich, sollten historische Raumfolgen für ihren späteren Ausbau im originalen Format am alten Standort berücksichtigt werden. Die optimale Lösung wird über einen Einladungs-Realisierungswettbewerb ermittelt.
B) Ein offener Architekturwettbewerb wird ausgeschrieben, der ausdrücklich auch moderne Alternativen zulässt, das Schloss aber nicht ausschließt. Wegen seiner weiterreichenden Konsequenzen wurde zuerst über den Antrag A, den Wiederaufbau des Berliner Schlosses auf Basis der Kommissionsempfehlungen, abgestimmt. Natürlich konnte hier auch der Antrag insgesamt und damit die einvernehmliche Auffassung der Fraktionsobleute zur Nutzung, Finanzierung und Grundform des Neubaus abgelehnt werden.
Die Abgeordneten sollten namentlich abstimmen. Namentliche Abstimmung heißt: Abstimmungspflicht für alle Abgeordneten. Wer ohne schwerwiegende Gründe fehlt, muss ein Bußgeld zahlen. Dies sichert bei schwierigen Abstimmungen eine hohe Präsenz und damit Eindeutigkeit des Parlamentsbeschlusses. Der Fraktionszwang wurde aufgehoben, d. h. jeder Abgeordnete entscheidet nach seinem Gewissen, ohne den Einfluss seiner Fraktion.
Vor diesem Hintergrund ist das Abstimmungsergebnis des Deutschen Bundestages vom 4. Juli 2002 zum Berliner Schloss bedeutsam:
Es ist ein repräsentatives Ergebnis. Sprach man bei der Mehrheit der Kommission von 8 zu 7 für das Schloss von einer Zufallsentscheidung, die äußerst knapp gewesen sei, zumal 8 Kommissionsmitglieder nicht mit abgestimmt hätten, ist die Entscheidung des Deutschen Bundestages eindeutig.
Von 660 Abgeordneten waren 9/10 = 589 anwesend und stimmten ab. Es gab 581 gültige und 8 ungültige Stimmen. Gegen den Antrag insgesamt stimmten nur 62 Abgeordnete, 6 enthielten sich der Stimme.
Für Antrag A, den Wiederaufbau des Schlosses, entschieden sich 380 Abgeordnete. Das sind 66 % der abgegebenen Stimmen, fast eine Zweidrittelmehrheit, fast dreimal mehr als für Antrag B (moderne Alternativen). Mit relativer Mehrheit der Fraktion stimmte die SPD zu, die Grünen brachten nur eine Minderheit pro Schloss zustande, hier gab es auch viele Neinstimmen.
CDU /CSU sowie FDP stimmten praktisch einstimmig für das Schloss, mit jeweils nur einer Gegenstimme, die aber für Antrag B abgegeben wurde.
Für Antrag B, den offenen Wettbewerb, der neben dem Schloss auch alternative, moderne Entwürfe zugelassen hätte, stimmten nur 133 Abgeordnete. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass alle Abgeordneten der PDS für diesen Antrag stimmten, der in seinem Inhalt ebenfalls den Abriss des Palastes der Republik herbeigeführt hätte. Das ist die eigentliche Besonderheit dieser Abstimmung, musste man doch bislang davon ausgehen, dass gerade die PDS alles tun würde, den Palast zu erhalten.
Wir danken allen beteiligten Politikern, die oft in stundenlangen Gesprächen mit den anderen um die Entscheidung gerungen haben, stellvertretend für alle Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundestagsvizepräsi-dentin Antje Vollmer, dem Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion Karl Lammert und dem FDP-Mitglied im Kulturausschuß Norbert Otto, die in ihren Fraktionen federführend waren. Im Antrag wurde die Auffassung vertreten, dass das für die Finanzierung angestrebte privat-öffentliche Finanzierungmodell mit dem Schloss bessere Realisierungschancen habe als mit einem modernen Gebäude. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Fassaden des Schlosses über eine groß angelegte Spenden-aktion finanziert werden. Das ist eine große Herausforderung an uns alle.
Wir werden es schaffen mit Ihrer Hilfe!
Aus den Reden am 4. Juli 2002
Wolfgang Thierse
(SPD) Bundestagspräsident
Ich möchte Ihnen fünf Gründe nennen, warum ich mit meinem Plädoyer für Alternative A, also das Votum der Expertenkommission für ein neues und modernes Gebäude mit der Teilrekonstruktion dreier Fassaden und des wunderbaren Schlüterhofes des ehemaligen Schlosses, werbe.
