„Kunst und Gedenkkultur – Monumentale Peinlichkeiten“

01.05.2022 – Frankfurter Allgemeine Zeitung

Von Niklas Maak

Erst das Glockenspiel an der Potsdamer Garnisonskirche, dann die Wippe am Stadtschloss, jetzt Michael Sailstorfers „Knotenpunkt“ am ZOB. Hören die Probleme mit der Kunst im öffentlichen Raum rund um die Hauptstadt nie auf?

In Berlin und im benachbarten Potsdam hat man kein Glück mit den Denkmälern, Skulpturen und anderen Dingen, die im öffentlichen Raum aufgestellt werden, um an irgendetwas zu erinnern. In Potsdam war vor gut drei Jahrzehnten ein Glockenspiel aufgestellt worden, um für den Wiederaufbau der Garnisonkirche zu werben. Die vierzig Glocken spielten alle dreißig Minuten das Lied „Üb immer Treu und Redlichkeit“ und zu jeder vollen Stunde „Lobe den Herrn“. Angefertigt worden war es von der „Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel“, die Stadt stellte es einfach auf und hatte übersehen, dass sich in den Glocken „Widmungen an die ehemaligen deutschen Ostgebiete“ fanden, wie Kritiker später in einem offenen Brief aufdeckten. Auch stehe auf einer der Glocken der Spruch „suum cuique“, das Motto der Feldjägertruppe der Bundeswehr, das übersetzt „Jedem das Seine“ heißt – und das stand eben auch am Haupttor des KZ Buchenwald.

Die Glocken wurden daraufhin abgeschaltet. Der Potsdamer Fall ist eines der dramatischsten Beispiele dafür, was passieren kann, wenn der öffentliche Raum ohne transparente Entscheidungen mit Dingen vollgestellt wird, die einer kleinen, oft nicht näher bekannten Gruppe von Entscheidern als gute Idee vorkommen. Nicht in jedem Fall kommt es zu demokratiefeindlichen Exzessen, aber die jüngeren Beispiele von Gedenkkultur und Kunst im öffentlichen Raum zeigen, dass dringend an der Art der Ausschreibung, an der Zusammensetzung der zusammengestellten Jurys und an Kontrollmechanismen gearbeitet werden muss. Nicht mit dem Potsdamer Fall zu vergleichen, dafür aber ein Beispiel für die Möblierung des öffentlichen Raums mit monumentalen Peinlichkeiten ist das Denkmal zur Erinnerung an die Wiedervereinigung, das zurzeit vor dem Berliner Stadtschloss errichtet wird und aus einer Wippe besteht, auf der man erfahren soll, dass man, wenn man zusammen in eine Richtung marschiert, „etwas bewegen“ kann – zum Beispiel eine Wippe, die an eine überdimensionierte Obstschale erinnert, ein bisschen nach unten.

„Rolle des Bahnhofs als zentraler ‚Verkehrsknoten‘“

Politisch völlig unverdächtig, aber bizarr ist auch das neueste Beispiel von Kunst im öffentlichen Raum, die das Land Berlin sich gönnt: eine Skulptur am erweiterten Zentralen Omnibusbahnhof. Die Stadt ist verpflichtet, bei Baumaßnahmen der öffentlichen Hand eine bestimmte Summe für Kunst am Bau auszugeben – was ihr die Chance gegeben hätte, internationale Künstler für die Gestaltung einer Begrüßungsskulptur zu gewinnen, für die immerhin über 200 000 Euro zur Verfügung stehen. Stattdessen fand nach einem nur berlinweit offenen Bewerbungsverfahren ein nichtoffener Wettbewerb mit zehn eingeladenen Künstlern statt, den Michael Sailstorfers Arbeit „Knotenpunkt“ – ein zehn Meter hoch aufragendes Seil mit einem Seemannsknoten – gewann. Das Preisgericht befand, dass dieses Seil die „Rolle des Bahnhofs als zentraler ‚Verkehrsknoten‘ räumlich fasst“ und „Bezüge zu architektonischen Ikonen des Berliner Stadtraums“ herstelle.

Welche sind das? Wenn man sehr betrunken ist oder fragwürdige Substanzen genommen hat, könnte man das Ding für den Fernsehturm am Alex halten, aber dann ist es auch mit dem Orientierungswert der Skulptur vorbei. „Zusätzlich“, jubelt die Jury, „werden vielfältige Assoziationen eröffnet.“ Welche? Hier wird zusammengeknotet, was nicht zusammengehört? Wer nach Berlin kommt, kann sich den Strick geben, denn hier ist: Endstation? Die Kunst, heißt es in der Pressemitteilung, leiste einen Beitrag zur Begrüßung aller Fahrgäste und stärke die „Willkommenskultur“. Man muss aber schon einen sehr seltsamen Humor haben, wenn man im Jahr eins nach Angela Merkels Abtritt die deutsche Willkommenskultur mit einem drohend aufgerichteten Strick darstellen will.

 

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.05.2022

 

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