Ein Ort der Lebenslust
Neun Gebäude in einem: Warum alles dafür spricht, dass das Berliner Schloss endlich gebaut wird. Eine Verteidigung
Das Projekt des Architekten Francesco Stella war lange umstritten. Doch eine Absage wäre ein enormer Prestigeverlust für Deutschland
Das Berliner Schloss kommt. Das ist die Nachricht, die der Stiftungsrat der „Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum“ nach seiner nichtöffentlichen Plenumssitzung im Berliner Kronprinzenpalais gestern ausgesendet hat. Die Entwurfsplanung des Architekten Francesco Stella steht und wurde von dem unter anderem aus Mitgliedern des Bundestages, der Bundesregierung und des Landes Berlin zusammengesetzten Gremium abgesegnet. Am Zeitplan wird festgehalten. „In zwei Jahren wollen wir den Grundstein legen. 2014 geht es mit den Baumaßnahmen im vollen Umfang los. Noch vor Ende dieses Jahrzehnts wollen wir der Mitte unserer Hauptstadt ihr Gesicht wiedergeben und das Humboldtforum im Berliner Schloss eröffnen“, so der Stiftungsratsvorsitzende Rainer Bomba, Staatssekretär des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, nach Abschluss der Beratung.
Die Verschiebung des Baubeginns um zwei Jahre hat also allen Unkenrufen zum Trotz nicht bedeutet, dass Bundesregierung und Bundestag von dem Projekt abgerückt wären. Das hat einen leicht nachvollziehbaren Grund. Eine Absage an das Vorhaben hätte einen beispiellosen Prestigeverlust für Deutschland bedeutet. Denn es geht ja nicht nur um den Wiederaufbau historischer Fassaden, auch wenn diese von hoher geschichtlicher und künstlerischer Bedeutung sind. Sondern um das größte kulturelle Bauvorhaben Deutschlands seit dem Ende des Kaiserreichs.
Unter dem Namen Humboldtforum entsteht am einstigen Standort des Residenzschlosses der Hohenzollern ein multifunktionaler Neubau mit zentralen Funktionen:
Im Erdgeschoss das große Veranstaltungs- und Ausstellungszentrum mit Sonderausstellungssälen, großen Veranstaltungsräumen, Museumsshops, Restaurants und Bistros, aber auch mit dem Museum zur Geschichte des Ortes und der Kunstkammer, der Darstellung der Geburtszelle der Museumsinsel im früheren Schloss. Im 1. OG die Zentral- und Landesbibliothek Berlin mit ihren publikumswirksamen Medienbeständen zu Kunst, Musik, Film sowie die Kinder- und Jugendbibliothek. Außerdem die Fachbibliothek der Staatlichen Museen Berlin und das Humboldt-Labor, der Beitrag der Humboldt-Universität zum Humboldtforum. Im 2. OG die große Sammlung des Ethnologischen Museums. Im 3. OG das Museum für Asiatische Kunst. Auf dem Dach soll, sofern dies finanzierbar ist, ein Dachcafé mit Ausblick auf den Boulevard Unter den Linden und die Museumsinsel entstehen.
Im „Untergrund“ soll sich für die freigelegten Schlossfundamente ein „Archäologisches Fenster“ öffnen, das teilweise – in Analogie zu den Fundamenten des Louvre in Paris – begehbar gestaltet sein soll. Mit dieser Funktionsvielfalt ersetzt der Neubau – was in der öffentlichen Diskussion oft untergegangen ist – mindestens neun Gebäude, die für die zeitgemäße Darbietung der Berliner Kulturschätze unverzichtbar sind und sonst an anderer Stelle einzeln hätten errichtet werden müssen. Dass sie jetzt in unmittelbarem räumlichem Bezug zur Museumsinsel und zur Humboldt-Universität angesiedelt werden, lässt ein Kulturzentrum von einzigartiger Bedeutung und Vielfalt entstehen, zu dem es in Europa nichts Vergleichbares gibt.
Zum ersten Mal können die Berliner an einem Ort zeigen, was Forschergeist und Künstlertum an dem geschichtlich so bedeutenden Platz geschaffen und zusammengetragen haben. Dass sich die beteiligten Institutionen davon auch einzigartige Synergieeffekte versprechen, ist ein Aspekt, der noch nie genutzte Möglichkeiten der Auswertung und des Gebrauchs dieser Schätze eröffnet.
