Um 1855: Die Häuser der Schlossfreiheit von den Linden aus
Was für ein merkwürdiger Name für eine Straßenbezeichnung an der Westseite des Schlosses! Er ist über 350 Jahre alt und bezieht sich auf eine Besonderheit, unter der das Bauen in Berlin immer noch leidet:
Bis in die Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm stand das Schloss am Rand der Doppelstadt Berlin-Köln, auf einer im Westen noch weitgehend unbebauten, sumpfigen Insel innerhalb der Spreearme. Schon damals kannte man die Unberechenbarkeit des Baugrundes, der jeden Häuserbau dort risikoreich machte und in der Regel auch die Kosten trieb. Wir haben dies ja gerade ein Stück weiter nordwärts mit dem Bau des James- Simon Zentrums vor dem Neuen Museum erlebt, dessen Baukosten sich durch den grundlosen, nicht tragfähigen Baugrund direkt am selben Spreekanal, dem Kupfergraben, fast verdoppelten.
Wie bei einem der uns gut bekannten Konjunkturprogramme früherer Bundesregierungen zur Ankurbelung der Wirtschaft, lockte der Große Kurfürst nun Siedler auf die Fläche, in dem er sie von allen möglichen Steuern und Abgaben befreite. Die Besitzer brauchten niemanden mehr für Wachdienste abzustellen, es gab keine kurfürstlichen Einquartierungen von Soldaten mehr – und man erlangte sogar die Gewerbefreiheit. Da lohnte sich das Bauen schon. Der Hof bestand allerdings darauf, dass das Gefolge von Gästen, das im Schloss nicht untergebracht werden konnte, Quartier in den neuen Häusern nahm, aber auch davon konnten sich die Hausbesitzer im 19. Jahrhundert freikaufen.
So wurde im Jahr 1672 eine Zeile von zehn Häusern am westlichen Spreearm, direkt am Ufer als „Schlossfreiheit“ gebaut.
Die „Schlossfreiheit“ entstand also als Sondergebiet in Berlin und aus erwähnten Befreiungen nur an dieser Stelle zugleich ihr Name. Heute gibt es sie nicht mehr, nur noch als Ortsbezeicnung. Ihre Häuser, seit dem Beginn häufig umgebaut und modernisiert, wurden 1894 für den Bau des Kaiser-Wilhelm-Denkmals, des damaligen Nationaldenkmals, abgebrochen. Hier soll nun das auf den Seiten 35 und 36 besprochene Denkmal für die Einheit und Freiheit der Deutschen entstehen.
1894 Abbruch der Schlossfreiheit
Die Schlossfreiheit von der Brüderstraße aus, rechts das Schloss
Die Schlossfreiheit mit dem Nationaldenkmal, das als Einheitsdenkmal für die Reichseinigung von 1871 galt.