Symposium
Museumsexperten fordern mutigeres Konzept für das Humboldt-Forum
Lothar Ledderose, der Doyen der Ostasienwissenschaft in Deutschland, malt
ein Schreckbild an die Wand: Wie würde wohl ein Humboldt-Forum aussehen, wenn
es in Tokio stünde und deutsche Kultur vorstellen wollte? Da gäbe es Albrecht
Dürer und Caspar David Friedrich, daneben eine bayrische Lederhose und einen
Weihnachtsbaum. Fänden wir eine solche Präsentation nicht unzutreffend und
herablassend? Ähnlich ginge es wohl Japanern, wenn sie in ein künftiges Humboldt-Forum
kämen und dort hochrangige ostasiatische Kunst neben einem japanischen
Fischergewand präsentiert bekämen.
Kritisch äußert sich Julian Raby von der Arthur M. Sackler Gallery in
Washington: Die Bestände der Berliner Museen, zweigeteilt in Ethnologisches
Museum und Museum für Islamische Kunst, taugten kaum, um die Fragen zu
beantworten, die ein heutiger Besucher an ein Islam- Museum heranträgt: Die
Konzeption in Berlin zeige nur eine fragmentierte Vision dessen, was das
Faszinierende am Islam sei.
Mit einer solchen Präsentation werde man sich international blamieren.
Dabei, so Silke Ackermann vom British Museum, seien in London die Vorträge der
Islamischen Abteilung seit dem 11. September 2001 regelmäßig überfüllt. Die
Menschen suchen Informationen, wo sie sie bekommen. Ein Islamisches Museum wäre
schlecht beraten, diese historische Chance zu verpassen.
Die über 40 Museumsexperten, die sich auf Einladung der Stiftung Preußischer
Kulturbesitz drei Tage lang in Berlin versammelt haben, um das Konzept für das
Humboldt-Forum zu diskutieren, machen keinen Hehl aus ihren hohen Erwartungen
und begründeten Bedenken. Viel Enthusiasmus war spürbar angesichts eines
Projekts, das in der Mitte Berlins einen neuen Blick auf die Kulturen der Welt
verspricht und sich mit dem außerhalb von Deutschland extrem angesehenen Namen
Humboldt schmückt. Aber auch viel Skepsis, ob ein solcher Neustart tatsächlich
gelingen kann.
Okwui Enwezor, Documenta-Leiter von 2002, kritisiert, schon jetzt sei das
Projekt mit seinem Konzept und den durch die Schlossfassade vorgegebenen
Raumstrukturen viel zu begrenzt, um ein freies Arbeiten und Denken zu
ermöglichen. Dann plädiert er dafür, noch einmal von vorn zu beginnen. Vom
Konzept der Berliner Museen, das seit drei Jahren in der Schublade liegt,
bleibt nach dem Treffen der Museumsleute nicht viel übrig. Immer wieder wird
erschreckend deutlich, dass die Stiftung mit ihren getrennt planenden
Abteilungen ein Projekt wie das Humboldt-Forum nicht angemessen wird bespielen
können.
Einen gemeinsamen Auftritt am Schlossplatz gilt es zu stemmen, mit einem für
alles verantwortlichen Kopf. Stattdessen wird es nach derzeitigen Planungen
weiter eine Unterteilung in Regionen (Afrika, die beiden Amerikas, Ozeanien,
Ostasien) geben. Spielfläche für alles, was aus der Reihe tanzt, soll die von
Martin Heller verantwortete Agora sein. Gerade die Agora aber erweist sich in
der jetzigen Planung als grundsätzlicher Fehler – was sich auch daran zeigte,
dass sie beim Workshop nur dann thematisiert wurde, wenn es gilt, diffizile
Anforderungen von den Museen abzuschieben: Das machen wir dann in der Agora.
Im Gegenteil! Das ganze Humboldt-Forum müsse eine einzige Agora sein,
fordert der indische Historiker Dipesh Chakrabarty. Durchlässig, flexibel,
offen für Diskussionen und ausgerichtet nicht auf historische Bestände, sondern
auf lebendige Menschen. Geschichten sollen erzählt werden, die sich an Objekten
entzünden und verschiedene Weltsichten präsentieren. Und die nie vergessen,
dass der europäische Blick nur einer von vielen möglichen ist.
