Erster Blick in die temporäre Kunsthalle
Lang wurde über sie diskutiert, jetzt steht sie endlich: die temporäre Kunsthalle am Berliner Schlossplatz. In zwei Jahren soll hier mit dem Bau des Humboldt-Forums begonnen werden, dann muss die Box wieder weg. Am Mittwoch wird das Gebäude eröffnet. Morgenpost Online hat einen ersten Blick in die Ausstellung geworfen.
Die temporäre Kunsthalle, die am Mittwoch durch den Regierenden Bürgermeister höchstpersönlich eröffnet wird, hat einen Bonus, der höher nicht sein könnte. Egal wie gut oder schlecht die Kunst sein wird, die künftig dort ausgestellt wird. Die Box steht direkt am Schlossplatz, dem prominentesten, historisch stark aufgeladenen und meistdiskutierten Platz dieser Republik. Ein Ort des Übergangs und des Umbruchs. In zwei Jahren soll hier mit dem Bau des Humboldt-Forums begonnen werden, dann muss sie wieder weichen.
Eine bizarre Kulisse umgibt die Box
Und da steht sie nun, die fertige, schlichte, blauweiße Kunstschachtel, bodenständig und weniger flüchtig, wie es der luftig-leichte Wolken-Entwurf des Wettbewerbpartners Graft gewesen wäre. Eine bizarre Kulisse umgibt sie, das alte und neue Berlin wie im Kaleidoskop: die Ruinen-Stümpfe des Palastes der Republik, den Schutt davor, dahinter der Fernsehturm, Staatsratsgebäude, Friedrichswerdersche Kirche, Bertelmann, Deutsches Historisches Museum, Altes Museum, Berliner Dom. Von der Café-Terrasse aus sieht man auf die Grabungsflächen mit den historischen Resten des Stadtschlosses und die alten Klosteranlagen.
Fangen wir mit der Fassade an. Sie soll ebenso künstlerische Plattform sein wie der 600 Quadratmeter große Innenraum, ein typischer „White Cube“ aus Holz, gute 50 Meter lang und elf Meter hoch. Wie schon berichtet, setzt Documenta-Künstler Gerwald Rockenschaub, zwischen Bildhauerei und Werbedesign angesiedelt, bei der ersten Gestaltung auf Wolken vor blauem Himmel: minimalistisch gepixelt, wohl als Reminiszenz an den Verliererentwurf und als Metapher für Veränderung und Dynamik.
Mögen muss man diese Außenhaut deshalb nicht, sie ist reichlich plakativ, allerdings ein weithin sichtbarer Hingucker, der mit den Mechanismen der Werbung an einem der werbeträchtigsten Plätze Europas spielt. Und wer nicht Kunst guckt, wird zumindest in der schönen Lounge-Bar mit den exotischen Kimono-Fliesen die Atmosphäre auf sich wirken lassen.
Die Erwartungen an die Kunsthalle sind hoch, versteht sie sich doch als das Forum für Berliner Gegenwartskunst – das Signet („hipp“, „arm aber sexy“) im internationalen Metropolenwettbewerb. Der Berliner Senat erhofft sich durch das privat finanzierte 1,5 Millionen Euro-Projekt einen weiteren Imageschub und neue Vermarktungsmöglichkeiten.
Im Inneren des Gebäudes lärmt es gewaltig. Überall Singsang; ein babylonisches Stimmengewirr. Die erst Schauer öffnet Candice Breitz mit einer medialen Flimmerkiste, bestehend aus drei Videoinstallationen. Neu sind sie nicht, sondern zwei und drei Jahre alt, allerdings erstmals in Berlin zu sehen. „Working Class Hero“, „King“ und „Queen“ zeigen auf dicht aneinandergereihten Monitoren singende Fans von John Lennon, Michael Jackson und Madonna: Da sieht man verschrobene Grimassen und aufgesetzte Gesten. Jeder will ein Star sein.
Eine zweigeteilte Ausstellung
In die Halle wurde eine Kiste in der Kiste eingebaut, um die drei Installationen von einander zu separieren. Schade, denn die Kunstbox wirkt entsprechend klein. Wie in anderen Arbeiten auch, untersucht Candice Breitz die Wirkungsmechanismen von Popkultur und Massenmedien, ihren Einfluss auf die Gesellschaft und die Manipulierbarkeit von Bildern. Einen Monat nach der Eröffnung morgen wird Breitz eine zweite nachschieben – mit einem ambivalent-schillernden Video-Porträt des Hollywood-Stars Jack Nicholson. Nichts gegen den genialischen US-Schauspieler. Aber worin liegt bei diesem „Nachschlag“ die Relevanz für die Kunsthalle? Angeblich ist die Künstlerin nicht rechtzeitig fertig geworden. Diese Ausstellungspolitik wirkt reichlich unprofessionell.
Dennoch ist Candice Breitz keine schlechte Wahl. Die Südafrikanerin, Jahrgang 1972, ist auf dem Kunstmarkt bekannt, seit einigen Jahren schon lebt sie in Berlin, steht für die Internationalität der Kunststadt Berlin, die sie gar nicht müde wird zu loben. Ihre Arbeiten sind klug und präzise, allerdings recht abstrakt und wenig sinnlich. Und so passiert es, dass in der neuen Kunstkiste der Funke nicht recht überspringt.
Vielleicht liegt es auch daran, dass man sich als Einstand einen furioseren Auftritt gewünscht hätte: einen nachhaltigeren, der stärker nach vorn weist. Etwa eine Gruppenschau, die ein schärferes Profil der jungen Kunst in der Stadt abbildet. Erinnern wir uns an den Dezember 2005. Konstanze Kleiner und Coco Kühn, die zwei Initiatorinnen der temporären Kunsthalle, haben damals bewiesen, wie beeindruckend sich Berliner Gegenwartskunst präsentieren kann. Im abbruchreifen Palast der Republik improvisierten die beiden einen White Cube. Etwa 30 Künstler, die in der Stadt leben, darunter Thomas Demand und Thomas Scheibitz, stellten ihre meist neuen Arbeiten vor, und es spiegelte sich ein so vielsagendes Bild der hier entstehenden zeitgenössischen Kunst. Daran müsste sich die Kunsthalle messen.
Berliner Morgenpost, 28.10.2008