„Humboldt Forum ist „Zentraler kultureller Kommunikationsort““

04.07.2022 – NDR kultur

Vor genau 20 Jahren hat der Deutsche Bundestag den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses als Humboldt Forum beschlossen. Wolfgang Thierse (SPD) war damals Bundestagspräsident. Ein Gespräch.

Am 4. Juli 2002 gab eine deutliche Mehrheit für den Bau mit der rekonstruierten Außenfassade des ehemaligen Schlosses. Genau dafür hatte auch Wolfgang Thierse geworben: für das neue und moderne Gebäude mit der Teilrekonstruktion dreier Fassaden und des Schlüterhofes. Es war eines der größten deutschen Bauvorhaben der vergangenen Jahrzehnte – und Zündstoff für etliche Debatten.

Thierse: „Preußen bestand auch aus einer großen Kulturgeschichte“

Ein Gespräch mit Wolfgang Thierse über dessen Faszination für diesen „Ort des Dialoges der Kulturen der Welt“, über sinnlich erfahrbare historische Schichten von Metropolen und insbesondere von Berlin, warum der Palast der Republik zuvor falsch stand – mit einem für eine Demokratie unnötigen riesigen Paradeplatz und dass es darum ging, „etwas zu heilen, was in der Geschichte falsch gelaufen ist“. Thierse sagt, das Humboldt-Forum sei „ein Besuchermagnet“.

Herr Thierse, wie erinnern Sie sich an den 4. Juli des Jahres 2002?

Wolfgang Thierse: Es war eine offene und entschiedene Debatte. Ich war nicht ganz sicher, wie das Ergebnis sein würde – schon der Hoffnung, dass es eine Mehrheit für diesen Vorschlag gibt. Aber wie groß die Mehrheit sein wird, war vorher nicht klar, weil es auch so mancherlei Vorbehalte gibt: schon wieder etwas Großes in Berlin, die Teil-Errichtung von etwas Altem. Da gab es schon emotional-ästhetische Vorbehalte.

Fast zwei Drittel der Abgeordneten haben am Ende für das Stadtschloss gestimmt. Man kann getrost sagen: ein Lebensthema von Ihnen. Warum war es Ihnen wichtig? Und wie schauen Sie heute auf das Humboldt Forum?

Thierse: Die inhaltliche Idee finde ich immer noch faszinierend, nämlich in der unmittelbaren Nachbarschaft zu der Museumsinsel, die das Gesamt der europäischen Kultur präsentiert, einen Ort zu schaffen, der dem Dialog der Kulturen der Welt dienen soll. Das war die zündende Idee, die ich verheißungsvoll fand, und dass man das dann an dieser kostbarsten Stelle der Stadt Berlin, nämlich auf dieser alten Insel in der Mitte der Stadt, vergegenwärtigt und Geschichte zu einem modernen Zweck macht. Diese Kombination fand ich überzeugend und deswegen habe ich mich so dafür eingesetzt.

Sie hatten in dem Zusammenhang damals an andere europäische Metropolen erinnert wie Rom, Paris und Prag, also Städte, die eine „menschenverträgliche Ungleichzeitigkeit architektonisch in der Lage sind zu bieten“, so haben sie es formuliert.

Thierse: Ja, das war meine Formulierung, weil ich dachte: Welche Städte finden wir spannend? Die Städte, in denen Geschichte sichtbar ist, unterschiedliche historische Schichten sinnlich erfahrbar sind und die nicht nur aus einer historischen Schicht stammt. Berlin ist eine Stadt mit so viel moderner Architektur, die viel zerstört wurde und die sich auch immer wieder selber zerstört hat.

An dieser kostbaren Stelle im Herzen der Stadt Geschichte wieder zu gewinnen, fand ich interessant und verheißungsvoll. Und ich glaube, das gelingt auch. Das Schloss steht jetzt, wie es städtebaulich stehen musste. Der Palast der Republik zuvor stand falsch, weil davor unbedingt ein riesiger Paradeplatz sein musste. Den braucht Berlin, eine demokratische Hauptstadt, nicht. Jetzt funktioniert es wieder. Die Linden laufen genau auf eine Fassade des Berliner Schlosses zu.

Seien wir nicht feige“, haben Sie damals in ihrer Rede gesagt. Das mutige Vorhaben, dass Sie sich wünschten, war der Wiederaufbau des alten Preußenschlosses. Hat dabei der Gedanke eine Rolle gespielt, dass wir Deutschen keinen Louvre haben? Wir haben die Bundeskunsthalle und dezentral viele bedeutende Orte. Ging es auch um etwas Identitätsstiftendes?

Thierse: Auch wir Deutschen können uns an unsere Geschichte erinnern. Wir müssen sie nicht in jeder ihrer Phasen verdammen. Wir haben furchtbare Kapitel der Geschichte, die wir nicht verdrängen dürfen. Aber die preußische Kulturgeschichte, die zu den freundlichen Seiten gehört, wird man nicht bestreiten. Preußen bestand nicht nur aus Militärgeschichte, sondern auch aus einer großen Kulturgeschichte.

Dieses Schloss war schon vor 1945 ein Ort der Bürger geworden – mit Museen und Institutionen kultureller und wissenschaftlicher Art. Es war schon fast ein Bürgerschloss geworden. Dann ist es im Krieg zerstört und dann vom Ulbricht-Regime gesprengt worden – eine kulturelle Missetat. Auch darum ging es: etwas zu heilen, was in der Geschichte falsch gelaufen ist.