Ist also Lothar Ledderoses Schreckbild der bayrischen Lederhose neben
Albrecht Dürer tatsächlich ein Schreckbild? Ist es nicht längst üblich, auch
europäische Kunstwerke zu kontextualisieren, über ihre Entstehungsbedingungen,
die Welt, in der sie geschaffen wurden und von der sie erzählen oder eben nicht
erzählen, zu informieren? Die Aufhebung der Trennung zwischen Ostasiatischer
Kunst und den Objekten aus der Ostasien-Abteilung des Ethnologischen Museums,
die Klaas Ruitenbeek im Humboldt-Forums plant – ist das nicht ein längst
überfälliger Schritt, um für europäische Augen ein Land und seine Kunst zu
erklären? Allerdings bleibt eine solche Darstellung so lange kolonialistisch,
wie sie den Blick nicht auch zurück auf Europa und seine Kulturen wendet.
Zweiter Schritt: Lerne dein Publikum kennen. „Wir Kuratoren wissen nicht so
viel über unsere Besucher“, gibt Peter Junge aus der Afrika-Abteilung zu und
verweist auf die Museumspädagogin. Die verweist, etwas verlegen, auf
Besucherstatistiken. Mehr hat man nicht. Auch im Umgang mit den Communitys der
Herkunftsländer fremdelt man. Zu groß die Sorge vor Rückforderungsansprüchen,
zu stark das Bedenken, die kostbaren Objekte könnten bei rituellen Nutzungen
beschädigt werden. Nicht die lebendige Tradition, die sich an die Exponate
knüpft, steht im Vordergrund, sondern das Zeugnis einer vergangenen
Wissenschaftsepoche. In diesen Momenten wirkt Berlin und sein Museumskonzept
erschreckend provinziell.
Die Frage nach dem Publikum? Da kann George O. Abungu nur müde lächeln –
damit hat man sich etwa in Kenia vor 15 Jahren beschäftigt. Seitdem gibt es
einen „Club der jungen Forscher“, wo Jugendliche an den Sammlungen arbeiten
können. Auch dass Objekte an die Communitys ausgeliehen werden, ist hier
durchaus üblich. Anthony Shelton, Direktor des Museums of Anthropology in
Vancouver, hat eine ganze Reihe von Studien- und Forschungslaboren in seinem
Museum geschaffen. Jette Sandahl, die in Göteborg das viel gerühmte Museum der
Weltkultur gegründet hat, empfiehlt gesundes Misstrauen gegenüber allen binären
Strukturen: Kunst hier, Ethnologie dort. Europa hier, außereuropäische Kulturen
dort. Längst sei die Welt eine Welt der Wanderung und Durchmischung, in der
Afrika eben nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent, sondern überall zu
finden sei. Es gelte, eine Welt voller Konflikte im Museum zu reflektieren.
Zunehmende Fremdenfeindlichkeit konstatiert auch Neil MacGregor vom British
Museum überall in Europa. Umso wichtiger sei es, klarzumachen, dass fremde
Kulturen längst zu uns gehören: „Das Lieblingsgericht der Briten ist nicht mehr
Roast Beef, sondern Chicken Tikka Masala.“
Aufregend findet sei Jette Sandahl diese Zeit, in der Europas nachlassender
Einfluss ganz andere Strukturen sichtbar werden lasse: „Ich bin sehr glücklich,
heute zu leben.“ Aufregend ist tatsächlich auch die Diskussion, die das
Humboldt-Forum angestoßen hat. Die hohen Erwartungen der Museumswelt, die in
jeder Diskussion zu spüren war, zeigen, dass dieser Humboldt-Plan tatsächlich
auf der Höhe der internationalen Diskussion ist und dass hier Fragen gestellt
werden, mit denen sich alle Museen derzeit herumschlagen. Diesen Schwung gilt
es nun auch in die Öffentlichkeit zu tragen. Das Berliner Konzept, so das
Ergebnis der Tagung, mag den Anforderungen, die in ihrer Fülle den Charakter
eines Wunschkonzerts hatten, kaum gewachsen sein. Aber es hieße eine
historische Chance verspielen, hier nicht mutig noch einmal neu zu denken.
„Erzählen Sie das, was Sie selbst interessiert. Egal wie abwegig, wenig repräsentativ
oder fragmentarisch Ihre Geschichte ist“, ruft Steven Engelsman vom Museum für
Völkerkunde in Leiden den Berliner Museumsleuten zu. Also los: Überrascht uns!
Der Tagesspiegel am 11. April 2011