Im Auge des Sturms

Im Auge des Sturms

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Kaum also hat das HKW seinen Platz gefunden, die Kongresshalle im Bewusstsein abgelöst und sich im Ausland einen guten Ruf erworben, gerät das kulturpolitische Gefüge der Hauptstadt schon wieder ins Rutschen. Es ist die Geschichte von Katalysatoren: Je wirkungsvoller sie sind, desto volatiler auch. Die Arbeit des HKW hat auf das gleichfalls international orientierte HAU ausgestrahlt, und umgekehrt. Diese beiden sind die Schnellboote unter den Tankern des Berliner Kulturbetriebs, trotz ihrer schwierigen Bauart.

Vor zwei Jahren, zum 50. Geburtstag der Kongresshalle, forderte HKW-Intendant Bernd M. Scherer, man müsse das „Projekt der Moderne zum ersten Mal wirklich ernst nehmen“. Und das meint eine Vielzahl von Modernen, nicht allein die über Jahrhunderte dominierende europäische. Kulturstaatsminister Bernd Neumann – auch er wird zum Geburtstag heute sprechen – hat Scherer in ein Gremium berufen, das sich mit der Ausgestaltung der Agora im geplanten Humboldt-Forum beschäftigt. Noch ein bastardisches Projekt: Die Berliner Sammlungen außereuropäischer Kulturen sollen in die Mitte rücken, hinter die barocke Schlossfassade. Das kann kein reines Museum werden, sondern eben ein Forum für die kulturellen Debatten dieser Welt.

Erinnert das nicht an die Anfangszeit des HKW, als man etwas erfand, um die eingestürzte und wiederaufgebaute Kongresshalle zu reanimieren? Auch dem Humboldt-Forum wird Misstrauen entgegengebracht, so wie seinerzeit dem Haus der Kulturen der Welt, das man erfinden müsste, wenn es nicht existierte. Vielleicht wird es in Berlin einmal zwei Häuser der Weltkulturen geben, in der Kongresshalle und im Schloss. Klar aber ist, wohin die Reise geht – mit Humboldts Spirit ins Offene. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich gezeigt, dass Bastarde jede Form von forcierter Reinkultur glorios überleben und überflügeln.

Zum Jubiläum hat das HKW einen internationalen Literaturpreis ausgelobt, für Autoren und ihre deutschen Übersetzer. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Und zugleich das wichtigste Charakteristikum des Hauses: Dinge zu tun, die sich vernünftigerweise von selbst verstehen in einer globalen Welt. Die sonst aber niemand anpackt.

Tagesspiegel, 02.09.2009