Wolfgang Thierse: „Was gelingt in Berlin schon geschmeidig? Eigentlich nichts“

Inzwischen nennt sich das Humboldt Forum selbst einen Ort für Kultur, Wissenschaft, Austausch, Debatten und Diskurs. Wie lange wird es dauern, bis das Humboldt Forum ein beliebtes Zentrum geworden ist – ein lebendiger, überregional bekannter Ort, den man ganz selbstverständlich und gerne aufsucht?

Thierse: Es gibt schon sehr viele Besucher. Das Haus wird intensiv besucht – die Veranstaltungen noch weniger. Nun hat das Humboldt Forum diese große Idee mit den Kulturen der Welt und das „Pech“, dass sich inzwischen die Stimmungslage verändert hat. Vor 20 Jahren war das Thema Aufarbeitung des Kolonialismus noch nicht wirklich wichtig. Die Frage nach rassistischen Strukturen in unserer Gesellschaft und in unserer Geschichte war auch noch nicht so wichtig. Das Humboldt Forum hat selber dazu beigetragen, dass all diese Themen nun Gegenstand der öffentlichen Debatte werden. Das Forum muss sich dem auch stellen und das ist ein durchaus konfliktreicher und mühseliger Prozess, in dem das Humboldt Forum mittendrin steckt.

Man kann von einem kulturpolitischen Jahrhundertprojekt sprechen. In jedem Fall war es eins der größten deutschen Bauvorhaben der vergangenen Jahrzehnte – Zündstoff für etliche Debatten. Bevor es vor 20 Jahren angeschoben wurde, war schon seit zwölf Jahren debattiert worden. Inwiefern waren diese Kontroversen wichtig als Prozess einer kulturellen Selbstverortung Deutschlands?

Thierse: Es ist gut, dass Sie daran erinnern, damit nicht die Legende entsteht, es sei eine Entscheidung nur von oben gewesen, gewissermaßen eine herrschaftliche Entscheidung von Regierung oder Parlament. Es hat schon vorher intensive Diskussionen gegeben – über den Ort und was wir machen sollen. Die Erinnerung an den Palast der Republik spielte auch eine emotionale Rolle. Und die Frage: Was soll die Funktion, was soll der Inhalt sein? Dass im Zentrum der deutschen Hauptstadt ein Ort entstehen sollte, wo Feldkulturen ihren Platz haben, wo der Streit und die Kommunikation zwischen ganz unterschiedlichen Positionen, sowohl kultureller wie wissenschaftlicher wie politischer Art, stattfinden kann: Das finde ich ganz passend. Das passt gut zu Berlin.

Das ist nicht nur Regierungs- und Parlamentssitz, ein eigenes Bundesland, ein Ort für viele wissenschaftliche Institutionen und ein wirtschaftlicher Ort, sondern auch ein zentraler kultureller Kommunikationsort. Berlin ist durchaus auch in dieser Hinsicht kulturell eine internationale Stadt und ich hoffe sehr, dass das Humboldt Forum da ein sicherer Mitspieler sein wird.

Hätten Sie dem Humboldt Forum einen geschmeidigeren Werdegang gewünscht? Oder war das mit den ewigen Diskussionen gerade richtig und wichtig?

Thierse: Ach, was gelingt in Berlin schon geschmeidig? Eigentlich nichts. Es ist in Berlin immer alles umstritten und das ist auch in Ordnung so. In die Schicksale und Entscheidungen der Hauptstadt mischen sich alle Möglichen ein: nicht nur die Stadtbürger, sondern auch die Bürger dieses Landes insgesamt – und internationale Stimmen spielen eine Rolle. Das gehört dazu.

Mancher Konflikt war vielleicht etwas zu fanatisch. Und manche Gegnerschaften sind so versteinert, dass man sich gelegentlich wundert, warum es nicht intellektuelle Einsichten gibt, dass da Entscheidungen getroffen sind und dass man jetzt etwas daraus machen kann.

Das Warten aufs Humboldt Forum hat Jahrzehnte gedauert. Es gibt von Alexander von Humboldt das Zitat: „Man muss die Zukunft abwarten und die Gegenwart genießen oder ertragen.“ Ist jetzt die Zeit des Genießens gekommen?

Thierse: Ich glaube noch nicht. Es gibt noch Streit, Verdächtigungen und Gegnerschaften – und der kulturelle Betrieb muss sich auch erst richtig einspielen. Es gibt viel Zustrom. Es ist ein Besuchermagnet, auch für die Besucher dieser Stadt, geworden. Die Veranstaltungen sind ganz international besetzt. Aus Afrika, Südamerika und Asien sind ganz viele Akteure dabei. Das muss noch etwas sichtbarer werden. Das wünsche ich mir sehr. In Berlin ist so viel los, dass selbst die Angebote des Humboldt Forums – so spannend sie sind – im Trubel der Stadt ein bisschen untergehen können.

Studiert haben Sie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nun gehen Sie auf die 80 zu. Alexanders Bruder Wilhelm von Humboldt hat einmal geschrieben: „Ich hatte mir das Alter immer reizend und viel reizender, als die früheren Lebensepochen gedacht. Und nun, da ich dahin gelangt bin, finde ich meine Erwartungen fast übertroffen.“ Würden Sie ihm beipflichten?

Thierse: Auf jeden Fall ist mir nicht langweilig. Man muss sich umstellen. Ich bin kein aktiver Politiker mehr. Meine Meinung ist nicht mehr so wichtig. Das ist manchmal schade, aber manchmal ist es auch entlastend, wenn man in schwierigen Situationen nicht mehr mitentscheiden muss und die Verantwortung nicht mehr tragen muss, sondern seine Meinung einfach hemmungslos vor sich denken kann. Das ist auch eine ganz vergnügliche Situation.

Das Gespräch führte Philipp Cavert.

 

 

Quelle: NDR kultur, 04.07.2022

 

.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert