Redeweisen
Wenn schon ein Stadtschlossplaner „Berlin 21“ dräuen sieht
Die Stuttgarter wirken auf ganz Deutschland ein: Selbst in Berlin, wo Protest zur Stadtkultur gehört, zittert der Chef der Stiftung für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses vor dem Einfluss möglichen Bürgerengagements.
11. November 2010
Soeben hat der Chef der Stiftung für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses gefordert, dass aus ebenjenem Schloss kein Stuttgart 21 werden solle. Darüber kann man, ehrlich gesagt, nur froh sein, hatte es in der letzten Zeit doch so ausgesehen, als würde in diesem Land aus allem ein Stuttgart 21 werden. Da fährt ein Castor durch das Wendland, schon wird aus Gorleben ein Stuttgart 21. Da plant Berlin einen neuen Großflughafen, schon wird aus Kleinmachnow ein Stuttgart 21. Da baut ein Bauer in Haßleben eine Anlage für siebzigtausend Schweine, schon wird aus seinem Stall ein Stuttgart 21.
Inzwischen hält man es nicht mehr für ausgeschlossen, dass sogar aus dem eigenen Leben ein Stuttgart 21 werden könnte und man sich am Ende neben einem Mediator an einem Tisch mit lauter Leuten wiederfindet, die einem hineinreden wollen, nur weil man sich einmal etwas Großes ausgedacht hat. Die einzige Sache, aus der trotz allem irgendwie kein Stuttgart 21 werden will, das ist Stuttgart selbst. Da beruhigt es einen nun natürlich, wenn aus dem Berliner Schloss nicht auch noch ein Bahnhof werden soll.
Stuttgart ist überall
Zwar haben die beiden Projekte einiges gemeinsam, sie wurden jahrelang geplant, sind teurer als gedacht und werden der Öffentlichkeit durch alte Männer vermittelt. Trotzdem kann man sie nicht miteinander vergleichen. In Stuttgart geht es darum, inmitten einer offensichtlich zu dicht bebauten Stadt den Bahnhof unter die Erde zu verlegen, damit oben ein wenig mehr Platz entsteht. In Berlin ist Platz genug, nachdem im vergangenen Jahrhundert wichtige Gebäude bereits unter den Erdboden verlegt oder aber diesem gleichgemacht wurden. In Stuttgart benutzt ein bislang unauffälliges Bürgertum das Projekt, um sich einmal richtig mit der Polizei anzuschreien.
In Berlin braucht es dafür kein Projekt, und ein unauffälliges Bürgertum kennt die Stadt gar nicht mehr. Vermutlich liegt da ohnehin der wichtigste Unterschied zwischen den Projekten: dass es in Berlin leider gar nichts mehr gibt, was statt dessen stehenbleiben könnte, wenn es nicht abgerissen werden würde. Vielleicht hätte aus dem Schloss ein Stuttgart 21 werden können, damals, bevor es 1950 von der DDR gesprengt wurde. Vielleicht hätte auch aus dem Palast der Republik ein Stuttgart 21 werden können, bevor die Bundesrepublik ihn 2008 abriss. Womöglich hätte man aus diesen Gebäuden ein Stuttgart 21 machen können, vielleicht sogar sollen. Aber damals gab es ein solches Stuttgart 21 eben noch nicht. Jetzt ist es überall.