Balsam für das geschundene Berlin

Balsam für das geschundene Berlin

Kommentar

Ist jetzt Schluss mit dem Stellungskrieg ums Berliner Schloss? Wohl kaum. Die Kritiker dürften auch gegen den Siegerentwurf des italienischen Architekten Stella schießen. Zu Unrecht, findet Severin Weiland – zumal die architektonische Moderne wenig bietet, außer: Glas, Glas, Glas.

Es war ein letztes Aufbäumen. Was hatten die notorischen Schlossgegner nicht alles in den vergangenen Wochen aufgeboten. Da meldeten sich sogar Jurymitglieder wie Vittorio Lampugnani via SPIEGEL zu Wort, die die Rekonstruktion der barocken Fassaden noch einmal grundsätzlich in Frage stellten. Dafür erntete der Vorsitzende der Auswahlkommission anschließend viel Schelte.

Am Freitag ist der Architekt versöhnlich gestimmt. Er sei immer noch derselben Meinung, betont er, und wäre „glücklicher gewesen mit etwas offeneren Vorgaben“. Er sei aber Mitglied der Jury geworden, in der Hoffnung, mit den Vorgaben für eine Rekonstruktion der barocken Fassaden ein „gutes Ergebnis“ zu erreichen.

„Das Experiment ist gelungen“, konstatiert er.

Gerade einmal eine Stunde zuvor hatte das 15-köpfige Gremium seine einstimmige Entscheidung gefällt: Sieger wurde der Entwurf des italienischen Architekten Francesco Stella (der sich in der Regel mit einem knappen Franco begnügt).

Der Mann aus Vicenza ist in Berlin kein Unbekannter, saß er doch in der Auswahlkommission für die Bebauung des Spreeufers im Regierungsviertel. Lampugnani nennt den Schloss-Entwurf seines Kollegen ein „sehr schönes, sehr starkes, sehr mutiges Projekt“. Es werde Ausgangspunkt für die weiteren Planungen sein.

Denn noch muss der Bundestag endgültig darüber befinden. Der Haushaltsausschuss hat enge Grenzen gesetzt: Inklusive Fassaden – die von einem privaten Verein finanziert werden sollen – darf das Schloss nicht mehr als 552 Millionen Euro kosten. Das ist eine Menge Geld – aber gemessen an anderen Bauten, wie dem der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes nicht viel. Für jenen Komplex in Berlin bewilligte das Parlament immerhin 720 Millionen.

Der Bundestag hatte bereits 2003 für den Aufbau votiert und unter anderem die Wiedererrichtung dreier barocker Fassaden vorgegeben.

Das Gebäude, einst von Andreas Schlüter für Preußens Herrscher wesentlich geprägt, war 1950 auf Geheiß des SED-Chefs Walter Ulbricht abgerissen worden. 1976 ließ die DDR an selber Stelle ihren Palast der Republik errichten.

Als Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) das Ergebnis des Jury-Beschlusses im Kronprinzenpalais verkündete, trug ein Bagger in zweihundert Meter Luftlinie die Reste des letzten Treppenaufgangs des früheren SED-Prestigebaus ab.

So klafft in der Mitte Berlins bald, wie schon in den fünfziger Jahren, eine riesige Lücke. Wenn alles reibungslos vorankommt und das Parlament sich zügig entscheidet, soll hier bereits ab 2010 gebaut werden. Drei Jahre später könnte das Schloss stehen – und neben einer Bibliothek auch völkerkundliche Sammlungen beherbergen, die derzeit noch in Berlin-Dahlem untergebracht sind.

Ist mit der heutigen Prämierung also ein quälende Debatte um einen der zentralen Orte der Republik beendet? Wohl kaum.

Man kann getrost darauf vertrauen, dass auch der Siegerentwurf von den Gegnern zerpflückt wird. Das deutete sich schon in der anschließenden Pressekonferenz an, auf der Fragen nach der Raumhöhe für 15 Meter hohe Exponate der Dahlemer Museen gestellt wurden.

So, als würde der Bau rund um Artefakte errichtet. Lampugnani wies – zu Recht – darauf hin, würde man jedes Maß künftiger Nutzer berücksichtigen, wäre der Entwurf „zu rigide“ ausgefallen. Im Sommer wollen die künftigen Nutzer des „Humboldtforums“ – die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die Sammlung außereuropäischer Sammlungen – ihr Konzept präsentieren.

„Ort der Öffentlichkeit“

Was der Sieger Stella vorgelegt hat, überzeugt in seinem Äußeren – dank der barocken Fassaden, dank der Kuppel. Im Inneren wirkt der Kontrast zwischen der modernen Architektur und dem Schlüterstil an manchen Stellen aber zu klobig, so dass man sich am Ende eine Komplettrestaurierung gewünscht hätte. Die Leichtigkeit einer barocken Fassade und moderne Architektur – Welten liegen dazwischen. Im Grunde hat Stella hier – unbeabsichtigt – einen Beweis dafür geliefert, dass die Moderne keine überzeugende ergänzende Sprache zum Historischen findet. So muss man dem Bundestag nachdrücklich danken für sein Beharren auf den barocken Elementen.

