Box statt Schloss – mit Aussichtsplattform

Box statt Schloss – mit Aussichtsplattform

Interview Hermann Parzinger, der Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, rechnet erst für 2022 mit dem Humboldt-Forum.

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Mit der Verschiebung soll der Bundeshaushalt in den nächsten drei Jahren um 400 Millionen Euro entlastet werden. Sie bezweifeln, dass diese Rechnung aufgeht?

Die Investition wäre in den kommenden Jahren viel niedriger gewesen, weil sich diese Summe ja über die gesamte Bauzeit von sieben bis acht Jahren verteilt. Außerdem ist für die bisherigen Planungen bereits Geld ausgegeben worden, es gibt laufende Verträge. Die Häuser stammen aus den sechziger Jahren, seitdem ist nicht mehr viel in den Bauunterhalt investiert worden, und die Gebäude sind in einem äußerst maroden Zustand. Bei einem Baubeginn des Humboldt-Forums im Jahr 2011 rechneten wir 2018/19 mit dem Einzug der außereuropäischen Sammlungen aus Dahlem. Nun wird sich das alles verzögern, und das bedeutet für uns weitere Bauertüchtigungs- und Bauerhaltmaßnahmen in Dahlem, doch das sind Investition am falschen Ort.

Ein großer Teil der Dahlemer Sammlungen sollte doch gar nicht an den Schlossplatz ziehen, sondern in ein neues Depotgebäude in Friedrichshagen. Wenn nun der Berliner Kulturstaatssekretär Schmitz behauptet, es müssten 300 Millionen in Dahlem verbaut werden, klingt das nicht glaubwürdig.·

Man hat Anfang der neunziger Jahre, als noch niemand ans Humboldt-Forum dachte, den Sanierungsbedarf in Dahlem auf 300 Millionen D-Mark kalkuliert. Wir investieren derzeit 19 Millionen Euro in den Feuerschutz und andere unerlässliche Bauerhaltmaßnahmen, nur damit wir die Gebäude bis etwa 2018/19, die ursprünglich geplante Eröffnungszeit des Humboldt-Forums, nutzen können. Würde es gar nicht zum Umzug ins Humboldt-Forum kommen, müssten wir etwa 200 Millionen Euro für die Sanierung in Dahlem aufwenden. Zu Friedrichshagen: dorthin ziehen nur die Depots der Museen. Am Schlossplatz sollen die Fachbibliothek, die Archive, die Arbeitsräume der Wissenschaftler und auf etwa 25 000 Quadratmetern die Ausstellungsbereiche des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst untergebracht werden. Insgesamt hätten wir dafür im Schloss etwas mehr Platz als in Dahlem. Die nicht ausgestellten Sammlungsobjekte sollen nach Friedrichshagen kommen.

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Sie meinen, weil das Humboldt-Forum in der Schlossverpackung von vielen als Luxusartikel wahrgenommen wird.

Wenn man meint, dass die Berliner sich hier nur ihr Schloss wiederaufbauen wollen, dann klingt das nach Luxus. Aber es geht um etwas anderes. Die Frage ist: Was soll an diesem zentralen Ort der Hauptstadt geschehen? Die Museumsinsel mit Kunst und Kultur Europas und des Nahen Ostens war die große Vision des 19. Jahrhunderts. Mit dem Humboldt-Forum soll die Museumsinsel erweitert werden zu einem einmaligen Ort der Weltkulturen, und zwar mit einer gleichberechtigten Präsentation von Kunst und Kultur Afrikas, Amerikas, Ozeaniens und Asiens, das ist doch ein ungemein starkes Zeichen in einer längst globalisierten Welt! Dabei geht es nicht nur um eine museale Erweiterung der Museumsinsel, sondern im Humboldt-Forum soll mit einer öffentlichen Bibliothek, mit Forschungsbereichen und mit einer Agora, einem Veranstaltungszentrum für Film, Theater, Musik, zeitgenössische Kunst, aber auch Tagungen und Podiumsdiskussionen zu den zentralen Fragen unserer Zeit, ein ganz neuartiges Kunst- und Kulturerfahrungszentrum entstehen. Deutschland hat die Chance, sich an diesem Ort als weltoffenes Land zu präsentieren, und zwar im Rückgriff auf seine Vergangenheit als Kultur- und Wissenschaftsnation; auch dafür steht übrigens das Schloss! Die breite Mehrheit für das Schloss im Bundestag ist 2002 nur zustande gekommen, weil der Inhalt in die Zukunft weist. Das Humboldt-Forum ist kein Berliner Vorhaben, sondern ein nationales Kulturprojekt.

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Was passiert jetzt am Schlossplatz?

In der Humboldt-Box am Schlossplatz werden sich die künftigen Nutzer gemeinsam präsentieren. Wir werden über die Geschichte des Ortes informieren, den Ursprung der Sammlungen in der Kunstkammer im Schloss verdeutlichen, die Rolle der Brüder von Humboldt erklären, über die Architektur informieren usw. Auf zwei Etagen wollen wir exemplarisch Inhalte des künftigen Humboldt-Forums vorstellen, die sich um Sammlungsobjekte, Forschungsprojekte und auch die Zusammenarbeit mit indigenen Gruppen drehen. Gemeinsam mit der Zentral- und Landesbibliothek und der Humboldt-Universität entwickeln wir Themeninseln, die sich im Jahresrhythmus verändern sollen. Es wird in der Box einen Vortragssaal, ein Café und eine Aussichtsplattform geben. Hier wird ein Ort entstehen, an dem sich möglichst viele Menschen Tag für Tag über dieses kulturelle Großprojekt informieren können.

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Stuttgarter Zeitung, 24.06.2010