Auferstanden aus Ruinen
Berliner Merkwürdigkeiten
Von Stefan Robert Weißenborn
Es ist wie mit der Hydra in der griechischen Mythologie. Wenn dem neunköpfigen Seeungeheuer ein Kopf abgeschlagen wurde, wuchsen zwei neue nach. Das Ende des Palastes der Republik gemäß der alten Heldensage zu deuten, wäre vermessen. Andererseits: Aus dem heute bis aufs Gerippe sezierten Gebäude wachsen kleine Minipaläste nach, mit den kupfernfarben schimmernden Scheiben der einstigen Glasfassade. Die Bauherren der neuen Paläste sind Künstler, Architekten, ein Lokalpolitiker und ein Rentner aus der Prignitz. Weitere Teile des Palastes, unter anderem vom Interieur, wurden in alle Himmelsrichtungen bis nach Südfrankreich verstreut.
Dabei hatte der alte Palast vollständig entsorgt werden sollen. Ein Teil war bereits verschrottet, aber „urplötzlich durfte man sich die Scheiben abholen“, sagt Michael Möller, Projektleiter der Arbeitsgemeinschaft, die mit dem Rückbau beauftragt ist. Von der Abholaktion hatte auch Rainer Boddin aus Langnow in der Prignitz gehört. In den 70er Jahren war der Rentner oft mit seiner Familie in „Erichs Lampenladen gewesen“, vor allem, wenn Gruppen aus dem „kapitalistischen Ausland“ auftraten. Boddin stellte einen Antrag, erhielt die Freigabeerklärung für das „Erinnerungsstück“ und holte sich zwei Exemplare der kleinen 62-mal-58-Zentimeter-Fenster, die einst dem Volkskammersaal Licht spendeten. Zurück in Langnow, einem 28-Seelen-Dorf, baute er die Fenster in seine Gartenlaube ein. Mittlerweile hat er jeden Dorfbewohner schon mindestens einmal durch seinen Garten geführt, außerdem ein Kamerateam, die Lokalpresse und Besucher aus Berlin. Boddin ist übrigens nicht zu verwechseln mit von Boddien, Wilhelm. Der Geschäftsführer des Fördervereins des Berliner Schlosses ist bekanntlich kein Freund des DDR-Palastes, dennoch trägt auch er ein Erinnerungsstück mit sich herum. An seinem Schlüsselbund befindet sich eine Siegelmarke mit dem spiegelverkehrten Schriftzug „Palast der Republik“. Er hat ihn von einem Arbeiter bei der Entkernung des Gebäudes geschenkt bekommen.
Insgesamt 77 500 Tonnen Abrissmasse gilt es bis Frühjahr 2009 zu beseitigen oder anderen Kreisläufen zuzuführen: 500 Tonnen Glas (entspricht 4000 Glasscheiben), 22 000 Tonnen Stahl, 55 000 Tonnen Beton. Das Metall geht zum Schrottwert von 200 Euro je Tonne auf dem Wasserweg nach Roßlau an der Elbe, um eingeschmolzen zu werden. Der Beton wird zerkleinert und geht in den Straßenbau.
Noch bevor die Pläne des Bundestages Gestalt annehmen, ab 2010 an Stelle des Palastes das so genannte Humboldt-Forum mit drei historischen Fassaden des Stadtschlosses zu errichten, kommen andere Bauherren zum Zuge. Einer davon ist Fred Rubin, Berliner Künstler. Rubin betrachtet das, was er „aus der Substanz“ ehemaliger DDR-Schaltzentralen wie dem Palast, dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und dem Zentralkomitee gerettet hat, als den Grundstock seines bildhauerischen Schaffens. Sein jüngstes Projekt ist der Bau eines Palastpavillons nahe Marseille, in dem Palastscheiben und -lampen zum Einsatz kommen sollen. Bereits gescheitert ist hingegen sein Versuch, das für ihn zentralste aller Palastobjekte, die Foyer-Bar, auf dem Hubschrauberlandeplatz des Grande Arche de la Fraternité in Paris zu platzieren. „Die Geste galt als politisch unkorrekt“, erklärt er. Dabei hatte er die von ihm umgebaute Bar doch „vom politischen Wirkungskreis befreit“. Beleg dafür war auch die erste Station einer anderen Rundbar, der „Bowlingbar“: 1994 bis 1996 stand der kreisförmige Tresen im WMF-Club in den Hackeschen Höfen. Heute hat Rubin beide Bars in Berlin eingelagert. Lampen aus „Erichs Lampenladen“ installierte er im vergangenen Jahr im neuen Tanztheater „Pavillon Noir“ in Aix-en-Provence. Eine weitere der Palastlampen (allein im Hauptfoyer hingen exakt 1001 Stück) verwendeten die Karlsruher Lichtkünstler Sebastian Hungerer und Rainer Kehres für ihre Installation „Space Invaders 2006“, eine Art Lampenvorhang, der im kommenden Jahr in der Pulitzer Foundation for the Arts in St. Louis / USA gezeigt wird.
Verglichen damit klingt das nächste Beispiel eher unglamourös: Ab Sommer 2008 sollen fünf Palastscheiben in der Hausfassade eines Bildungszentrums für Senioren in Papenburg/Emsland an „die Wiedervereinigung ohne Blutvergießen erinnern“, wie ein Vertreter der örtlichen CDU sagt.
Auf Verwendung warten auch zwölf der größeren rund vier mal einen Meter messenden Scheiben, die sich der Architekt Carsten Wiewiorra gesichert hat. Im Innenhof eines Berliner Altbaus in Mitte entsteht derzeit ein weiterer Minipalast, mit dem der 39-Jährige „Profanes und Feudales“ aus der DDR zusammenführen will: der 36-Quadratmeter-Rohbau aus Betonstücken von Marzahner Plattenbauten steht schon, die Glasscheiben aus dem Ex-Palast müssen noch eingesetzt werden. Das Projekt betrachtet Wiewiorras als sein „kleines Luxushobby“. Das Bauwerk wird ihn rund 20 000 Euro kosten – Werbeeffekt inklusive.
Bevor 2006 mit dem Abriss begonnen wurde, galt es, sich um das Interieur zu kümmern. Einen Großteil verkaufte der Bund Mitte der 90er an einen Unternehmer. Mit dem kam der mittlerweile ebenfalls bekannt gewordenen Antiquitätenhändler Denny Munter ins Geschäft. Er kaufte mehr als drei Millionen Teile: Suppenteller, Kaffeekannen, Mokkatässchen, Vasen, Arbeitskleidung, je mit dem Palastkürzel „PdR“ versehen. Zwar war viel Ausschuss dabei, aber „das Zeug ging besser, als ich gedacht hatte“, sagt Munter. Im vergangenen Winter aber konnte er „das Zeug nicht mehr sehen“ und gab es an Wiederverkäufer ab.
Berliner Morgenpost, 13.01.2008