„Preußisch grundiertes Selbstlob“

31.10.2022 – Der Tagesspiegel

Stadtschloss-Mentor Wilhelm von Boddien legt seine Memoiren vor. Interessant ist ein Kapitel aus der Zeit des Mauerbaus

Von Hans-Hermann Kotte

Der französische Humorist Topor (1938-1997) hat mit „Memoiren eines alten Arschlochs“ die ultimative Parodie auf das Genre der Autobiographie geliefert. Darin macht er sich insbesondere lustig über das typische übertriebene Namedropping. 382 Prominente und Celebritys kreuzen Topors fiktiven Lebensweg, von Al Capone bis zu Edith Piaf.

Nicht mit Berühmtheiten gegeizt wird auch in den jüngst erschienenen Memoiren von Stadtschloss-Mentor Wilhelm von Boddien. In seinem Buch „Abenteuer Berliner Schloss – Erinnerungen eines Idealisten“ reicht das Spektrum von Henry Kissinger bis zu Brigitte Grothum.

Schwerpunkt des Boddien-Buches sind natürlich die drei Jahrzehnte von der Kunststoff-Attrappe (1993/1994) über den Abriss des Palastes der Republik (2006-2008) bis zum goldverzierten Kreuz auf der Kuppel des wiedererrichteten Hohenzollern-Sitzes (2020).

Boddien erzählt im Sound von David vs. Goliath, denn der Landmaschinenhändler aus dem norddeutschen Bargteheide hatte ja weite Teile des linken politischen Spektrums, der Kulturszene und der Medienlandschaft gegen sich.

„Meine Vision erforderte unbedingte Einsatzbereitschaft. Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses kannte keine 40-Stunden-Woche. (…) Nur in ständiger Anpassung an das Tagesgeschehen war das Ziel zu erreichen.“

„Larmoyant kam nicht in Frage“, „Zielstrebigkeit muss (…) im Charakter angelegt sein“, „Man muss sich selbst immer wieder zwingen (…). Preußisch grundiertes Selbstlob – doch preist Boddien natürlich auch seine Mitstreiter und die Förderer, die Millionen für die historischen Schloss-Fassaden spendeten.

Und er verkneift sich auch nicht, mit seinen Kritikern aus Kultur und Journalismus, auch dem Tagesspiegel, abzurechnen. So weit, so uninteressant.

Wirklich bemerkenswert ist eigentlich nur ein frühes Lebenskapitel aus der Vorgeschichte des schloss-Kampfes. 1961, im Jahr des Mauerbaus, kommt Boddien als Schülerzeitungsredakteur eines Reinecker Gymnasiums nach Berlin. Da fährt er zunächst mit einem alten Moped alle Mauerabschnitte ab, als übe er bereits für seine spätere rolle als Geisterfahrer der Geschichte.

Dann schließt er sich an Mehreren Abenden der Lautsprecherwagen-Aktion „Studio am Stacheldraht“ an, die der damalige SPD-Innensenator Joachim Lipschitz zusammen mit dem Sender RIAS initiiert hat. Nach Beschallung der Grenze mit Marschmusik und Nachrichten werden die Bauarbeiter aufgefordert, ihre Maurerkellen wegzuwerfen.

Schließlich fährt der junge Boddien in den Ostteil der Stadt, steht auf dem riesigen Aufmarschplatz, der nach der Sprengung des Schlosses entstanden ist. Ihm kommt in den Sinn, wie „die kunsthistorisch interessierte Mutter“ ihm und seinen Geschwistern 1950 von der Sprengung des Schlosses erzählt hat.

Später, wieder zurück am Reinbeker Gymnasium, entsteht eine Wandzeitung, in der es nicht nur um den Mauerbau, sondern auch um das verlorene Schloss geht. So fing es also an.

Lustig ist das Buch übrigens nur an einer Stelle. Da erzählt Boddien eine Anekdote über Hartmut Dorgerloh, den Generalintendanten des Humboldt Forums im Wiedererstandenen Schloss. Mit dem versteht sich Boddien nach dem Streit um das goldene Kuppelkreuz und rechtslastige Fassaden-Spender nicht mehr so gut.

Und so schreibt Boddien von seinem Befremden darüber, dass eben dieser Dorgerloh geäußert haben soll, dass in seinem Beisein das Wort „Schloss“ für das Humboldt Forum nicht erwähnt werden dürfe, sonst koste es jedes mal einen Euro für die Kaffeekasse.

 

Quelle:  Der Tagesspiegel, 31.10.22

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5 Kommentare zu “„Preußisch grundiertes Selbstlob“

  1. Wilhelm von Boddien hat ein informatives, lesenswertes Buch verfaßt. Mir sind durch die Lektüre erst das ganze Ausmaß des Hasses und die Vielzahl der Gehässigkeiten klar geworden, mit denen er zu kämpfen hatte. Vor allem eien trübe Erscheinung namens Philipp Oswalt spuckte über die Jahre Gift und Galle. Wie bei Boddien der konstruktive Kampf um den Wiederaufbau Lebensinhalt geworden ist, so scheint bei Oswalt der destruktive Kampf um dessen Verhinderung auch einen guten Teil seines Lebens ausgefüllt zu haben. In Boddien und Oswalt sehe ich fast schon zwei Idealtypen, die sich in krasser Weise wie weiß und schwarz gegenüberstehen. Es scheint mir typisch zu sein, daß der Aufbauende politisch der rechten Mitte zuzuordnen ist, während der Zerstörer als Antifaschist weit links steht. Nur zur Klarstellung: Das GG verlangt eine antitotlitäre Haltung, nicht eine einseitg gegen rechts gerichtete. Wilhelm von Boddien ist für dieses „Abenteuer“ zu danken und auch den einflußreichen Helfern, die sich an seine Seite gestellt haben.

  2. „Von Hans-Hermann Kotte“, wenn Journalisten so in namhaften Zeitungen berichten, dann muss man sich nicht wundern, das unsere Welt so voller Hass, Häme und Unkultur ist.
    Einfach schrecklich! Kann man auf diese Weise irgend etwas positives schaffen ?

  3. Kottes Tiraden über einen Mann, der sich um Berlins Stadtbild hochverdient gemacht hat, sind unwürdig
    für den „Tagesspiegel“. Hätte die Hauptstadtzeitung nicht viele andere, bessere Journalisten, wäre dies
    bald ein Grund, diese nicht weiter zu abonnieren. Der Kulturteil wird immer linkslastiger.
    Dem Kommentar von „Gottlieb“ schließe ich mich vollinhaltlich an.

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