„Hitzestress in Berlin: An besonders heißen Orten droht Lebensgefahr“

19.06.2022 – Berliner Zeitung

Wo Sonne auf Stein und Asphalt trifft, wächst der Hitzestress. Die Zahl der Hitzetoten steigt. Die Stadt ist schlecht vorbereitet auf heiße Zeiten.

Von Maritta Tkalec

Noch bevor der Sommer begonnen hat, lief die erste Hitzewelle des Jahres über Deutschland. Berlin blieben Temperaturrekorde erspart. Doch stellenweise war die Hitze heftig. Aus Forschungen sind die für Menschen gefährlichen Orte bekannt: Es handelt sich vor allem um beton- und steinversiegelte Plätze ohne Schatten und ohne kühle Zuflucht.

Die Stadt ist weder baulich noch mental auf den wachsenden Hitzestress vorbereitet, obwohl es in den Jahren 2018 bis 2020 allein in Berlin und Brandenburg rund 1400 Hitzetote gab. Ein Wochenende wie dieses sollte zum Üben neuer Verhaltensweisen genutzt werden, sagen Wissenschaftler. Denn: In wenigen Jahren ist in Berlin mit Klimaverhältnissen zu rechnen wie heute in Südfrankreich.

Heißes Pflaster Schlossplatz

Auf dem Schlossplatz glüht das Pflaster, kein Baum, kein Strauch. Nichts als Steinwüste. Die schwarze Quecksilbersäule des zwecks Messung am Boden abgelegten Thermometers schießt in kurzer Zeit über die 40-Grad-Marke bis ans Ende des Röhrchens. Mindestens 45 Grad – kurz vor Mittag am Sonnabend. Da hat das Hitzewochenende gerade erst begonnen, es weht sogar ein Lüftchen.

Der Schlossplatz ist eine dieser Flächen, auf denen nach Ansicht von Stadtökologen Menschen typischerweise gefährlichen Hitzestress erleiden. Entscheidende Faktoren sind die enorm hohe Sonneneinstrahlung und wenig Schatten. Wer am Schlossplatz Schatten sucht, muss ins steinerne Portal des Humboldt-Forums flüchten.

Das Thermometer liegt an der Stelle, wo eigentlich der Schlossbrunnen stehen müsste; er würde auf der steinernen Fläche etwas Kühlung verleihen, wenn Besucher hier verweilen. Blaue Infrastruktur nennen das die Stadtökologen – kühlende Wasserbecken, Brunnen, Sprühsysteme. Aber der Brunnen und Neptun stehen vor dem Rathaus.

Die Stadtklimaökologin Britta Jänike, die derzeit an der Universität Kassel lehrt, hat aus Messungen der Strahlungsintensität im komplexen Gefüge von Gebäuden, Bäumen und Straßen eine Karte der Berliner Hotspots erstellt. Die Darstellung zeigt eine hohe mittlere Strahlungstemperatur auf offenen Flächen wie dem Vorplatz am Bahnhof Zoo oder an Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel. Letztere sind besonders heikel, denn dort halten sich viele Menschen längere Zeit auf.

Ein Hotspot: das Tempelhofer Feld

Eine große, rot als Hotspot zu erkennende Fläche sticht aus der Karte heraus: das Tempelhofer Feld. Ortsbesichtigung Sonnabend 13 Uhr. Die Sonne brennt ungehindert auf die Fläche. An der Grenze zwischen Betonstrecke und Gras schießt das Thermometer rasch auf weit über 40 Grad. Kaum ein Mensch bewegt sich unter diesen Umständen auf der weiten „Erholungsfläche“.

Zwei Männer radeln vorüber. „Brutal, wie es hier aussieht“, sagt einer beim Blick über die braun verbrannte Grasfläche – „die reine Wüste“. Zwischen den trockenen Grashalmen funkeln Glassplitter zerbrochener Flaschen von Picknicks an kühleren Tagen.