Immerhin: Zum östlichen Teil öffnet sich die Anlage mit einem Säulengang und damit zum Marx-Engels-Forum. Nicht berücksichtigt wurde im Siegerentwurf der Erhalt von Teilen des DDR-Volkskammersaales – möglich, dass der Bundestag hier nochmals Nachbesserungen verlangt. Dafür wird der Schlüter-Innenhof wiederhergestellt, auch die Hauptportale sollen im Durchgang ihr barockes Kleid wieder erhalten.

Überzeugend liefert der Entwurf einen neuen Durchgang – vom Lustgarten aus hinüber zum ehemaligen Staatsratsgebäude. Damit, so Lampugnani, werde Berlin ein „Ort der Öffentlichkeit geschenkt“.

Meinungskrieg geht weiter

Im Kern könnte mit dem Entwurf endlich ein Stellungskrieg beendet werden: Zwischen Skeptikern der Moderne und jenen, die für den Vorrang der zeitgenössischen Architektur eintreten.

Doch den Gegnern ging es immer ums Ganze: Ihnen behagte das Projekt als solches einfach nicht. Dabei ist das Schloss der historische Ort, von dem aus für 200 Jahre sich die Stadt entwickelte. Unter den Linden, der Lustgarten – all das ist und wurde auf das Schloss hin ausgerichtet.

Der Siegerentwurf beendet nicht die Diskussion um die Frage, warum es eine tiefe Sehnsucht vieler Bürger nach äußerlicher Rekonstruktion gibt. Nicht etwa, weil in Berlin Preußen auferstehen soll. Es ist viel profaner und trifft die Gilde der Architekten selbst – sie hat mit ihren oftmals schmucklosen Bauten öffentliche Plätze austauschbar gemacht. Sie hat jenes Misstrauen gegen die Moderne erst selbst genährt, das ihr heute entgegenschlägt.

Die Phantasielosigkeit lebt munter weiter und spiegelt sich im ungebremsten Trend zu Glasbauten wider, die überall auf der Welt entstehen. Meinhard von Gerkan, der den (gläsernen) Berliner Hauptbahnhof baute, hatte vor Jahren eine – ironisch – gemeinte Glasfassade fürs Schloss vorgestellt, in dem barocke Elemente enthalten waren und die alte Fassade wie eine Folie nur noch durchschimmerte. War das wirklich nur ein Spaß?

Beim Schloss ging es um Grundsätzliches. Und unausgesprochen um Egomanie, um das Recht der Architekten auf ihre unbeschränkte Selbstverwirklichung. Respekt vor der Umgebung, vor gewachsenen Strukturen beweisen nur wenige. Vielleicht bauen deshalb auch so viele gerne im kommunistischen China – da wird noch wie in Preußens Zeiten von oben abgerissen und planiert.

Der Vorwurf, der Bund sei mit dem Schloss ähnlich herrisch vorgegangen, ist absurd: Es hat wohl kaum eine ausführlichere Debatte um den zentralen Ort der Republik gegeben. Wer wissen will, was Architekten ablieferten, sollte sich die Entwürfe der letzten Jahrzehnte anschauen – es gab bedenkenswerte Vorschläge wie der von Axel Schultes, der das Schloss zum Alexanderplatz hin öffnete.

Doch überwog Skurriles. So wollte Sir Norman Foster einst ein Dach über den leeren Platz spannen. Derselbe Foster, der einst ein Baldachin über den Reichstag ziehen wollte – und glücklicherweise daran gehindert wurde. Heute ziert eine vom Bundestag gemachte Vorgabe den Bau – die Glaskuppel. Das Publikum ist angetan – und selbst der zunächst skeptische Brite.

Der Bundestag ist nun gefragt. Er sollte zügig entscheiden. Stellas Bau ist ein Kompromiss, der vielleicht noch die eine oder andere Variation erhalten könnte. Letztlich aber verbeugt er sich respektvoll vor der Geschichte des Ortes. Auch und gerade als Kopie.

Moderne hat das geschundene Berlin ohnehin genug. Wer dafür schwärmt, der muss einige hundert Meter weiter gehen – zum Alexanderplatz. Dort geben sich Weimarer Republik, DDR und Gegenwart ein architektonisches Stelldichein.

Ein Schloss wäre dazu ein schöner Kontrapunkt.

Die Ideen der Architekten sind vom 3. Dezember an in einer Ausstellung im Kronprinzenpalais Unter den Linden 2 in Berlin begutachten.

Der Spiegel, 28.11.2008