Gemischtwarenladen auf der Museumsinsel

Gemischtwarenladen auf der Museumsinsel

Von Jenni Roth

Schon 100 000 Besucher in Berlins Babylon-Schau
Mit den Klassikern kamen die Schlangen. „Die schönsten Franzosen kommen aus New York“ hieß die Schau des Metropolitan Museum in Berlin 2007. 680 000 Besucher warteten stundenlang, um die Gemälde aus Übersee in der Neuen Nationalgalerie zu bestaunen, 1,2 Millionen waren es drei Jahre zuvor bei der Schau des Museum of Modern Art (MoMA). Nun ist die Besucherschlange zum Pergamonmuseum vorgerückt.

Seit vor drei Wochen die Ausstellung „Babylon – Wahrheit und Mythos“ ihre Pforten öffnete, werden tagaus, tagein Menschenschlangen durch den Eingangsbereich auf der Museumsinsel geschleust. Wurden bis Oktober 300 000 Besucher erwartet, wurde jetzt schon Nummer 100 000 vor den Toren des Sündenpfuhls gezählt.

Eine Zahl, die auch einen Trend widerspiegelt. Berlin hat mehr Museen als Regentage, und schon 2007 war für die Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) ein Erfolgsjahr. In den 17 großen Museen erhöhte sich die Besucherzahl im Vergleich zu 2006 um knapp ein Drittel auf 5,36 Millionen, angeführt vom Pergamonmuseum mit rund 1,3 Millionen.

Trotz aller Eintrittsgelder: Das Gros der Einnahmen erwirtschaftet das Event-Marketing. Selbst eine Mammuteinrichtung wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Trägerin der Staatlichen Museen, hat erkannt, dass ein erfolgreiches Museum mehr braucht als Original-Artefakte und Schöngeist. Bier zum Beispiel.

Passend zur Babylon-Schau gibt es also „Babel-Bier“ im Museumsshop, Neuzeller Klosterbräu. Auf dem blau-silbrigen Etikett prangt ein Gesetzestext aus dem 18. Jahrhundert v. Chr., der beweist, dass das Gebräu schon damals ein wichtiges Kulturgut war. Und auch der athenische Söldnerführer Xenophon schwärmte in seiner „Anabasis“ vom vergorenen Getreidetrunk. Gekühlt ist das Museumsbier nicht, trotz sommerlicher Temperaturen – es ist ja nur ein Souvenir. Beschränkte sich das Repertoire der Shops bisher meist auf Postkarten und Kühlschrankmagneten, sollen die Designerstücke jetzt das angestaubte Image verjüngen. Auch mit dabei: Ein breites Veranstaltungsprogramm und eine ebensolche Werbekampagne: „Alle sind unsere Zielgruppe“, heißt es beim Museum – Touristen, Rentner, Jugendliche. „Wenn einer dieses Armband trägt, und gefragt wird, cool, wo hast du das her, wird das Interesse für die Schau geweckt“, hofft Katharina Bauckhage vom Ausstellungsbüro x:hibit, zuständig für das Eventmarketing. Das neonfarbene Band ist dabei eines der wenigen Produkte ohne direkten Bezug zur Ausstellung. Bauckhage weist auf eine kleine Flasche: „Es gibt eine Champagnerflascheneinheit von 15 Litern. Die heißt Nebukadnezar, wie der babylonische König.“ Andere Etiketten erklären, was es mit Muschuschu auf sich hat, dem Fabelwesen und Symboltier für die Göttin Ischtar, das sich als Leitmotiv auf T-Shirts, Umhängetaschen und Baby-Lätzchen durch den Laden zieht.

Bevor sie nach Berlin kam, war die Ausstellung im Pariser Louvre zu sehen – aber ohne stimmiges Marketing: „Auf manchen Produkten war einfach der Löwe vom Ischtartor 1:1 abgebildet.“ Bauckhages Stimme verrät: Das ist nicht zeitgemäß. Neben dem Victoria and Albert Museum in London sei vor allem das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) „Meister im Vermarkten“. Der Gastauftritt in Berlin 2004 bewies, wie modern man Klassiker vermarkten kann. Daraus haben die SMB gelernt, wie auch aus Fehlern: „Die Strategie verwässert, es werden irgendwelche Produkte verkauft, ohne Sachbezug.“

Doch wie man Besucherschlangen in den Griff bekommt, wissen andere besser: Sieben Millionen besteigen jährlich den Eiffelturm, das Luftfahrtmuseum in Washington empfängt 60 000 Besucher pro Tag. Zeitfenstertickets gab es schon bei der MoMA-Ausstellung, nun auch für Babylon. Bis 2012 will Berlin in Sachen Besucherfreundlichkeit aufholen. Unter anderem mit der geplanten James Simon-Galerie auf der Museumsinsel, einer Art Besucherleitsystem für geschätzte vier Millionen Gäste pro Jahr. Dazu gehören auch ein Medienzentrum, Raum für Sonderausstellungen, Shops und Restaurants. Eine Idee, die vergleichbare international bedeutende Kunstzentren längst umgesetzt haben.

Modernes Marketing dürfte auch ins Stadtschloss einziehen, das in einigen Jahren als Humboldtforum wiedererstehen soll. „Wir errichten eine Ladenzeile mit Gastronomie“, hat Stiftungspräsident Hermann Parzinger bereits angekündigt.

Die Welt, 18.07.2008