Berlin
So soll das Berliner Schloss aussehen
Berlin (RP). Die Stiftung Berliner Schloss hat dem Entwurf des Architekten Franco Stella zugestimmt. Damit kann das Genehmigungsverfahren eingeleitet werden. Nun muss der Haushaltsausschuss des Bundestages einwilligen – dann könnte 2014 mit dem Bau des Stadtschlosses begonnen werden.
Die Pickelhaube glänzt in der Sonne, die blaue Uniform bringt die Farbe des Himmels direkt vor das Deutsche Historische Museum in Berlins Mitte. In der Livrée steckt ein Leierkastenmann, der mit Fahnen die Kaiserzeit beschwört und nun den Schwengel dreht. Seine Melodie ist der passende Kommentar zu dem Ding auf der anderen Seite des Boulevards Unter den Linden: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten.“
Was diese Infobox bedeuten soll? Sie ist der erste sichtbare Fingerzeig auf die Zukunft: Das Schloss soll doch kein Traum bleiben. Was 500 Jahre mit der Stadt verbunden, von der totalitär-vernichtenden sozialistischen Stadt-Architektur 1951 aber einfach weggesprengt worden war, wird nun wieder aufgebaut. Die Infobox stellt das Projekt freilich als Provokation vor. Fünf, sechs, sieben Geschosse hoch, so genau lässt sich das nicht ausmachen. Diese hypermodernistische Bau-Art überfordert das an Statik gewöhnte Auge.
Und somit passt diese gigantisch-schräge Infobox bestens zu dem Bauvorhaben. Wilhelm II. war der letzte Bewohner hinter den Barockfassaden, die die Mitte der preußischen Kapitale bestimmten, ergänzten, sich auf die Stadt bezogen, so wie die Stadt sich auf das Schloss bezog. Der erste Versuch einer Republik wusste nichts damit anzufangen, die Nazis hängten ein paar Fahnen dran und sahen im Wesentlichen eine steinerne Hintergrundtapete für Massenaufmärsche darin. Die Alliierten warfen Bomben darauf, zu viel, um es schnell wieder zu flicken, zu wenig, um es zu zerstören. Die Sozialisten schließlich hatten auch keine Verwendung. Die offizielle DDR-Lesart über das Schloss als „Symbol einer für uns nicht tragbaren Zeit“ ging deshalb daneben. Aber der Aufbau des realen Sozialismus bedeutete in der Hauptstadt der „Zone“ ja ohnehin, die Vergangenheit plattzumachen und alle gewachsene Bebauung, immerhin von Arbeiterhand über Jahrhunderte geschaffen, unterschiedslos durch Plattenbauten zu ersetzen. Und durch breite Achsen, an denen die Nazis ihre Freude gehabt hätten. Auch die Sozialisten liebten die Massenaufmärsche. Mit dem Geld, das die Paraden-Tribünen verschlangen, hätte sich das Schloss dauerhaft sichern lassen.
Zweieinhalb Jahrzehnte nach dem großen Knall errichtete man anstelle der Schlosstrümmer den Palast der Republik. Er war Vorzeigebau der fortschrittlichsten Leistungsbilanzen der DDR. Die Volkskammer beklatschte hier den Ministerrat, und alle, die es in der DDR geschafft hatten, gingen ein und aus. Der Palast war das Wohnzimmer des Sozialismus – und kam mit ihm in die Jahre. Als sich nach der Wende herausstellte, dass der Staat vor dem finanziellen Kollaps stand, wurde der Palast zu dem, wonach er sich auf Sächsisch schon immer angehört hatte: Ballast der Republik. 5000 Tonnen Asbest erzwangen die Stilllegung – und erleichterten die Entscheidung für den Abriss. Der Aufschrei sozialistischer Symbolliebhaber blieb nicht aus.
Es folgten krampfhafte Versuche, eine Verwendung für ein asbestfreies Restgerippe zu finden. Dabei lag die beste aller denkbaren Nachnutzungen des Areals nach einer Riesen-Schlossattrappe und einem städtebaulichen Ideenwettbewerb auf der Hand. Vorwärts in die Vergangenheit. Zurück zum Schloss. 2007 sagte der Bundestag ja dazu.
Man muss den Ort auf sich wirken lassen. Einfach mal die Fläche erkunden. Breite Laufplanken aus Lärchenholz durchkreuzen mit 30 Zentimetern Bodenabstand scheinbar schwebend das Areal, auf dem verschiedene künstlerische Übergangsnutzungen einen Kulturetat etwa in Klangerlebnisse verwandeln. Unter Sonnenschirmen graben und pinseln sich Archäologen in den Boden und durch die Vergangenheit. Ein Ort in Wartestellung.
Plakate verweisen auf den nahenden Start für den Bau der U-Bahn vom Brandenburger Tor zum Roten Rathaus. Andere künden vom künftigen Einheitsdenkmal auf dem besagten Sockel. Aber das ist nur Beiwerk für das Darunter und Daneben. Wer den Blick kreisen lässt, vorbei an der Nachbararchitektur, am Dom (1894-1905), an der St. Marien-Kirche (1393-1790), an der Friedrichwerderschen Kirche (1824-1831), am Kronprinzenpalais (1663-1732), an der Neuen Wache (1816-1818), am Zeughaus (1695-1730) und am ehemaligen Staatsratsgebäude mit dem eingebauten Original-Stadtschloss-Portal – der sollte kurz die Augen schließen. Vielleicht kann er die Bauten dann rufen hören. Sie schreien nach dem Schloss.
Sein Bau war längst beschlossen, als ausgerechnet ein Konservativer die Stopp-Taste drückte. Auf dem Höhepunkt der Weltfinanz- und Schuldenkrise wollte Bauminister Peter Ramsauer nicht die Signale auf Füllhorn stellen. In der Tat darf gezweifelt werden, ob der private Schlossverein die zugesagten Privatmittel für die zusätzlichen Rekonstruktionen rechtzeitig zusammenbringt. Nach einem Jahrzehnt sind es gerade einmal 15 von 80 Millionen. Der „Rest“ wird mit 552 Millionen veranschlagt, indexiert auf das Niveau von 2007, Baukostensteigerungen zulassend. Derzeit dürfte die echte Summe eher bei 600 Millionen liegen. Es kann auch alles noch teurer werden.
Deshalb galt es jetzt eine weitere Hürde zu nehmen: Die Schlossplaner mussten abspecken. Hier ein Detail weg, dort ein Innenfassadenstück. Jetzt ist die Chance größer, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages das Zeichen gibt, dass bis Jahresende der Bauantrag Realität wird. Dann könnte die wunderbare Konzeption von Franco Stella der Mitte Berlins ihr Gesicht wiedergeben. Nicht ein einfallslos abkopiertes Zeugnis einer in der Vergangenheit stecken gebliebenen Architektur. Sondern eine Komposition aus Barock und Moderne, aus zupackender, raumgreifender Stadtbebauung, die sich ihrer Wurzeln bewusst ist und damit die Gegenwart zukunftsfest macht.
Oder um die laufende Imagewerbung aufzugreifen: „Be Berlin – sei Stadtschloss“.
RP am 14.6.2011, TEXT