Die Debatte um den Wiederaufbau der Hohenzollernresidenz geht auch nach der Verschiebung des Baubeginns weiter.
Berlin. Das große Sparen hat das Projekt „Humboldt-Forum“ erst einmal ausgebremst. Es sei, sagt der beinahe provozierend gelassene Schloss-Promoter Wilhelm von Boddien, „wie die Echternacher Springprozession: drei Schritte vor und zwei zurück“. Kritiker jedoch wollen jetzt das ganze Unterfangen grundsätzlich überdenken.
Es ist Dienstagvormittag und Wilhelm von Boddien beginnt seine Berliner Woche. Er ist gerade mit dem Zug aus Hamburg gekommen, zieht zwei kleine Koffer hinter sich her und hat jede Menge Termine vor sich. Interviews, Vorträge, Diskussionsveranstaltungen, Redaktionsarbeit am aktuellen Werbematerial. Es ist keineswegs das Pensum eines Mannes, der enttäuscht ist, der nun an sich und seinem Tun zweifeln würde. Er ist guter Laune. „Jetzt erst Recht“, sagt der Adelsmann und nippt an seinem Tee.
Dabei hat der „Schlossherr“, wie der Chef des Vereins „Wiederaufbau Stadtschloss“ halb ironisch, halb respektvoll von vielen genannt wird, vor Kurzem einen herben Schlag ins Kontor hinnehmen müssen. Im Zuge seiner Sparbemühungen hat das Bundeskabinett auch den Beginn der Bauarbeiten für das Humboldt-Forum verschoben. Einige waren daraufhin verstimmt, wie etwa der Regierende Bürgermeister, der, eher pflichtbewusst, von „einem kulturpolitischen Armutszeugnis“ sprach. Andere frohlockten und sahen das ungeliebte Projekt bereits am Ende, bevor es richtig begonnen hat. Luftschloss, spotten sie klammheimlich, statt Stadtschloss.
Boddien aber blieb auffallend ruhig. Er spürte, dass jetzt nicht der Moment sei, um lautstark zu protestieren. Nach fast 20 Jahren Engagement für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses hat er gelernt, wie Politik funktioniert. Er hat überhaupt viel gelernt in dieser Zeit, zum Beispiel Netzwerke zu nutzen. Als er seinerzeit Gerhard Schröder um Unterstützung bat, nickte der zwar freundlich, erwiderte aber, ein Votum für das Schloss käme nicht so gut rüber. Hartz IV und Hohenzollernresidenz, das passte damals nicht zusammen. Jetzt läuft es wieder ähnlich. Jetzt aber kennt Boddien das Spiel.
Deutschland muss sparen, wie kann man da den „Menschen im Lande“ 440 Millionen Euro allein an Bundesmitteln für das Stadtschloss erklären? Man kann es nicht. Also fügt sich Boddien. Und ärgert sich, dass ihn ausgerechnet eine bürgerliche Koalition vorerst ausbremst.
Tollkühner Einfall
Der überaus zivile Kampf ums Schloss erlebte im Sommer 1994 seinen Höhepunkt – mit einem tollkühnen Einfall: Auf 7000 Quadratmetern bedruckter Polyesterfolie wurde die Fassade im Maßstab 1:1 präzise dort aufgebaut, wo das Gebäude einst gestanden hat. Es war ein Aufsehen erregender Schlag der Schlossfreunde und der Anfang einer nahezu beispiellosen Kampagne für den Wiederaufbau in der alten Dimension und dem vertrauten Äußeren. Seitdem gibt es ein Für und Wider, Begeisterung und Verbitterung, Freunde und Gegner. Seitdem ist die Debatte ums Schloss in dieser Stadt ein Thema. Und Boddien ihr eifrigster Protagonist.
In diesem Diskurs sind alle Argumente längst ausgetauscht worden. Es gibt die Fraktion derer, die dem abgerissenen Palast der Republik nachtrauern. Es gibt diejenigen, die mit dem Schloss in seiner überlieferten Form an glanzvollere Zeiten in Deutschland erinnern wollen. Es gibt die Anhänger des barocken Prunks (und Skeptiker gegenüber der Moderne) und im anderen Lager die Verfechter eben jener Modernde und ihrer Architektur (und Feinde des Stucks). Sie alle sind sich in herzlicher Antipathie zugetan.
Was es eigentlich nicht gibt, ist eine überzeugende Architektur, ein überzeugendes Nutzungskonzept und eine überzeugende Finanzierung. Aber große Ideen sind an Petitessen noch nie gescheitert. Diese Idee bekam mit dem positiven Beschluss des Bundestags von 2007 mächtigen Aufwind. Die darin genannte niedrige finanzielle Obergrenze von 552 Millionen Euro wird von Kritikern als eine eher politische denn eine realistische Marke gesehen. 2008 endlich wurde der Architektenwettbewerb entschieden und der weithin unbekannte italienische Baumeister Franco Stella zum Sieger erklärt. Der Beifall für die Juryentscheidung fiel bemerkenswert dünn aus.
Auch der Plan, die Zentral- und Landesbibliothek, einen Veranstaltungssaal sowie die völkerkundlichen Sammlungen in dem künftigen Humboldt-Forum unterzubringen, hat eine lebhafte Kontroverse ausgelöst. Während Nutznießer wie der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, dessen Ethnologischem und Asiatischem Museum in Dahlem es beklemmend an Besuchern mangelt und die dazu noch dringend sanierungsbedürftig sind, leidenschaftlich für diese Lösung werben, fragen sich andere irritiert, ob an den zentralen Ort der Stadt nicht etwas anderes gehört als afrikanische Einbäume und indianische Wigwams.
Die Euphorie, die nach dem Fassaden-Coup erst einmal herrschte, ist verflogen. Auch Boddien muss eingestehen, dass zurzeit in der Bevölkerung wenig Begeisterung zu spüren ist. Vielleicht haben die Menschen augenblicklich andere Sorgen, als sich um das Schloss zu kümmern. Damals war Berlin noch in starker Bewegung, Neues, Spektakuläres fiel auf einen fruchtbaren Boden. Die verwegenste Vision schien gerade gut genug für die Zukunft der Stadt. Heute backt man sehr viele kleine Brötchen. Man kann diesen Zustand auch Normalität nennen.
Wilhelm von Boddien streitet für seinen Traum, den er mit vielen teilt, mit offenem Visier und mit entwaffnendem Charme. Der 68-Jährige ist ein Mann, der bürgerschaftliches Engagement für eine geradezu natürliche Verpflichtung hält, der noch immer, nach all den Jahren, jungenhaft übers ganze Gesicht strahlt, wenn er von seiner Aufgabe erzählt.
Er weiß, dass ihm die Zeit davonläuft. Dass er nun alles daransetzen muss, die Abgeordneten bei der im Herbst anstehenden Haushaltsdebatte zu einem Beschluss zu bewegen, der einen Baubeginn noch in dieser Legislaturperiode fordert, denn eine linke Koalition im Bund könnte das Unternehmen doch noch kippen. Dass er den Traum vom Schloss wachhalten muss. Dass er noch viel Zeit in Berlin verbringen wird.
Kai Ritzmann
Berliner Woche, 07.07.2010