Libeskinds Vision

 

Libeskinds Vision

von Eckhard Fuhr

Diese Woche habe ich mit Staunen gelesen, was der Architekt Daniel Libeskind vom Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses hält. Auf die Frage, was in der Mitte Berlins gebaut werden solle, antwortete er in einem Gespräch mit der „Berliner Morgenpost“: „Auf jeden Fall kein Stadtschloss. Ich würde anstelle des Stadtschlosses in Berlins Mitte lieber einen fantastischen großen Spielplatz gestalten. Dort könnten dann die Kinder aller Nationen zusammenkommen und miteinander spielen.“

Das kommt also dabei heraus, wenn Architekten Visionen haben. An Visionen, sagt Libeskind, mangele es Berlin, nicht aber an Spirit. Ich lebe also in einer Stadt mit Spirit, der aber leider auf seinen architektonischen Ausdruck noch wartet. Aber das soll sich ja ändern. Wahrscheinlich steht Libeskind schon ein besonders steiles und zackiges Monumentalklettergerüst vor Augen, eine Art Matterhorn aus Aluminium, in dessen Klüften die Kinder der Welt multikulturelle Bergkameradschaft einüben können, während besorgte Mütter und Väter am Rande saharaähnlicher Sandkastendünen sitzen und aufpassen, dass die Eimerchen und Schäufelchen aus recyclebarem Kunststoff nicht von den Windböen in Berlins zugiger Mitte zugeweht werden. Auch könnte man ja die Trommeln und Einbäume aus den ethnologischen Sammlungen, die eigentlich ins Schloss sollen, als interkulturelles Spielzeug zur Verfügung stellen.

Es ist schon erstaunlich, welche Ideen die modische Schlossverachtung gebiert. Oder anders gesagt: Man darf sich wundern, mit welcher Selbstverständlichkeit das Nichtvorhandensein einer Idee als solche ausgegeben wird. Selbst bei so bedeutenden Baumeistern wie Daniel Libeskind führt der Blick auf den leeren Schlossplatz zu umgehender Regression. Ein Spielplatz an der Stelle der einstigen Hohenzollernresidenz – so was Nettes aber auch! Und so originell! Und so vorbildlich! Damit werden noch korrekter die Lehren aus der Geschichte gezogen als mit der Idee, den Schlossplatz als Wiese zu gestalten. Da könnte man ja auf den Verdacht kommen, die Deutschen wollten Gras über ihre verhängnisvolle Vergangenheit wachsen lassen. Ein Spielplatz aber für die Kinder der Welt, dort, wo einst preußischer Militarismus und deutscher Nationalismus nisteten, das ist so durch und durch gut gemeint, dass sich jeder Einspruch verbietet.

Ich bin froh, dass der Bundestag über die zurzeit wichtigste städtebauliche Frage in der deutschen Hauptstadt entschieden hat und nicht frei flottierende Architektenfantasie. Den Abgeordneten quer durch die Parteien war klar, dass man an diesem Ort nicht irgendwelches Larifari veranstalten kann. Zeitgenössische Architektur hat für den Schlossplatz nichts hervorgebracht, was überzeugender gewesen wäre als die Wiedererrichtung des Schlosses samt seiner Barockfassaden, die übrigens nichts dafür können, dass es Kritiker gibt, die sie für „neoklassizistisch“ halten.

Die Welt, 16.8.2010