„Die Vision des Mannes änderte Berlin“

27.02.2022  – WELT

Von Richard Schröder

Vor über 60 Jahren besuchte Wilhelm von Boddien als Schüler Berlin – und hatte die Idee vom Wiederaufbau des Stadtschlosses. Seine Vision ist inzwischen Wirklichkeit. Nun wird von Boddien 80. Glückwunsch an einen Unerschütterlichen.

m Jahr 1950 ließ der SED-Chef Walter Ulbricht das Berliner Stadtschloss sprengen, um Platz zu schaffen für Massendemonstrationen und Paraden. Siebzig Jahre später war das Berliner Stadtschloss wieder da. Wie war das möglich? Viele haben daran mitgewirkt, aber einer nur hat die Idee des Wiederaufbaus zur Welt gebracht. Er heißt Wilhelm von Boddien.

Das kam so. Als Redakteur seiner Schülerzeitung besuchte er im Herbst 1961 Berlin. Er war gespannt auf die historische Mitte von Deutschlands Hauptstadt. Aber was sah er da? Unter den Linden Trümmer hier und Trümmer da. Und am Ende ein leerer Platz mit einer schmucklosen steinernen Tribüne. Was ist denn das? Hier stand einmal das Berliner Stadtschloss, wurde ihm erklärt. Das wurde ihm zum Schlüsselerlebnis. Er sammelte und forschte, fernab jeder Realität, ein Besessener. Aber dann fiel die Mauer.

Inzwischen war der leere Platz von 1961 nicht mehr ganz leer. Honecker hatte an dessen Rande den „Palast der Republik“ errichtet, der in der DDR durchaus beliebt war. Es gab dort Restaurants, ein Theater und (Westimport) eine Bowlingbahn. Westlich davon war der Saal der Volkskammer, die jährlich zweimal tagte. Und in östliche Richtung war eine Tribüne integriert, von der aus die Partei- und Staatsführung die Demos und Paraden abnehmen konnte.

Dazu kam es aber nicht, weil die Panzer bei zwei rechtwinkligen Kurven den Straßenbelag zerstörten – Fehlplanung. Volksvergnügen, Scheinparlament und Tribüne für die Massenumzüge, davor der leere Platz für die Aufzüge, da war „der Sozialismus“ in Architektur gegossen, als Geschichtszeuge durchaus erhaltenswert.

Aber es gab da zwei Probleme. Man hatte die Hohlräume überreichlich mit Asbest ausgespritzt, das noch nicht als krebserregend galt. Und der Palast fügte sich nicht ins Stadtbild. Ohne das Schloss war die Prachtstraße Unter den Linden wie ein Witz ohne Pointe.

Wilhelm von Boddien warb für den Wiederaufbau des Schlosses. Er fand aber nur wenige Unterstützer. Da kam ihnen die Idee: Wer nicht hören will, muss sehen. Zeigen wir doch, wie die Schlossfassade sich ins Stadtbild fügen würde, als Simulation auf bemalten PVC-Bahnen.

Inspiration in Paris

Bei einem Parisbesuch hatte er vor einer eingerüsteten Kirche deren Fassade auf solchen Bahnen gemalt gefunden und die Verbindung zu der französischen Künstlerin Catherine Feff aufgenommen, die den Auftrag annahm. Das gab dem Projekt eine europäische Note. Die Simulation stand von Juni 1993 bis September 1994.

Die Wirkung war enorm. Bei einem Wettbewerb zur Bebauung der Spreeinsel votierten die drei ersten Entwürfe für die Beibehaltung der Kubatur des Stadtschlosses. Und 2002 beschloss der Deutsche Bundestag – aufgrund der Empfehlung der Internationalen Expertenkommission Historische Mitte Berlin –, den Rohbau des Schlosses staatlich zu finanzieren, die Barockfassaden aber durch Spenden, die der Förderverein einzuwerben hat, 80 Millionen Euro zunächst.

Im Jahr 2007 erfolgte ein Architektenwettbewerb, den der Italiener Franco Stella einstimmig gewann. Sein Entwurf sah die Wiedererrichtung der Kuppel mit Kreuz vor. Fünf Jahre später beschloss zudem die Expertenkommission Rekonstruktion, sämtliche Inschriften des Schlosses historisch getreu zu rekonstruieren, unter ausdrücklicher Nennung der Kuppelinschrift, um die nun, mit fast zehnjähriger Verspätung, so heftig gestritten wird.

Wilhelm von Boddien wusste, dass die Baupläne verloren waren. Deshalb beauftragte er die Architekten Robert und York Stuhlemmer, auf Kosten des Fördervereins aus Fotos und Teilplänen den Gesamtbauplan zu rekonstruieren.

Das war eine Arbeit von Jahren und kostete Millionen. Als 2007 das Bundesbauministerium die Ausschreibung für den Schlossbau vornehmen wollte, bemerkte nun auch dieses, dass die Bauzeichnungen fehlen. Dankbar übernahm das Ministerium die Rekonstruktion der Stuhlemmers.

Für die Skulpturen der barocken Schlossfassade mussten als Vorlagen für die Steinmetzen Prototypen in Ton gefertigt werden. Auch dafür war ein beachtlicher zeitlicher Vorlauf nötig. Der Förderverein gründete deshalb in Spandau eine Bauhütte. Auch diese wurde aus Spendengeldern finanziert.

Strafanzeige gegen von Boddien

Philipp Oswalt, ein Architekt, der ohne Anstand gegen das Schlossprojekt wütet, erstattete 2007 deshalb gegen den Förderverein und Wilhelm von Boddien Strafanzeige wegen der Veruntreuung von Spendengeldern. Diese sah er in der Finanzierung der Bauzeichnung und Prototypen, da er vom Staat dazu nicht beauftragt sei.

Sogar die „FAZ“ titelte: „Boddien unter Untreueverdacht. Wo sind die Millionen geblieben?“ Das war für ihn der schwärzeste Tag seines Schloss-Engagements. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren wegen fehlenden Anfangsverdachts ein, worüber allerdings kaum berichtet wurde.

Wilhelm von Boddien wünscht sich, dass der Große Kurfürst, die beiden Rossebändiger, das Standbild des Moritz von Oranien und der Neptunbrunnen zum Schloss zurückkehren. Und er wünscht sich die Rekonstruktion der Gigantentreppe.

Am 27. Februar begeht Wilhelm von Boddien seinen 80. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!

Richard Schröder ist evangelischer Theologe und Philosoph. Er war SPD-Abgeordneter in der letzten DDR-Volkskammer und im Bundestag. Er ist Vorsitzender des Fördervereins Berliner Schloss.

 

Quelle: WELT vom 27.02.2022

 

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