Der historische Grund
Städte sind auch und ganz wesentlich vergegenständlichte Erinnerung. Städte wie Rom, Paris, Prag, jene Städte, die wir so lieben, wirken deswegen so beeindruckend auf ihre Besucher wie ihre Bewohner, weil in ihnen verschiedene historische Schichten präsent, erlebbar und sichtbar sind.
In ihnen dominiert keine historische Eindimensionalität; vielmehr ist darin menschenverträgliche Ungleichzeitigkeit architektonische und städtebauliche Gestalt geworden. Berlin gilt bedauerlicherweise zu Recht – es ist schon gesagt worden – als die Metropole Europas, die sich immer wieder selbst zerstört hat und in der deshalb fast aus-schließlich die Architektur eines Jahrhunderts dominiert.
Wer, so möchte ich fragen, käme wohl in einem unserer Nachbar-länder mit jahrhundertealter Kultur auf die Idee, das Ernstneh-men der Vergangenheit gerade darin zu suchen, â?zmit den Verlusten zu lebenâ?œ, also die offene Wunde der historischen Mitte Berlins verewigen zu wollen, wie es vergangene Woche in der â?zZeitâ?œ zu lesen war?
Der städtebauliche Grund
Mit Bedacht spricht die Alternative A vom “architektonischen Brückenschlag” zur Museumsinsel und zur Straße “Unter den Linden”. Das Berliner Schloss war der geplante und gewollte Abschluss dieses Boulevards. Genauso ist es! Die Straße “Unter den Linden” führte genau auf das Schloss zu. Der Boulevard gehört zu den wenigen großen, berühmten, geschichtsträchtigen, in ihrer Geschichtsträchtigkeit noch oder wieder sichtbaren und fassbaren Straßen in Deutschland. Die Städte der frühen Neuzeit wurden mit Sichtachsen gebaut, deren einmalige Chance zur Wiederherstellung wir heute haben. Nach Westen hin, zu den Linden, werden gerade die Kommandantur und die Schinkelsche Bauakademie wieder aufgebaut, die in direkter Korrespondenz zur Schlosskubatur und -fassade stehen. Im Süden wird der Komplex durch den historischen Marstall fortgesetzt. Im Norden schließt sich die Museumsinsel mit dem Alten Museum und dem Berliner Dom an, deren Formensprache â?“ bei dem Schinkelschen Bau mehr, bei dem anderen weniger geglückt â?“ ganz unmittelbar auf den Schlüterschen Schlossbau bezogen sind. Nur nach Osten hin ist durch die, aufgrund der Asbestverseuchung notwendig gewordene Sanierung des Palastes der Republik bis auf sein Gerippe, seine Hülle, eine leere, eine offene Situation entstanden, für die wir eine überzeugende Antwort finden müssen.
Der nutzungsbezogene Grund
Wir sind uns mit der Expertenkommission einig, dass an diesem Standort ein öffentlicher und zugleich kultureller Schwerpunkt für die Bürger dieser Stadt und dieses Landes, entstehen soll. Auch dies bedeutet einen Brückenschlag zur Museumsinsel, der sich im Inneren wie im Äußeren des neuen Gebäudes widerspiegeln sollte. Ich darf uns alle daran erinnern – als Berliner tue ich das mit großer Freude -, dass die UNESCO die Museumsinsel zum Weltkulturerbe erklärt hat. Ich halte es für schlichtweg unvorstellbar, dass wir deren Nutzungsbereich heute auf das ehemalige Schlossareal ausdehnen, zugleich aber eine Lösung zu-ließen, die dort architektonisch nicht die Museumsinsel, sondern den Potsdamer Platz fortsetzte.
Im Übrigen: Mit der zu beschließenden Nutzung knüpfen wir nur an das an, was bereits in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts von diesem Schloss beherbergt wurde: Es war Ort für Theater, Museen und Ausstellungen geworden und hatte seine preußisch-herrschaftliche Funktion längst hinter sich gelassen.
Der architektonische Grund
Wir treffen heute eine Entscheidung zwischen einer Lösung, die es gibt, und einer solchen, deren Gestalt noch gänzlich offen ist. Wenn ich für die Schlütersche Barockfassade plädiere, dann auch deshalb, weil ich sie an diesem Ort für die bessere und ästhetisch angemessenere Lösung halte.
