Das Albtraumschloss der Sparfüchse

Der Baubeginn für das Berliner Stadtschloss wird verschoben. Das haben manche als Tod des Projekts interpretiert. Doch die Regierung hält daran fest. Viele sehen darin einen Fehler – insbesondere die Haushälter.

von Jens Tartler 

Wilhelm von Boddien spricht über seinen Lebenstraum lieber in seiner kleinen Berliner Stadtwohnung als in einem Restaurant. „Hier hört keiner mit“, sagt er. „Wenn es um das Stadtschloss geht, gibt es ja so viel Missgunst.“ Scheint die Sonne zu stark, zieht der 68-Jährige die Vorhänge zu. „Die Stiche vom Schloss sind Originale aus dem 18. Jahrhundert. Die bleichen sonst schnell aus.“

Der ehemalige Landmaschinenhändler aus der Nähe von Hamburg ist in diesen Tagen übervorsichtig. Er sah sich bereits ganz kurz davor, seinen Traum nach Jahrzehnten beharrlicher Arbeit endlich zu realisieren. Da kam ihm das Sparpaket der Bundesregierung dazwischen. Um zwei Jahre soll der Baubeginn verschoben werden. Als jetzt auch noch missverständliche Äußerungen von Bauminister Peter Ramsauer (CSU) falsch wiedergegeben wurden, sahen einige gar das Ende des Projekts gekommen. Die Bundesregierung weist das zwar zurück, doch der Bilderbuchkonservative Boddien sagt: „Ich bin sehr in Sorge, dass ausgerechnet eine bürgerliche Koalition das Stadtschloss auf die lange Bank schiebt.“

Es gibt allerdings auch eine andere Sicht auf das Schloss, in das Museen, die Staatsbibliothek und Teile der Humboldt-Universität einziehen sollen. Der Grünen-Haushaltsexperte im Bundestag, Alexander Bonde, hält die Kostenpläne für zu optimistisch, außerdem zweifelt er am Sinn des Baus: „Das Stadtschloss hat sicher nicht die höchste Priorität.“ Die Kategorie „wäre schön“ könne in Zeiten von Sparpaketen nicht mehr bedient werden. Und Alexander Kraus, Vorstand des Steuerzahlerbundes in Berlin, mahnt: „Wir leben nicht im Schlaraffenland, wo man alles bauen kann.“ Bund und Länder seien „bis zum Stehkragen verschuldet“, ihnen fehle schlicht das Geld für das Projekt.

Im Moment eine Brache: Auf dem Berliner Schlossplatz liegt nur Rollrasen. 2012 soll der Boden ausgetauscht und festgestampft werden, damit U-Bahn und Stadtschloss gebaut werden können

In der Tat, der Stadtstaat Berlin wäre ohne die Hilfe des Bundes und der anderen Länder längst pleite. Und der Bund wird durch die Finanzkrise noch jahrelang mit seiner Rekordverschuldung zu kämpfen haben. Und trotzdem hält er an einem Projekt fest, das schon jetzt mit gut 550 Mio. Euro kalkuliert ist. Und nach den Erfahrungen zum Beispiel mit dem Berliner Hauptbahnhof oder der Hamburger Elbphilharmonie will niemand garantieren, dass das Stadtschloss auch nur annähernd im Kostenrahmen bleibt. Doch wie der geplante unterirdische Bahnhof Stuttgart 21 zeigt, hält die Bundesregierung auch an umstrittenen Großprojekten eisern fest.

Eigentlich hätte es auf dem Berliner Schlossplatz schon 2011 mit dem Bau losgehen sollen. Um ihren Haushalt zumindest kurzfristig zu entlasten, hat die Bundesregierung den Spatenstich aber auf 2013 verschoben. Vor dem Sparbeschluss waren für das Jahr 2011 im Haushalt 70 Mio. Euro eingeplant, für 2012 dann 90 Mio. Euro und für die beiden folgenden Jahre jeweils 150 Mio. Euro. Unter dem Strich wird der Bau durch die Verschiebung nicht günstiger. Der Zinsgewinn von rund 10 Mio. Euro durch die vorerst geringere Verschuldung wird durch steigende Baupreise wieder aufgezehrt.

Eine wirkliche Ersparnis gäbe es nur, wenn das Projekt deutlich abgespeckt oder ganz abgeblasen würde. Diese Hoffnung flackerte bei den Schlossgegnern kurz auf, nachdem die Bundesregierung den Baubeginn verschoben hatte. Von Ramsauer wurde die Äußerung kolportiert, wenn Boddien und andere Spender das Geld für die Barockfassade nicht zusammenbekämen, könnte man auch einen schlichten Betonklotz auf den Schlossplatz setzen. Das wurde von einigen so interpretiert, dass der Oberbayer Ramsauer das Preußenschloss in Berlins Mitte nicht wiederaufbauen möchte.

Zweifel an der Finanzierung

Ramsauers Staatssekretär Rainer Bomba sagt, das sei „Blödsinn“. Der Minister habe gesagt: „Wir werden bis zur Eröffnung möglicherweise nicht den letzten Adler als Schmuckelement fertig haben.“ Ramsauer sei schon durch das Schloss Herrenchiemsee in seiner Heimat ein ebenso großer Schlossfan wie er, der zuständige Staatssekretär. Der Baubeginn 2013 stehe.

