Das Humboldtforum ist keine Mogelpackung
von Eckard Fuhr
Wer so sparen muss, dass es wehtut, der kann sich nicht den Luxus erlauben, ein Schloss wieder aufzubauen. Gegen diese Logik begehrt in der Berliner Politik niemand ernsthaft auf. Eingespart wird mit dem Aufschub des Baubeginns für das Berliner Stadtschloss zwar nicht allzu viel, aber die Aussicht, dem eisernen Sparwillen einen sinnfälligen Ausdruck zu geben, war wohl doch zu verlockend. Die Sache mit dem Schloss anders, nämlich ebenso geschichtsbewusst wie zukunftsfroh, anzugehen, dazu hätte es mehr politischen Gestaltungswillen gebraucht, als die Bundesregierung ihn aufbringen kann. Sie verkündet zwar unentwegt, dass Bildung und Wissenschaft auch in Zeiten knapper Kassen absolute Priorität hätten. Aber die Kraft dazu, gerade jetzt das Schloss mit dem Humboldt-Forum als ein Vorhaben offensiv voranzubringen, in dem sich die Kultur- und Wissenschaftsnation Deutschland spiegeln und darstellen kann, fehlt ihr. Der Traum von einer Bundeskanzlerin, die in klaren Worten dieses Projekt zu ihrem eigenen macht und dem populären Vorurteil entgegentritt, die Hauptstadt wolle doch nichts weiter als eine weitere Prunkimmobilie, wird in diesem Traumsommer leider nicht Wirklichkeit werden. Stattdessen beginnt nun das große Zerreden, aus dem oft die Erleichterung herauszuhören ist, dass einem die Vollendung eines kühnen Unternehmens erspart bleiben könnte. Wie schön ist es doch, sich im Lager derer zu wissen, die immer schon wussten, dass es nicht geht!
In einem neuerlichen allgemeinen Palaver darüber, wie die leere Mitte Berlins angemessen zu gestalten sei, wird jedoch kein Gedanke auftauchen, der nicht schon formuliert worden wäre. Der von einer fraktionsübergreifenden Mehrheit getragene Bundestagsbeschluss zur Gestaltung des ehemaligen Schlossareals ist jetzt genau acht Jahre alt. Der Architektenwettbewerb ist abgeschlossen. Die Stiftung Berliner Schloss-Humboldtforum hat ihre Arbeit als Bauherrin und künftige Eigentümerin aufgenommen. Die konzeptionellen Arbeiten an dem, was das Humboldt-Forum einmal werden soll, sind weit fortgeschritten und geschehen mitnichten in hermetischen Zirkeln größenwahnsinniger Kulturmanager und verbissener Multikulti-Apostel. Wer jetzt darüber fantasiert, der Aufschub des Baubeginns bedeute Tabula rasa und könne dem Projekt noch einmal eine ganz andere Wendung geben, der zeigt damit zumindest eine gewisse Geringschätzung für parlamentarische und rechtsstaatliche Prozesse, die eben nicht einfach annulliert werden können, wenn jemand meint, im Feuilleton den Schlachtruf „Debatte!“ anstimmen zu müssen.
Der Verweis auf Fakten und Verfahren gilt im Debattengeschäft als Beweis intellektueller Schwäche. Manchmal stimmt das. Im Falle des Humboldt-Forums jedoch stimmt es nicht. Diese Idee muss den Wettbewerb mit jenen Vorschlägen, die jetzt wieder auf den Tisch gelegt werden – keiner ist neu -, nicht fürchten. Ihre Stärke liegt darin, dass sie scheinbar gegensätzliche Impulse – wieder – miteinander verbindet. Der Wiederaufbau des Schlosses in seiner historischen Kubatur und mit historischen Fassaden an drei Seiten bedient eine – nicht im politischen Sinne – konservative Sehnsucht nach Wiederherstellung eines zerstörten Stadtraumes und nach einer Versöhnung mit der preußisch-deutschen Nationalgeschichte. Sie folgt einer Grundströmung des deutschen Bewusstseins, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten immer stärker geworden ist und zu jenem entspannten, demokratischen Patriotismus geführt hat, den manche bei Fußballweltmeisterschaften immer noch verwundert bestaunen.
Der nationale Erinnerungsraum wird wiederhergestellt – und gleichzeitig geöffnet. Das ist der zweite, der Globalisierungsimpuls. Ihm ist die Idee geschuldet, in der historischen Hülle des Schlosses die bedeutenden außereuropäischen Sammlungen der Berliner Museen zu präsentieren und mit dem Humboldt-Forum einen Ort der Wissenschaft, der Geselligkeit und des kulturellen Austausches im Zentrum der deutschen Hauptstadt zu schaffen. Das sieht aus wie ein Kuhhandel: Hohenzollernschloss gegen Multikulti-Nutzung. Mag sein, dass so die breite parlamentarische Mehrheit möglich wurde. Aber es ist nichts Falsches, nichts Gezwungenes, es ist keine Mogelpackung, was in der Mitte Berlins entstehen soll. Das Schloss als Ort der politischen Repräsentation war mit seiner Kunstkammer auch die Keimzelle der Museen und wissenschaftlichen Sammlungen, die heute der Stolz nicht nur Berlins sind und jährlich Millionen Besucher anziehen. Wollen die statt des Schlosses wirklich eine Liegewiese?
Die Welt, 08.07.2010