Nationaldenkmal – Wiege der Einheit

Nationaldenkmal

Die Wiege der Einheit

Eine güldene Schale soll es sein, ein Zwitterwesen aus liturgischem Gefäß und Babywippe. Es wird dem deutschen Volk zur inneren Einkehr – und zum Strampeln dienen. Die Abendsonne wird die Schale leuchten lassen und die Bilder von der friedlichen Revolution auf der Außenseite zum Glühen bringen.

Der Bürger wird, diesen Glanz vor Augen, die Stufen des alten Denkmalsockels hinaufsteigen, auf dem einst das Reiterstandbild Wilhelms I. die erste deutsche Einheit als preußischen Triumph feierte. Oben findet er sich nicht mehr unter dem Gemächt eines Hengstes, sondern am Rand der Schale. Sie beginnt zu schwingen, wenn die Bürger in ihr sich bewegen, vor allem, wenn viele sich zusammenfinden und ihre Bewegungen abstimmen wie bei der friedlichen Revolution in der DDR, die die Voraussetzung für Einheit und Freiheit der Deutschen schuf.

Zwei Wettbewerbe waren nötig

Vielleicht wird das alles aber auch nur Jux und Rummel. Wahrscheinlich wird es alles zusammen sein. Denn: Ein Denkmal ist das, was das Publikum daraus macht. Der Entwurf, mit dem die Stuttgarter „Agentur für Kommunikation im Raum“ Milla&Partner sowie die Choreografin Sasha Waltz einen der drei Preise des zweiten Wettbewerbs für das Berliner Einheits- und Freiheitsdenkmal gewannen, soll nach dem Willen der Auslober, des Staatsministers für Kultur und des Bundesbauministeriums, nun realisiert werden. Eine lange, weitgehend unerfreuliche Geschichte geht zu Ende. Und es erhebt sich die bange Frage, ob das Ergebnis wirklich das bestmögliche ist.

Wir leben in postpathetischen Zeiten. Die Bedingungen für das Errichten von Nationaldenkmälern sind also schwierig. Einen allgemein akzeptierten Kanon von Pathosformeln gibt es ebenso wenig mehr wie eine große, positive Geschichtserzählung, die in wenigen Bildern heraufbeschworen werden kann. Unter diesen Voraussetzungen muss man es als mutig bezeichnen, dass der Bundestag am 9. November 2007 beschloss, in Berlin auf der ehemaligen Schlossfreiheit ein Einheits- und Freiheitsdenkmal zu errichten.

Auch die inhaltlichen Vorgaben waren ehrgeizig. Die Revolution in der DDR und die deutsche Einheit von 1990 sollten in den Zusammenhang aller deutschen Einheits- und Freiheitsbewegungen gestellt werden. Es galt also, für eine affirmative, zur Identifikation einladende Geschichtserzählung eine überzeugende Form zu finden. Von Anfang an stieß solche „Vereinnahmung“ auf Ablehnung bei vielen früheren Bürgerrechtlern. Sie sahen dieses Projekt in gefährlicher Nachbarschaft zum offiziellen DDR-Geschichtsbild, in dem alle „fortschrittlichen“ Traditionen der deutschen Geschichte in den „Sozialismus auf deutschem Boden“ mündeten. Um diesen Konflikt zu entschärfen und die Bürgerrechtler geschichtspolitisch abzufinden, beschloss der Bundestag, in Leipzig, der Stadt der Montagsdemonstrationen, ein zweites Denkmal zu errichten, das ganz der friedlichen Revolution gewidmet sein soll.

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages neigen selten zur Kühnheit. In der Denkmalfrage taten sie es mit ihrer Idee einer historischen Gesamtschau. Die Kleingeisterei lag, wie der erste Wettbewerb bewies, bei den Künstlern. Es war ein offener Wettbewerb, jeder konnte sich beteiligen. Mehr als 500 Entwürfe wurden im Frühjahr 2009 in Berlin ausgestellt. Keinem gelang es, der gestellten Aufgabe auch nur annähernd gerecht zu werden. Die Jury sah sich nicht dazu in der Lage, einen Sieger zu küren. In Erinnerung sind noch riesige Bananen, exotisches Getier und haufenweise Schriftzüge. Das Medienecho auf diesen Wettbewerb war niederschmetternd. Aber der Souverän hatte gesprochen. Er wollte das Denkmal.

Ein neuer Wettbewerb wurde ausgeschrieben, diesmal nicht offen, beteiligen konnte sich, wer eingeladen wurde. Außerdem wurde das ikonografische Programm abgespeckt. Von den großen historischen Linien war nun nicht mehr die Rede. 33 Künstler, Architekten und Designer nahmen die Einladung an. Im Oktober 2010 wurden ihre Arbeiten im Martin-Gropius-Bau ausgestellt. Und wieder konnten sich die Juroren nicht auf einen Sieger einigen, sondern zeichneten drei Bewerber gleichwertig aus. Neben Milla&Partner/Waltz waren das Andreas Meck und Stephan Balkenhol. Meck wollte über dem Denkmalsockel ein riesiges Dach aus beziehungsreichen Wörtern errichten. Balkenhol blieb seiner figürlichen Bildhauerei treu. Sein Einheitsdenkmal sollte ein nach Osten kniender Mann sein.

Man muss vermuten, dass die Entscheidung mit einer gewissen Zwangsläufigkeit auf Milla&Partner fiel. Besucher, die unter Mecks wenig ansehnlichem Wörterdach beim Entziffern der Botschaften in Genickstarre verfallen, sind keine erfreuliche Vorstellung. Ein „Ja“ zu Balkenhols figürlichem Pathos hätte Aufsehen erregt, vielleicht gar eine Kunstdebatte angestoßen. Seine schlichte Figur jedenfalls erschließt sich ohne Gebrauchsanweisung. Sie drückt Dankbarkeit, Demut und Zuversicht aus – eine Gefühlslage, der sich anzunähern die Nation gut beraten wäre. Aber sie ist konventionell. Und in Sachen Kunst konventionell zu sein, das will sich heute kein Politiker nachsagen lasen.

Kleinlautes Ende einer langen Suche

Also blieb nur die Schale von Milla&Partner/Waltz. „Bürger in Bewegung“ heißt das Werk. Wir wollen hoffen, dass Einheit und Freiheit und nicht der Trimm-Dich-Gedanke in dieser Schale die Oberhand behalten. Mancher zeigt sich nun überrascht bis empört, dass die lange Vorgeschichte des Denkmals plötzlich zu Ende geht. Formal hat alles seine Richtigkeit. Die Entscheidung obliegt der Bundesregierung in Gestalt des Bau- und des Kulturministers. Dass Bernd Neumann sie nun vor dem Kulturausschuss des Bundestages verkündete, soll ihre parlamentarische Legitimation unterstreichen. Das Manöver ist ziemlich durchsichtig und zeigt, dass die Entscheider nur begrenztes Vertrauen in den von ihnen erwählten Entwurf haben. So kleinlaut hätte der Wettbewerb um das deutsche Nationaldenkmal nicht zu Ende gehen brauchen. (Artikel )