Das Berliner Schloss gehörte zu den bedeutendsten Barockbauten. Säkulärbauten nördlich der Alpen, stellte das bedeutendste Architekturdenkmal Berlins dar. Seine Architekturgeschichte und der Verbleib von Fassadenteilen – auch das hat die Arbeit der Expertenkommision zutage gebracht- sind so gut dokumentiert, dass an einer erfolgreichen Rekonstruktion nicht gezweifelt werden kann. Diese Lösungen zu wollen, so behaupte ich, ist sogar die mutigere. Der demokratische Souverän als Bauherr legt sich fest, verschiebt die Entscheidung nicht erneut, überlässt sie nicht den berechtigten wie verständlicherweise anders gearteten Interessen von Architekten, Investoren oder Interessengruppen. Wir sollten entscheiden, dass und wie die historische Mitte Berlins künftig Gestalt gewinnt. Das ist keine generelle Absage an moderne Architektur.
In Berlin ist im vergangenen Jahrzehnt so viel Neues gebaut worden wie in sonst keiner europäischen Stadt: Mit dem Kanzleramt, den Parlamentsneubauten, dem Alexanderplatz, der Leipziger Straße, dem Potsdamer Platz, dem Leipziger Platz usw. haben wir Jahrhundertend- und Jahrhundertanfangsarchitektur in Hülle und Fülle, großartige, durchschnittliche und schlechte. Sie gehört gerade nicht als moderner Solitärbau zwischen Altes Museum, Marstall und wieder errichtete Kommandantur.
Ein Wort, liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Palast der Republik: Bis auf die Fraktion der PDS sind wir uns einig, wie ich wahrnehme, dass er abgerissen werden muss. Ich sage das ohne jedes Triumphgefühl; denn ich bin das Gegenteil eines Abrissfanatikers. Aber mit dem Abriss des Palastes – das will ich hinzufügen – werden nicht die DDR oder die guten Erinnerungen an sie, die es unbestreitbar gibt, abgerissen. Dass viele Menschen freundliche Erinnerungen an den Palast haben, weiß ich. Ich kann es beschreiben: der großartige Saal, in dem Feste stattgefunden haben; eine Bowlingbahn – so viele gab es in Ostberlin nicht – ; die beiden Gaststätten, in denen es gutes, zugleich relativ billiges Essen gab. Das erzeugt gute Erinnerungen. Die werden doch nicht abgerissen. Es bleibt doch viel architektonisches Erbe; es bleiben die vielen architektonischen Zeugnisse der DDR von der Frankfurter Allee bis hin zu den Neubaugebieten in Marzahn und Hellersdorf. Man könnte noch eine Menge andere beschreiben.
Der finanzielle Grund
Was vom Palast weiterleben muss, ist der Gedanke der Volkshaustradition. Das neue Gebäude soll deshalb nicht nur musealer Ort sein, sondern ein öffentlicher Ort der Begegnung und der kulturellen Betätigung. Darin sind wir uns einig. Das ist die Anknüpfung an die Volkshaustradition. Das fatalste Ergebnis des heutigen Tages wäre es, wenn wir mit unserer Beschlussfassung über die Ergebnisse der internationalen Expertenkommission nur die nächste Runde verschobener Entscheidungen, weiterer Wettbewerbe und weiterer Kommissionen einleiten würden. Es wäre eine Blamage der Politik. Nach zwölf Jahren Debatte von Eile zu reden, halte ich, gelinde gesagt, für einigermaßen übertrieben. Nach zwölf Jahren Debatte steht die Angelegenheit zur Entscheidung an. Dabei wissen wir, ganz nüchtern gesprochen: Die Stadt Berlin wird bei der finanziellen Realisierung dieses Projekts, wiederum vornehm ausgedrückt, nicht sehr viel helfen können. Über das Ausmaß der Bereitschaft von Hans Eichel, Finanzmittel des Bundes bereitzustellen, mag ich auch nicht spekulieren. Also bleibt realistischerweise allein die von der Kommission vorgeschlagene öffentlich-private Mischfinanzierung. Aber – dessen müssen wir uns ebenfalls heute ganz nüchtern bewusst sein – auch die setzt als Lösung ein neues Gebäude mit Erinnerung an Geschichte, mit rekonstruierten Barockfassaden voraus, weil nur dafür, so die Experten, private Gelder mobilisierbar sind. Ich erinnere an die Beispiele für Engagement und Begeisterung in Dresden und Leipzig. Sie sind vielleicht ansteckend, sogar ausnahmsweise einmal für Berlin. Opfern wir damit die ästhetische Souveränität des Staates den privaten Interessen, wie ich gelesen habe? Keineswegs. Wäre es so, dann hätten wir das Gelände zum Beispiel an Sony veräußert. Deren Konzernzentrale hätte nicht am Potsdamer Platz, sondern in der historischen Mitte Berlins ihre Ästhetik- und Nützlichkeitsvor-stellungen umgesetzt. Genau das wollen wir nicht. Unsere Entscheidung für eine Teilrekonstruktion würde sich hingegen an den Vorstellungen der ungezählten Bürgerinnen und Bürger – Privatleute wie Firmeninhaber, Freiberufler wie Manager, Alte wie Junge – orientieren, die – ob als Berliner oder Bürger anderer Städte – in Umfragen nicht nur eine beträchtliche Präferenz für ein historisches Bauwerk ausdrücken, sondern auch ihre Bereitschaft, dafür privates Geld mitzubringen.
