„Das Berliner Einheitsdenkmal – Die Wippe auf der langen Bank“

01.10.2022   –   Der Tagesspiegel

 

Vor einem Jahr hieß es noch, das Einheitsdenkmal am Schlossplatz kann 2022 eingeweiht werden. Nun wird es auch zum jetzigen Tag der Deutschen Einheit nichts. Der Grund: Lieferprobleme.

Von Christiane Peitz

War da nicht was? Das Freiheits- und Einheitsdenkmal zur Erinnerung an die friedliche Revolution – sollte es nicht dieses Jahr endlich eingeweiht werden, am Tag der Deutschen Einheit?

So wurde es 2021 guten Mutes in Aussicht gestellt, aber es wird schon wieder nichts mit der Inbetriebnahme des Denkmals gleich neben dem Eosander-Portal des Humboldt Forums. Der Grund: Lieferprobleme. Die begehbare bewegliche Schale, das Kernstück der „Bürger in Bewegung“, wird nicht fertig. Näheres ist bei der ausführenden Stuttgarter Firma Milla & Partner, die die mobile Skulptur auf dem Sockel des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Denkmals zunächst zusammen mit der Choreografin Sasha Waltz entworfen hatte, nicht zu erfahren.

Liegt es an Lieferengpässen in der Stahlbranche, über die viel zu lesen ist? Hakt es bei einem systemrelevanten Lieferanten? Beim Stahlbauunternehmen Richard Rohlfing im niedersächsischen Stemwede, wo die 32 Riesentortenstücke der 150 Tonnen schweren kinetischen Schale gefertigt werden? Auch die renommierte Firma, die auf Brückenbau und Stahlkunstwerke spezialisiert ist, meldet sich auf Anfrage nicht zurück. Offenbar will niemand seine Geschäftspartner öffentlich diskreditieren – als ob ein wahrscheinlich Pandemie-bedingter Aufschub rufschädigend für die Betroffenen sei.

Vor einem Jahr waren jedenfalls alle zuversichtlich, dass es 2022 endlich klappt: Rohlfing, Kreativdirektor Sebastian Letz von Milla & Partner, ebenso der Bund als Bauherr. In diesem Frühjahr könne die Schale in Stemwede testweise zusammengesetzt und in Bewegung gebracht werden, bevor sie wieder zerlegt und nach Berlin transportiert wird, hieß es damals.

Jetzt teilt ein Spreher von Kulturstaatsministerin Claudia Roth lediglich mit, dass „die Arbeiten im historischen Denkmalsockel im Wesentlichen abgeschlossen“ seien. Die Sockeloberfläche werde für die Montage der Schale vorbereitet. Man gehe davon aus, dass die eigentliche Montage am Schlossplatz nächstes Frühjahr beginnen könne. Und nein, die jüngste Verzögerung hat keine Auswirkungen auf die Kosten. Sie belaufen sich wie gehabt auf 17,12 Millionen Euro – es gilt das Festpreis-Prinzip.

Interessiert sich die Öffentlichkeit eigentlich noch für die umstrittene, vielfach ungeliebte „Einheitswippe“? Nach einem ersten gescheiterten Wettbewerb zankten sich zunächst die Erfinder des Siegerentwurfs von 2011 – Sasha Waltz stieg wieder aus. Dann bangten die Tierschützer um das Fledermaus-Habitat im Gewölbe (ist geregelt, auf die temporär umgesiedelten Fledermäuse warten Nistkästen an den Gewölbewänden), die Denkmalschützer fürchteten um die wilhelminischen Bodenmosaike (sind abgetragen, werden konserviert).

Protestbürger wollten den Kaiser auf seinem Pferd wiederhaben, andere debattierten über den Standort, auch Claudia Roths Vorgängerin Monika Grütters hegte Sympathien für eine Errichtung am Brandenburger Tor. Das letzte Wort über die geplante, unmittelbar benachbarte Freitreppe samt Fahrstuhl zum Flussbadist auch noch nicht gesprochen.

2018 war allem Denkmal-Unmut zum Trotz im Bundeshaushalt das Budget beschlossen worden, im Mai 2020 erfolgte der erste Spatenstich. Ende gut, alles gut, könnte man meinen, denn auch die logistische Herausforderung ist gelöst. Die Stahlkonstruktion samt Unterbau wird so auf dem Sockel des Kaiser-Wilhelm-Denkmals installiert, dass das Gewölbe buchstäblich unberührt bleibt.

Sieben Säulen sind 40 Meter tief in den sumpfigen Spree-Grund gerammt, sie tragen den Unterbau für die Schale, die auf diese Weise statisch komplett vom historischen Bauwerk getrennt ist. Deutet man die üppige Wölbung unter den Baustellen-Planen richtig, ist der Unterbau tatsächlich fertig, eine Art gebogener Tisch aus Beton. Diese Mulde trägt dann wiederum die 50 Meter lange Edelstahlschale.

Und nur noch die fehlt: Auf ihren 800 Quadratmetern können sich bis zu 1600 Menschen aufhalten und sich verabreden, alle in eine Richtung zu laufen (wie die DDR-Bürger im Herbst 1989), so dass die Schale sich neigt. Ob die Öffentlichkeit das spielerische Re-Enactment der Wende eines Tage noch erlebt? Ein Datum für die Einweihung will derzeit niemand nennen.

 

Quelle: Der Tagesspiegel, 01.10.2022

 

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3 Kommentare zu “„Das Berliner Einheitsdenkmal – Die Wippe auf der langen Bank“

  1. Dem Zweck der Zeit entsprechend könnten Solarmodule ihren Platz auf der Schale finden,
    Die dann stets zur Sonne ausgerichtet im Winter wenigstens eine Weihnachtsbeleuchtung Unter den Linden mit Strom versorgt.
    So macht die Schale wenigstens dann einen versöhnlichen Sinn für eine fröhliche Einheit.

  2. Nein, es sind keine „Lieferschwierigkeiten“, sondern schlichtweg Dummheit und Nachlässigkeit der Projektnehmer. Ich betreue bei einem Zulieferer ein Bauteil für dieses Projekt: angebotene Standardlieferzeit: 5 Monate nach Auftragseingang. Wann wurde bestellt? Mitte August 22. Und ich vermute jetzt einfach mal, dass das mit anderen Lieferanten genauso gelaufen ist. Aber es klingt natürlich netter, wenn man die eigene Schnarchnasigkeit als „Lieferprobleme“ deklariert.

  3. Am besten läßt man das unpopuläre Projekt, das dem Pathos der glorreichen Jahres von Freiheit und Einheit überhaupt nicht gerecht wird, einfach fallen. Noch kann vermutlich der Sockel des alten Nationaldenkmals gerettet und konserviert werden. Dabei sollte man es belassen. Aber das würde ja ein Umdenken erfordern, was man dem Bundestag einfach nicht zumuten darf. Es geht ja nur um das Aussehen dieses historisch bedeutsamen und ins Auge springenden Platzes für die nächstan Jahrhunderte. Da haben die Damen und Herren bzw. die Genossinnen und Genossen Abgeordneten wahrlich Wichtigeres zu tun, als diesen Fall nochmals aufzurollen. Von der Wichtigkeit nationaler Symbolik hat diese Republik noch nie viel verstanden.

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