Deutschland investiert in den neuen Komplex 552 Millionen Euro, davon stammen 440 Millionen von der Bundesregierung, 32 Millionen gibt das Land Berlin. Ein Restbetrag von 80 Millionen Euro soll durch Spenden aufgebracht werden. Das ist der Betrag, an dem sich zeitweise ein kurioser Streit entzündet hat; es geht nämlich um exakt jene Summe, die für die bildhauerische Rekonstruktion der historischen Schmuckelemente der Fassade veranschlagt wird – am Spendenaufkommen für die Dresdner Frauenkirche von fast 120 Millionen Euro gemessen, ein bescheidener Beitrag für eine Metropole. Dennoch ist öffentlich in Zweifel gezogen worden, dass er zusammenkommt, woraus man dann vorschnell schließen zu dürfen glaubte, dass das Gesamtprojekt zum Scheitern verurteilt sei – eine Mutmaßung, die sich aus dem Anteil der Fassadenkosten am Gesamtbaukostenvolumen auf gar keine Weise begründen lässt.
Mit Recht mag bezweifelt werden, dass sich die Gesamtbausumme angesichts steigender Baupreise über die ganze Bauzeit hinweg halten lässt. Das wäre in der Tat fast ein Sonderfall in der Baugeschichte. Hier wird der Bau den Volksvertretern noch viel Geduld und Nachsicht abfordern, denn „Abspeckversionen“, wie sie vorsorglich in Umlauf gebracht wurden, zum Beispiel der Verzicht auf die Kuppel, sind von solcher Peinlichkeit, dass sie sich von selbst verbieten. Außerdem ist noch längst nicht das letzte Wort über den Innenausbau gesprochen. Hier haben sich die Auftraggeber bewusst die Möglichkeit offengehalten, dass auch historische Räume nachgebaut werden können. Solche Räume werden nicht zuletzt von Berlinbesuchern zweifellos nachgefragt werden.
Die Dimensionen des Bauwerks erlauben es, derartigen Wünschen entgegenzukommen, etwa im Rahmen des Museums zur Geschichte des Ortes und der Kunstkammer. Dass alle dafür nötigen Aufwendungen bereits in den Kostenvoranschlägen enthalten sind, ist nicht erkennbar. Man braucht keine prophetische Gabe, um vorauszusagen, dass es hier zu Nachbesserungen kommen wird.
Wer einen Maßstab für das Schlossprojekt sucht, kann ihn nur in Relation zu den großen deutschen und europäischen Kulturinitiativen sehen, in denen sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine völlig neue Sicht auf die Wertigkeit der Kulturgüter und Geschichtszeugnisse des geschundenen, zerstückten und entehrten Europa herausgebildet hat. Sie hat zu einer beispiellosen Aufwertung und Neudeutung des Musealen und Kulthaften geführt, das nach dieser Sichtweise nicht mehr eine Vergangenheitswelt, sondern eine Parallelwelt repräsentiert (das Foucaultsche „Heterotop“) und als Ort des Zwiegesprächs, der Animation, der Lebenslust inszeniert und erlebt wird – von der Münchner Residenz und dem Dresdner Schloss bis zur Neuen Hamburger Philharmonie, von der Tategalerie in London und dem Neuen Louvre in Paris bis zum Winterpalais und zur Eremitage in St. Petersburg, von den neuen Museen in Bilbao und Athen bis zur Ausschmückung selbst noch der kleinsten Länder mit Kultur- und Kultbauten höchsten Anspruchs – von Luxemburg und Liechtenstein über die Niederlande und Dänemark bis Litauen. Es ist nicht vorstellbar, dass sich Berlin dieser Konkurrenz mit einer Spar- und Notbehelfslösung für das neue Schloss stellt. Aber das, was aus der nicht öffentlichen Sitzung des Stiftungsrates nach außen gedrungen ist, gibt vorerst auch keinen Anlass, schon heute darüber zu streiten.
Fast klingt es ein wenig skeptisch, wenn der Bauherr für das Vorhaben zusammenfassend verkündet, er habe „die Entwurfsplanung für das Projekt Berliner Schloss – Humboldtforum mit einer Liste von Optionen u.a. zur Verwirklichung der historischen Kuppel zur Kenntnis genommen“. Ob sich in dieser Formulierung neuerliche Bedenken verbergen, lässt sich nicht herauslesen. Immerhin sah sich das Gremium veranlasst, ein weiteres Mal auf „die baukulturelle Bedeutung des Projekts“ zu verweisen. An den Vorstand der Stiftung erging der Auftrag, „in Abstimmung mit den zuständigen Bundesministerien für den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages eine entsprechende Entscheidungsvorlage vorzubereiten.“
Was immer sie enthalten wird: Die von manchen erhoffte, von anderen noch unlängst befürchtete Absage an das Schloss ist es nicht. Nach München, Stuttgart, Bruchsal, Dresden, selbst Frankfurt/Main und Braunschweig wird auch Berlin das Gebäude zurückerhalten, das Landes- und Nationalgeschichte repräsentiert und geprägt hat – mit neuen, in die Zukunft weisenden Inhalten.
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