Die neuen Architekturentwürfe und der ewige Streit

Ein Stück weit Schloss

Die neuen Architekturentwürfe und der ewige Streit

Der Zorn musste raus. Gerade war im Auditorium Maximum der Humboldt-Universität mitgeteilt worden, ein anonymer Spender habe vier Millionen Euro für die Rekonstruktion des Portals V am Berliner Schloss zugesagt und eine Million bereits überwiesen, da schlenderte ein blonder Student, Brezel in der Hand, nach vorn: Das sei doch ‚feudaler Scheiß‘. So kann man es sehen und mit diesem Blick Unter den Linden mal richtig aufräumen: die Staatsoper, von Friedrich dem Großen bestellt und bezahlt; des ersten Preußenkönigs Zeughaus, in dem heute das Deutsche Historische Museum residiert; die Universität im einstigen Palais des Prinzen Heinrich; die Juristenfakultät in der Königlichen Bibliothek – alles aus Feudalzeiten. Selbst an Schinkels Museum kündet die Inschrift vom Stifter, Friedrich Wilhelm III. Es kann kein Zweifel bestehen: die Kultur in der Mitte Berlins ist feudale ‚Sch …‘, vermengt mit bürgerlicher.

Beifall, Buhrufe, dann komplimentierten zwei Herren den jungen, blonden Mann hinaus. Die Szene war bezeichnend für die Schärfe der Schlossbaudebatte, die nicht geringer geworden ist, obwohl die ‚Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum‘ sich seit gut einem Jahr um Versachlichung bemüht. Diesmal hatte sie zu einem Werkstattgespräch mit dem Architekten Franco Stella geladen, der seinen überarbeiteten Entwurf vorstellte (SZ vom 26.Mai) und nicht mit hohlem Pathos geizte: ‚Gesicht einer Gesellschaft‘, ‚Identität der Stadt‘. Das Projekt leidet also weiter unter ideologischen Erwartungen und Ängsten. Dabei soll doch lediglich ein Bundestagsbeschluss erfüllt und ein ordentlicher Kulturbau errichtet werden.

Kostengründe und die Bedürfnisse der Nutzer erzwangen die Überarbeitung. Etwa 40 Millionen Euro mussten eingespart werden, mit drei Millionen Besuchern jährlich rechnet man. Der Haupteingang wird wahrscheinlich an der Westseite sein, am Portal III. Gegenüber muss die Freiheit der Einheit entgegen schaukeln. Ein U-Bahnhof entsteht in unmittelbarer Nähe. Man geht also unter der Kuppel hindurch, die im Rohbau errichtet wird und auf Spender wartet, die eine Laterne und andere ‚historische Applikationen‘ bezahlen. Dann tritt man in den Eosan­der­hof, dessen Gestalt Stella gründ­lich vereinfacht hat. Früher sollte hier die ‚Agora‘ sein, jetzt wird es ein Publikumsverteilerraum mit Glasdach. An der Ostseite des Fo­yerhofs lockt die Treppenhalle mit Rolltreppen. Man kann aber auch hindurchgehen ins ‚Schlossforum‘, als Nord-Süd-Passage angelegt, und weiter in den Schlüterhof, der an drei Seiten rekonstruiert wird. Im ersten Obergeschoss finden die Universität, die Landesbibliothek und die Fachbibliothek der Museen Platz; im 2. und 3. Obergeschoss das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst.

Der Entwurf hat an Funktionalität gewonnen. Ein Teil der Ausgrabungen kann – neben dem Portal III – besichtigt werden; es gibt ein ‚Museum der Geschichte des Ortes‘, wo die gläserne Blume aus dem Republikpalast eine neue Heimat finden wird. An der Spreeseite wartet, wie damals in Honeckers Frohsinnskasten, ein Restaurant auf Gäste; ein Investor für das geplante Dachcafé (Kosten: 3,3 Millionen Euro) wird sich finden. Wenn spätere Generationen möchten, steht es ihnen frei, einige historische Innenräume, nicht alle und nicht alle bedeutenden, zu rekonstruieren.

Viele Fragen gab es nach der Ostfassade, wo die ursprünglich gewünschten Loggien durch tiefe Fensteröffnungen ersetzt wurden. Muss sie so simpel strukturiert, so stadtabweisend sein? Die bloß additive, nicht richtig gegliederte Front spiegelt die skandalöse Gleichgültigkeit, mit der die Berliner Stadtpolitik das Bauprojekt bisher begleitet hat. Am anderen Ufer, wo einst die Berliner Altstadt stand, grüßt eine riesige, leere Fläche, irgendwo in der Ferne, als habe man sie beim Abriss vergessen, träumen der früher vor dem Schloss stehende Neptunbrunnen und die Marienkirche von neuer Belebung. Berlin lässt, in der ortsüblichen Langsamkeit und gegen nur zu gut begründete Proteste, seit 2009 die Rathausbrücke, auf der einst Schlüters Reiterstandbild des großen Kurfürsten stand – neu bauen – ohne viel Rücksicht auf das Humboldt-Forum.

Diesem wünschte Franziska Eichstädt-Bohlig, für die Grünen im Abgeordnetenhaus, ‚ein Stück weit mehr zeitgenössisches Spiel‘ an den rekonstruierten Fassaden. Und an der Ostseite vielleicht eine Projektion der Palastfassade, damit ‚ein Stück weit‘ an das abgerissene Gebäude erinnert werde. Dabei ist der Entwurf schon ein Kompromiss zwischen detaillierter, erhaltene Fragmente einbeziehender Rekonstruktion und dem summarischen Betonrationalismus der modernen Baukörper. Er führe, so Franco Stella, Schlüter mit anderen Worten fort, nutze aber die gleiche Grammatik. Sein Bau wir wohl ein durchschnittlich gelungenes Museumsgebäude mit historisch bedeutenden, handwerklich und ästhetisch anspruchsvollen Fassaden. Dieses Stückwerk zum ewigen Zankapfel zwischen Architekturideologen zu erheben, dazu bedarf es großer Phantasie oder eben großen Zorns. Dabei wird es doch nur ein Stück weit wie wir. JENS BISKY

 Süddeutsche Zeitung am 27. Mai 2011