„Eine Showtreppe für Wilhelm Zwo“

01.09.2017  WELT

Glamour und Magie statt freudloser und hyperkorrekter Kolonialismus-Debatten: Das Humboldt-Forum und seine sensationell schönen Kunstschätze haben eine bessere Behandlung verdient.

Von Tilman Krause

Mag man das Wort Humboldt-Forum überhaupt noch hören? Gibt es eigentlich irgendeinen Menschen, den die Aussicht auf die Präsentation der völkerkundlichen Sammlungen im dann wiedererstandenen Berliner Schloss mit Freude erfüllt? Oder wenigstens mit Neugier?

Die bisherigen Debatten haben uns doch jede Lust genommen. Auch jede Unbefangenheit. Denn das altbekannte deutsche Syndrom aus Ängstlichkeit, Strebertum und jener politischen Korrektheit, die jegliche Diskussion ideologisch-weltanschaulich einfärbt, verdirbt auch dem aufgeschlossensten Zeitgenossen inzwischen den Spaß an der Sache.

Alles wird auf einmal grundsätzlich diskutiert – aber eben nur ja nicht ästhetisch. Ob man heute noch in Kategorien der Völkerkunde denken könne, ob man überhaupt das Recht habe, Zeugnisse außereuropäischer Kulturen zu zeigen, solange nicht die Provenienz noch der letzten Tonscherben aus Zentralafrika geklärt ist, schließlich die ganz große Frage, ob nun nicht endlich, endlich eine Debatte darüber beginnen müsse, inwieweit die Niederschlagung des sogenannten Hereroaufstands Völkermord war.

All das mag ja seine Berechtigung haben, führt aber vom eigentlich Wichtigen völlig weg: Wie präsentiert man die ungeheuren Schätze, die das Humboldt-Forum eines Tages zeigen wird, so, dass sie in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit genossen werden können.

Denn darüber sind wir uns ja hoffentlich noch einig: Es geht um Schätze. Es geht um Pracht und Herrlichkeit. Wie sie auf uns gekommen sind, wird nie und nimmer bis ins Letzte zu klären sein. Diesbezüglich hat übrigens die Direktorin des Berliner Ethnologischen Museums, Viola König, in dieser Zeitung sehr bedenkenswerte Hinweise gegeben. Mitnichten stammt die Mehrzahl der Exponate aus den ehemaligen deutschen Kolonien, sondern aus Lateinamerika.

Und mitnichten gehen die Erwerbungen auf deutsche Plünderungen zurück: Auch damals gab es schon einen ausdifferenzierten internationalen Kunstmarkt. Man arbeitete mit allen möglichen, übrigens auch indigenen Agenten und Händlern zusammen. Also wohl eher kein Grund, der deutschen Lieblingsbeschäftigung nachzugeben und in Sack und Asche zu gehen!

Etwas anderes unheilvoll Deutsches droht allerdings: dass die Manien von sogenannten Fachleuten sich austoben und wieder mal fein säuberlich alles in Kästchen einsortiert wird. Jedenfalls hat man in den bisherigen Debatten noch nicht ein einziges Mal das Wort „Weltkunst“ vernommen. Also den Rückgriff auf das Konzept der „ars una“, die gerade nicht zwischen europäisch und außereuropäisch unterscheidet.

Entwickelt wurde das Konzept vom bedeutendsten deutschen Sammler europäischer wie ostasiatischer, afrikanischer und ozeanischer Kunst: Eduard von der Heydt. Und zwar in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg.

Zwar waren in Paris bereits vor von der Heydt Sammler im großen Stil wie Henri Cernuschi dem deutschen Bankier vorangegangen, aber so programmatisch wie dieser hatte niemand die Unteilbarkeit der Welt im Hinblick auf das Kunstschöne in Szene gesetzt.

Und so standen denn in der Villa dieses Mannes, von dessen Beständen später vor allem die Kunsthalle Wuppertal sowie das Museum Rietberg in Zürich profitieren sollten, auf einer Renaissance-Kommode ein gotischer Heiliger Georg neben einem Buddha, der fast tausend Jahre älter war. Und darüber hing ein Gemälde von van Gogh.

Kürzlich kam die Berlinische Galerie in origineller Weise auf das Prinzip der „ars una“ zurück und kombinierte Artefakte diverser afrikanischer Stämme mit solchen der Dada-Bewegung. Selten hat man so anschaulich vermittelt bekommen, was Dialog der Kulturen bedeuten kann.

In ganz anderer Form nahm dieses Prinzip der Vermischung statt der Trennung vor einigen Jahren Udo Kittelmann ernst, als er Ahnenbilder der Maori bei der Ausstellungseröffnung in der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel von indigenen Schamanen für den Berliner Aufenthalt rituell einsegnen ließ.

