Was die Berliner über das Stadtschloss denken
Dienstag, 29. Juni 2010 14:14 – Von Isabell Jürgens
„Sage mir, wie Du gefragt wurdest, dann sage ich Dir, wie Du geantwortet hast.“ Diese Weisheit, die davor schützen soll, den Meinungsumfragen der Forschungsinstitute allzu viel Gewicht beizumessen, hat sich im Falle des Berliner Schlosses erneut bewahrheitet: Hatten bei einer Umfrage des Forsa-Instituts im Mai noch 80 Prozent von 1005 repräsentativ befragten Berlinern gesagt, dass man angesichts der Haushaltslage auf das Bau-Projekt verzichten sollte, kommt eine Umfrage von Infratest dimap im Juni zu ganz anderen Ergebnissen. Demnach sind von den 1000 repräsentativ befragten Berlinern 70 Prozent grundsätzlich für den Bau, 25 Prozent sind prinzipiell dagegen und fünf Prozent haben gar keine Meinung dazu.
Haben es sich die Berliner innerhalb nur eines Monats anders überlegt? „Nein“, sagt der Berliner Professor Richard Stöss, der am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft die Arbeitsstelle Empirische Politische Soziologie leitet. „Dieses eklatant andere Abstimmungsergebnis erklärt sich aus der Fragestellung.“ Während Forsa im Auftrag einer Berliner Zeitung generell nach Einsparpotenzialen angesichts der Krise gefragt hatte, stellt Infratest die „Schloss-Frage“ im Auftrag des Fördervereins Berliner Schloss in einen ganz anderen Zusammenhang.
Die erste Frage lautete: „In Berlin soll an historischer Stelle gegenüber dem Dom das Humboldt-Forum in Gestalt des Berliner Schlosses gebaut werden. Finden Sie, dass ein solches Gebäude mit wieder aufgebauten historischen Fassaden in der Stadtmitte gut ist für Berlin oder nicht?“ 50 Prozent der Berliner bejahten diese Frage, 45 Prozent verneinten sie. Infratest fragte anschließend die Gegner: „Sind Sie grundsätzlich gegen das geplante Gebäude oder nur momentan dagegen, weil während der Krise gespart werden muss?“ Von den 45 Prozent meinte dann knapp die Hälfte (also rund 20 Prozent der Gesamtbefragten), dass sie nur wegen der Finanzkrise gegen das Schloss seien. So zieht Infratest den Schluss, dass 70 Prozent der Berliner das Schloss wollen.
„Beide Fragestellungen sind korrekt und zulässig“, sagt der Politikwissenschaftler Stöss. „Forsa fragt direkt nach der Krise, da bekommt jeder einen Schreck, das begründet dann die negative Haltung.“ Dieses „starke Stimulans“ fehle dagegen bei Infratest, und so sei es ganz natürlich, dass die Berliner, gefragt, ob sie ein solches Gebäude für Berlins Mitte wünschen, ganz anders antworten. Stöss: „Dass bei den Fragestellungen völlig andere Ergebnisse herauskommen, beweist eben nur, dass bei allen Bevölkerungsbefragungen der Kontext wichtig ist.“
Berliner Morgenpost, 29.06.2010