Fürs Dekor fehlt das Geld
In Berlin wurde wieder einmal über die Rekonstruktion der Schlossfassaden geredet: Architekt Franco Stella hat große historische Vorbilder im Sinn, viele Details sind im Budget von 553 Millionen Euro jedoch nicht bedacht. Derweilen explodieren die Baukosten.
Noch immer ist in Berlin die leidige Fassadenfrage rund um das Projekt „Berliner Schloss – Humboldt Forum“ nicht erledigt. Am Mittwochabend, als der Architekt Franco Stella seine neuesten Pläne für das Projekt vorstellte, war das Audimax der Humboldt-Universität fast voll, und das Publikum bis hin zu Schimpfattacken engagiert. Er wolle, so Stella, „in der Grammatik von Schlüter“ bauen. Da ist die gigantische Halle der neuen, von Wandelgängen und der Rekonstruktion des Triumphportals umgebenen „Agora“, für deren „Szenografie“ Stella ohne Schamesröte die elegante Bühnenarchitektur des von Andrea Palladio um 1580 entworfenen Teatro Olimpico in Vicenza heranzog. Da ist der lange Gang zwischen den beiden Schlossseitenportalen II und IV, der das Vorbild der Florentiner Uffizien spiegelt. Da ist der Schlüter-Hof, dessen rekonstruierter barocker Formenfülle Stella eine rabiat-harte westliche Wand entgegen setzen will. Und immer noch will Stella die Stadt mit der ähnlich abweisenden Ostfassade des Gesamtbaus beglücken.
Für viele Detailrekonstruktionen ist im derzeitigen Etat von 553 Millionen Euro kein Geld da. Aber die Stiftung „Berliner Schloss – Humboldt-Forum“ (SBSHF) ist immer noch hoffnungsfroh, bis 2017 genug Geld für alle Steindetails und Figuren zu sammeln. Baulich werde alles dafür vorbereitet, mit einer 64 Zentimeter dicken Ziegelwand vor der eigentlich tragenden Betonwand. Das Publikum verlangte darüber hinaus noch weit mehr Rekonstruktionen, nicht nur des Renaissanceflügels und des Apothekerflügels, sondern auch von Innenräumen der Paradekammern, des Weißen Saals, des Elisabethsaals.
Man schmort im eigenen Saft
Alleine die Berliner Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen wagte, mit Buhrufen belegt, nach den Inhalten des Projekts zu fragen, auch nach der Reaktion auf die Kritik der Ratgeber. Die schnurzige Antwort von Manfred Rettig, dem Vorstand der SBSHF, raubte manchem Architekturfreund im Publikum den Atem: „Hier geht es um Architektur, nicht um Inhalte“. Als wenn es jemals gute Architektur ohne gut geplante Inhalt gegeben hätte.
Berliner Stadtschloss: Retrokulisse unter Artenschutz
Und da gibt es ja wirklich einiges zu besprechen. Vor einigen Wochen kam eine internationale Ratgebergruppe nach Berlin und fragten etwa, warum bisher Europa aus dem Bild der Weltkulturen ausgeschlossen ist? Mit Hilfe des Museums Europäischer Kulturen könnte doch die Bedeutung von „weißen“ Einwandern in den USA, Kanada, Australien oder Südafrika erklärt werden. Sie sind genauso wie die Kulturen von „Schwarzen“ in Europa, den USA und Südamerika, von Indern in Afrika und von Chinesen allerorten Beispiele für den ständigen Wechsel, der Kulturgeschichte ausmacht. Stattdessen halten die Staatlichen Museen fest an der Konstruktion einer zwischen „Europa“ und „Außereuropa“ getrennten Welt.
Und warum planen sie gleich zwei Abteilungen für die Vielfalt der islamisch geprägten Kulturen: Einmal die Sammlungen des Ethnologischen Museums im Humboldt-Forum und zum anderen das Museum für Islamische Kunst, für das derzeit der bis in die Pariser Welterbekommission umstrittene Radikalumbau des Pergamonmuseums geplant wird. Die Begründung der Preußen-Stiftung: Man wolle so zwei Aspekte des Islam zeigen. Aber welcher Besucher will und kann schon eine solche über Hunderte Meter weit gespannte inhaltliche Linie ziehen? Eher wird hier die in der Forschung längst überholte Trennung zwischen „Kunst“ und „Volkskulturen“ konserviert. Und sei es nur, um die Autonomie der entsprechenden Sammlungen nicht zu gefährden.
Aus eigenem Etat
Bisher sträuben sich die Staatlichen Museen aber gegen jede Überarbeitung ihrer Planungen. Doch wird die mächtige Preußen-Stiftung sich der Debatte kaum entziehen können. Europa ist ein Thema in einer Zeit, in der der Kontinent nach neuem Selbstbewusstsein sucht. Und die Zusammenführung der islamischen Sammlungen im Humboldt-Forum würde viele andere Probleme mit lösen: Sie allein könnten die Brücke zwischen den Kulturen der weiten Welt und denen der Antike-Nachfolger bilden, die im Wesentlichen auf der Museumsinsel gezeigt werden; für die einzigartige Mschatta-Fassade könnte im Humboldt-Forum – im Gegensatz zum Pergamonmuseum – ohne Weiteres endlich der angemessene, lichtdurchflutete Saal geschaffen werden. Der Radikalumbau des Pergamonmuseum könnte eingespart werden, der Neubau des Europa-Museums ebenso, vielleicht sogar der einer neuen Gemäldegalerie.
Die gestiegenen Material- und die Baukosten haben das Projekt Humboldt-Forum inzwischen auf wenigstens 600 Millionen Euro verteuert. Im Bundestagsbeschluss ist eindeutig festgelegt: Das Bundesbauministerium muss die Zusatzkosten aus dem eigenen Etat erwirtschaften.
Frankfurter Rundschau am 27.Mai 2011, Text von Nikolaus Bernau