Das ist der Weg, sich gegenseitig zu ergänzen, indem man sich vom magischen Denken anderer Kulturen inspirieren lässt. Man muss nicht immer gut aufklärerisch zum „Ursprung“ wollen, wovon die Provenienzforschung lebt. Oder noch besser: Man sollte sich endlich mal die „magischen“ Anteile dieses Erkenntnisweges eingestehen. So wahnsinnig rational ist das ja schließlich alles auch nicht.

Wirklich ernst nehmen würden wir die einst Kolonisierten allerdings erst dann, wenn wir ihnen auch mal etwas von uns zum Kuratieren überlassen würden. Bietet sich dazu nicht die Inszenierung des letzten Schlossherrn, Wilhelms II., auf grandiose Weise an?

Wenn schon die Deutschen mit ihrer geballten Geschmackskultur aus Berlin-Reinickendorf, -Neukölln und -Wedding nicht auf die Idee kommen, die Selbstpräsentation des letzten deutschen Kaisers mit großer Revuetreppe als Operette oder Travestiespektakel à la Romy Haag zu präsentieren, dann fällt vielleicht Afrikanern der adäquate Umgang mit der Drag Queen aus dem Hause Hohenzollern ein.

Könnte man nicht eine Abordnung jener Dandys, die sich in Brazzaville (Republik Kongo) zur SAPE, der Gesellschaft der Gutgekleideten, zusammengeschlossen haben, mit der Einrichtung eines Ausstellungsbereichs zu Wilhelm Zwo betrauen?

Dieser Mann, der drei Mal am Tag die (Parade-)Uniform wechselte, der sich je nach Gelegenheit in einen Jägerrock oder eine Dschellaba warf, der den ungarischen Husarenlook (brustverschnürt!) genauso zur Geltung zu bringen wusste wie die Gewänder balkanischer Gebirgsfürsten (bunt!), der in der Admiralsuniform der Kaiserlichen Marine genauso bella figura machte wie in der Tracht der Garde du Corps samt voluminösen Schaftstiefeln, die heute der Knaller auf jeder Fetischparty wären – dieser Mann ist doch für den außereuropäischen Blick wie gemacht.

Denn das werden zumindest die heute auf dieser Erde befindlichen Deutschen wohl nicht mehr erleben, dass das Camp-Potenzial des letzten deutschen Kaisers samt seiner Entourage aus Skalden- und Rosenlieder dichtenden Diplomaten sowie Hofschranzen, die ihr Leben dafür gaben, sich Seiner Majestät im rosa Tutu zu präsentieren, endlich erkannt und umgesetzt wird.

Solange das ganze Thema Preußen in der üblich verdrucksten Manier, die wir Deutschen nun mal mit unserer Geschichte pflegen, als „Königsthema“ deutscher Identität behandelt wird, kann auch kein unbefangen fröhlicher Umgang mit dem wahrscheinlich durchgeknalltesten von allen deutschen Fürstenhäusern aufkommen. Nur Afrika kann uns da retten!

Intelligenter Lebensgenuss

Apropos fröhlich: So müsste es doch endlich einmal zugehen in einem Schatzhaus, das dermaleinst zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der deutschen Hauptstadt zählen soll. Allein dass ein so kapitaler Bau aus der Blüte des Barock, der gemäß seiner Gründer das urbane Zentrum Berlins verkörpern sollte (was er ja auch lange Zeit tat), gewissermaßen diese geschundene Stadt wieder ganz macht, müsste eigentlich Anlass höchsten Jubels sein.

Warum findet sich aber so gar nichts von dieser positiven Stimmung in allem, was jetzt zum Humboldt-Forum die Runde macht – am allerwenigsten in den staubtrockenen Sendschreiben des Deutschen Kulturrats?

Da wird immer nur trübe von Konflikten, Widersprüchen, „antagonistischen Ansprüchen“ geraunt. Das soll Besucher aus Basel oder Beirut, Barcelona und Brazzaville anziehen, gar begeistern? Von den nächstliegenden Adressaten, uns Deutschen, ganz zu schweigen? Hier, an diesem zentralen Gedächtnisort, bestünde endlich mal die Chance, das Einssein von nationaler Zugehörigkeit und Weltbürgertum in einem großen Fest der Brüderlichkeit zu zelebrieren.

Man sollte das Humboldt-Forum nicht den Bedenkenträgern überlassen. Hier müssen vor allem Experten dessen ran, was man intelligenten Lebensgenuss nennt. Sonst wird ein gigantisches Mahnmal deutschen Schlecht-gelaunt-Seins draus. Oder ein bürokratisches Ungetüm wie der BER.

 

Quelle: WELT, 01.09.2017

 

 

 

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