Im Übrigen – nur damit es nicht immer falsch tönt – : Auch jeder Neubau kostet unendlich viel Geld. Unser Vorschlag für eine gemischte privat-öffentliche Finanzierung spart aller Wahrscheinlichkeit nach der Öffentlichkeit etwas mehr Geld als ein anderer Bau.
Ich komme zum Schluss. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht nicht â?“ um das noch einmal zu betonen â?“ um den Wiederaufbau des Schlosses insgesamt, sondern um einen modernen Bau, der zugleich Geschichte wieder erinnert, wiedergewinnt und wieder zeigt, ohne jedoch zu verstecken, ein moderner Bau zu sein. Es geht um ein Haus für eine öffentliche Nutzung durch die Bürger, deren Bürgerengagement wir für den Bau gewinnen wollen.
Das Ergebnis könnte faszinierend sein: eine der großen Museumslandschaften der Welt in der historischen Mitte der deutschen Hauptstadt. Das ist das Projekt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus meiner Sicht sprechen alle Gesichtspunkte für die in Alternative A vorgeschlagene Lösung. Wir werden heute diese oder auf lange Sicht keine Lösung bekommen.
Dr. Antje Vollmer
(Bündnis 90/Die Grünen),
Bundestag-Vizepräsidentin
Es gibt keine naturgegebene Identität und auch keine naturgegebene Differenz zwischen architektonischen Baustilen und der Demokratie. Missbrauch, auch Missbrauch von politischer Macht, kann in jeder ästhetischen Form von Architektur passieren. Das heißt, es gibt nicht, wie oft suggeriert worden ist, einen direkten Zusammenhang zwischen dem Baustil der Moderne und der Demokratie. Demokratie kann in jedem Gebäude stattfinden. So passiert es auch in vielen Demokratien unserer europäischen Nachbarn. In der Kunst gilt, was gut ist. In der Kunst gilt, was Qualität ist. Das Berliner Schloss war allererste Qualität. Die Baumeister Schlüter, Eosander und später Erdmannsdorff waren allererste Baumeister ihrer Zeit. Wir hängen also keinem nostalgischen Bild an, wenn wir uns für den Wiederaufbau einsetzen, sondern wir versuchen, etwas zu rekonstruieren, was von ganz großer Bedeutung war. Man begreift das sehr schnell, dass dieser Mitte im Moment wirklich das Herz fehlt. Man sieht auch, dass alles, was darum herumgebaut worden ist, auf das Schloss zu gebaut worden ist. Zu Recht ist gesagt worden: Das Alte Museum hätte nicht diese großen Säulen, wenn nicht das Gegengewicht zum Schloss notwendig gewesen wäre. Auch das Stadtbild braucht an dieser Stelle ein Gegengewicht. Notwendig ist die Wiederherstellung eines Zentrums, das ein dynamisches Zentrum war. Im Unterschied zu den großen europäischen Metropolen Rom, London, Paris, Prag und Wien fehlt in Berlin ein zentrales Moment der geschlossenen architektonischen Tradition. Wir haben einzelne Momente der Tradition, aber wir haben kein geschlossenes Ensemble. Es geht darum, ob wir ein Ensemble der Tradition wiederherstellen dürfen. Jetzt sagen die Kritiker: Man muss sich doch zu den Brüchen bekennen. Ich finde, es gibt in dieser Stadt, die so viele Brüche hat, geradezu einen Kult der offenen Wunde. Das ist weder realpolitisch noch modern. Ich halte den Kult der städtebaulichen Wunde selbst für ein sehr romantisches Motiv. Es ist wie bei Parsifal: Zeige deine Wunde!