In den schattigen Straßenschluchten der Gründerzeit-Bezirke herrscht in dieser heißen Mittagsstunde ein vergleichsweise fast angenehmes Klima. Das allerdings dreht sich am Abend und in der Nacht um, so Britta Jänicke: „Dann speichern die bebauten Gebiete die Hitze und der Temperaturunterschied im Vergleich zu offenen Flächen mit hoher Abstrahlung oder gar Parks und Wäldern liegt bei bis zu zehn Grad Celsius.“ Sie erinnert daran, dass Schatten zwar im Sommer angenehm ist, mit Blick auf den Winter jedoch nicht jede Fläche beschattet werden dürfe. „Die Stadt muss große Vielfalt auf kleiner Fläche bieten“, sagt die Stadtökologin.

Artgerechte Haltung für Menschen

Sie sieht Berlin mit seinem vielen Grün im Vergleich zu anderen Städten wie Seoul oder New York „gar nicht so schlecht“ für den Klimawandel mit starken und langen Hitzeperioden gerüstet. Doch das Umbaupotenzial für die Stadtplaner ist riesig, wenn die Großstadt auch in Zukunft Menschen noch artgerecht beherbergen soll.

Britta Jänike sieht einfach und kurzfristig umzusetzende Maßnahmen unter anderem im Ausbau der sogenannten blauen Infrastruktur, also Brunnen, Wasserflächen, Wassersprühanlagen, oder im Ausnutzen des Rückstrahlungseffektes – dunkle Flächen, zum Beispiel auf Hausdächern oder am Boden, könnte man weiß anmalen. Und natürlich: Flächen entsiegeln.

Naiver Umgang mit Hitze

Vor den Gesundheitsfolgen des Wärmeinsel-Effekts warnt auch der Arzt Martin Herrmann, Vorstandsvorsitzender der Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Er sieht das dicht besiedelte Berlin mit alternder Bevölkerung und immer mehr Bauverdichtung auf den wachsenden Hitzestress schlecht vorbereitet. „Die Menschen gehen immer noch naiv mit der Gefahr durch Hitze um“, sagt er und führt eine schockierende Zahl an: 96 Prozent aller durch Naturkatastrophen ums Leben gekommenen Menschen in Deutschland erlagen der Hitze! Das ergibt sich aus der bei EM-Dat, einer internationalen Datenbank für Katastrophen, für die Jahre 1990 bis 2020 verfügbaren Statistik.

Doch während im Winter umfangreich über obdachlose Kältetote berichtet werde, Wärmestuben eingerichtet würden und Kältemobile durch die Stadt führen, gebe es für den Sommer nichts Vergleichbares, sagt der Arzt und fragt: „Oder haben Sie schon einmal vom Hitzemobil oder Kühlinseln in Berliner Wäldern für Obdachlose gehört?“ Die Gefahr, in Berlin durch Hitze zu sterben, sei hoch, besonders auch für alte Menschen, die einsam und dehydriert in bis auf 40 Grad warmen Wohnungen leben. Der tausendfache Hitzetod sei ein stilles, vielfach unbemerktes Sterben.

Mehr als 40 Grad Celsius in Kliniken

Der Arzt hat beobachtet, dass derzeit das Hitzeproblem vielfach noch ironisiert wird: Wenn zum Beispiel in Kliniken, Krankenstationen oder Behandlungsräumen Temperaturen nahe 40 Grad herrschten, werde von Zuständigen vorgeschlagen, Ventilatoren einzusetzen. Die wirken gar nicht gegen Hitze.

„An solchen Orten herrscht große Gefahr, das muss endlich begriffen werden“, sagt Martin Herrmann. Der Arbeitsschutz verharre diesbezüglich noch auf dem Stand von vor 30 Jahren.

Britta Jänike mahnt, auch an die Kinder zu denken: „Die haben noch keine ausgebildete Thermoregulation und gehören nicht in die pralle Mittagssonne.“ Sie würde die Stadt vorrangig an solchen Stellen ändern, wo die Verwundbarkeit an Hitzepunkten besonders hoch ist, wie zum Beispiel an Haltestellen.

Doch der Anpassungsbedarf ist viel, viel höher, wie beide Wissenschaftler betonen. Britta Jänike sagt: „Das Wissen ist da, aber in der Praxis geht es nicht recht voran – und es muss gut geplant werden.“

Quelle: Berliner Zeitung, 19.06.2022

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