Dabei kommt den vereinigten Schlossfans zupass, dass der Wiederaufbau des 1950 von der DDR gesprengten Baus mit einem anderen Megaprojekt der Bundesregierung verknüpft ist: der Kanzler-U-Bahn. Weil der bisherige Streckenstummel vom Berliner Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor quer durch die Innenstadt bis zum Alexanderplatz verlängert werden soll, wird der instabile Boden auf dem Schlossplatz schon 2012 ausgetauscht und anschließend „verdichtet“, wie die Baufachleute sagen. Durch den stabilen Grund kann dann die Röhre für die U-Bahn verlegt werden – gleichzeitig ist es aber der erste Schritt zum Schlossbau im Jahr darauf.

Doch aus Sicht der Kritiker ist die Kanzler-U-Bahn kein gutes Argument für das Schloss. Das Wunschprojekt von Altkanzler Helmut Kohl (CDU) kostet mindestens 700 Mio. Euro, von denen der Bund mehr als 600 Mio. Euro übernimmt. Der Berliner Senat und die Verkehrsbetriebe sagen ganz offen, dass sie die U-Bahn ohne das Geld vom Bund niemals bauen würden – zumal die bestens eingeführte S-Bahn parallel fährt. „Das Projekt stammt noch aus einer anderen haushaltspolitischen Ära“, sagt der Grüne Bonde. „Heute würde es nie genehmigt.“

Zweifel an der Finanzierung gibt es auch beim Stadtschloss. Bisher sieht das Konzept so aus: Planung und Bau kosten 480 Mio. Euro, die erste Einrichtung des Schlosses 72 Mio. Euro, macht zusammen 552 Mio. Euro. Davon übernimmt der Bund 440 Mio. Euro, Berlin 32 Mio. Euro und Spender 80 Mio. Euro.

Schon jetzt gibt es aber eine Liste mit teuren Zusatzwünschen. Die allseits favorisierte Kuppel würde 17 Mio. Euro kosten, eine Rekonstruktion der historischen Portale 18 Mio. Euro. Zusammen mit anderen Verschönerungen kommt Staatssekretär Bomba auf 54 Mio. Euro und damit auf Gesamtkosten von mehr als 600 Mio. Euro. Rechnet man noch die üblichen Baukostensteigerungen bis zur geplanten Fertigstellung im Jahr 2019 und mögliche böse Überraschungen beim Bau hinzu, ist die Milliardengrenze zumindest in Sichtweite.

Das Zauberwort der Schlossfans

Zudem sind die 80 Mio. Euro von den Spendern bislang nur ein Hoffnungswert. Nicht nur Grünen-Haushälter Bonde hat hier Zweifel. Doch Staatssekretär Bomba könnte sich „gut vorstellen, dass ein Großunternehmen die Kuppel spendet“. Und Boddien, ohne den es nach Bombas Einschätzung das Projekt möglicherweise gar nicht mehr geben würde, verweist darauf, dass er und seine Mitstreiter vom Förderverein schon 13,4 Mio. Euro in bar und 7 Mio. Euro „rechtsverbindliche Zusagen“ zusammenbekommen hätten. Der Großteil des Bargeldes ist bereits in die Baupläne geflossen, ohne die die Ausschreibung für die Architekten nicht hätte stattfinden können.

Im Kuratorium für die Stiftung Berliner Schloss finden sich neben Politikern wie Peer Steinbrück (SPD) und Antje Vollmer (Grüne) Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und der Lufthansa-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Mayrhuber. Sie alle sollen ihre Kontakte nutzen, um insgesamt mindestens 80 Mio. Euro einzuwerben. Boddien ist es aber wichtig, dass er unter seinen bisher 13.000 Spendern nicht nur DAX-Vorstände hat. Und nächstes Jahr soll auf den Schlossplatz die Humboldt-Infobox gepflanzt werden, mit der Boddien auch bei Touristen „Spenden abfischen“ will.

Humboldt – das ist das Zauberwort der Schlossfans. In Wahrheit seien die Barockfassaden ja gar nicht entscheidend, sagen sie. Es gehe um Höheres: In der Tradition der großen Gelehrten Alexander und Wilhelm von Humboldt solle in Deutschlands Hauptstadt ein kulturelles und wissenschaftliches Zentrum von Weltrang entstehen. „In Zeiten der Globalisierung“, sagt Boddien, „brauchen wir ein Gespür für die Kulturen der Welt.“ Außerdem gelte: „Je breiter die Bildung der Bevölkerung, desto stabiler die Demokratie.“ Und nicht zuletzt solle das Humboldt-Forum mehr Menschen in Deutschland dazu animieren, Ingenieur- oder Naturwissenschaften zu studieren.

Kraus vom Steuerzahlerbund kann Boddien damit nicht überzeugen. „Ich habe nichts gegen Museen und Naturwissenschaften“, sagt Kraus. „Aber dafür brauche ich kein Schloss.“

 Financial Times Deutschland, 17.8. 2007