Dürfen wir überhaupt rekonstruieren? Rekonstruktion ist keine ästhetische Lüge. Rekonstruktion heißt auch nicht, dass man politische Restauration will. Wer das behauptet, der interpretiert politische Bedeutungen in ästhetische Entscheidungen. Rekonstruieren ist auch kein Sich-Outen als preußischer Militarist. Ich habe mich immer gefragt: Warum gilt Rekonstruieren eigentlich nicht als eine Möglichkeit der Moderne? Wenn man rekonstruiert â?“ genau das kann man bei der Frauenkirche in Dresden sehen â?“, dann erhält man vor allen Dingen eines: ganz großen Respekt vor der Meisterlichkeit unserer Vorfahren. In Dresden sehen wir â?“ das begreift eine ganze Stadt, die diese Mitte rekonstruiert â?“, dass wir der damaligen Zeit heutzutage in vielem nicht so viel voraus sind und wir in manchem sogar hinter dem zurückliegen, was man früher an ästhetischer, künstlerischer Qualität und an technischer Meister-lichkeit hervorgebracht hat.
Dr. Norbert Lammert
(Kulturpolitischer Sprecher der CDU/CSU – Fraktion)
Ich teile ausdrücklich die Auffassung des Staatsministers Nida-Rümelin, der als wie auch ich in diese Debatte nicht als ein leidenschaftlicher Verfechter historischer Rekonstruktionen eingetreten ist, dass auch ausgewiesene Förderer zeitgenössischer Architektur an manchen Plätzen nachdenklich werden. Die historische Mitte Berlins ist genau ein solcher Platz.
Fast alle Berliner Gebäude sind erst nach dem Bezug des Schlosses errichtet worden. Es war das Gravitationszentrum der städtebaulichen Entwicklung Berlins. Schinkels grandioses Konzept der Mitte Berlins und sein Entwurf für das Alte Museum sind ohne das Gegenüber dieses Schlosses gar nicht verständlich. Ich will im Übrigen nur einmal in Erinnerung rufen, dass das schinkelsche Konzept für diesen ersten Bau auf der Museumsinsel erst nach 27 nicht befriedigenden Entwürfen beschlossen worden ist. In keiner anderen Residenzstadt hat sich das Herrscherhaus statt mit anderen Adelspalästen rund um das Schloss vornehmlich mit Kultur und Wissenschaft umgeben. Im Schloss selbst gab es die erste öffentliche Bibliothek und die Vorläufer der heutigen Sammlungen der staatlichen Museen und der Humboldt-Universität. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, keinen Streit kann es darüber geben, dass dieser Platz und dieser Bau eine herausragende geschichtliche Bedeutung haben. Vom Berliner Schloss aus wurde seit Mitte des 15. Jahrhunderts Brandenburg, seit Beginn des 18. Jahrhunderts Preußen und seit Ende des 19. Jahrhunderts Deutschland regiert. Die Geschichte Berlins, Brandenburgs, Preußens und Deutschlands hatte hier über Jahrhunderte ihren Kristallisationspunkt. Gerade deshalb wurde es 1950 von einem vermeintlich neuen Deutschland in einem beispiellosen Akt der Hybris und der kulturellen Barbarei in die Luft gesprengt, als ließe sich auf einer mutwillig getilgten gemeinsamen Vergangenheit eine bessere Zukunft bauen. Dadurch hat dieses Schloss eine politische Symbolbedeutung und den Rang eines nationalen Denkmals erhalten.
Dr. Günter Rexrodt
(Wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP – Fraktion)
Jeder hat Verständnis dafür, dass über die Gestaltung dieses wichtigen Areals nicht von heute auf morgen im Schnelldurchgang entschieden werden kann. Aber zehn Jahre Diskussion sind eine lange Zeit. Ich glaube, dass keine neuen Ideen mehr vorge-tragen werden. Mit der Gestaltung des Schlossplatzes muss begonnen werden. Die FDP ist der Auffassung, dass die Empfehlungen der Internationalen Expertenkommission dafür eine gute Grundlage sind. Es bedarf einer zügigen Umsetzung. Eine wie auch immer geartete neue Bundesregierung muss darauf hinwirken, dass ein Zeitplan entsteht, der den Menschen in Deutschland und vielen, die die hiesigen Geschehnisse aus dem Ausland beobachten, den Eindruck vermittelt, dass es um Gestaltung und Handeln geht und nicht um Zeitgewinn und Entscheidungsangst.