„Entscheidung für Barockfassaden idealisiert die Geschichte“

17.01.2017   Berliner Zeitung

 

Von Nikolaus Bernau

Eines der Phänomene der vielen Berliner Schloss-Debatten ist, dass die eigentlich so vielgestaltige Architekturgeschichte dieses Prachtbaus darin kaum eine Rolle spielt. Durchweg wird sie von den Befürwortern und den Gegnern des Nachbauprojekts reduziert auf die kurze Zeit zwischen etwa 1695 und etwa 1720.

In diesen Jahren wurde erst für Kurfürst Friedrich III., der sich 1701 zum König Friedrich I. in Preußen selbst krönte, und dann nach seinem Tod 1712 in den ersten Jahren seines Nachfolgers Friedrich Wilhelm I. jene prachtvolle Barockresidenz errichtet, deren Außenfassaden derzeit nachgebaut werden.

Das preußische Genie

Der grandiose Bildhauer und Architekt Andreas Schlüter sowie dessen Nachfolger Eosander von Göthe und Martin Böhme hatten diese entworfen, als Symbol der neuen Königsmacht. Vor allem Schlüter galt schon Schinkel und dann mit zunehmender Intensität seit dem späten 19. Jahrhundert als preußisches Genie, als Sinnbild bürgerlicher Schöpferkraft an einem angeblich dekadent-absolutistischen Königshof. Diese Idealisierung hatte durchaus nationalistische Untertöne: Die Herkunft Schlüters aus dem Königreich Polen wurde bis in die jüngste Schlüter-Ausstellung im Bode-Museum als Nebensache deklariert, dabei schuf er seine ersten Hauptwerke in Warschau. Und dass Eosander von Göthe nach dem Einsturz des Münzturms 1712 Schlüter beerbte, wurde auch auf dessen „französische“ Höfischkeit zurückgeführt.

„Schlüterhof“, die Fassaden zum Schlossplatz, zur Schlossfreiheit und zum Lustgarten, die Paradesuite am Lustgarten mit dem großen Treppenhaus, dem Schweizersaal, dem Rittersaal, der Roten- und der Schwarzen-Adler-Kammer sowie Gemäldegalerie: Diese Bauteile sind es, die zunehmend als „das“ Berliner Schloss bezeichnet werden. Doch nichts ist falscher. Das Schloss war ein Organismus, gewachsen seit dem Baubeginn der hohenzollerischen Zwingburg 1453.

Nach außen zeigte sich dies bis 1950 an der Spreeseite, die Strenge der spätmittelalterlichen Burg, die Türme der Renaissanceresidenz, die lange Braunschweiger Galerie aus dem Frühbarock sowie, hin zum Dom, der Apothekerflügel mit seinen Renaissancegiebeln. Sie alle signalisierten, dass dieses Schloss ein Bau mit einer halbtausendjährigen Geschichte war.

Aber schon der Bauhistoriker dieser Residenz, Albert Geyer stellte in den 1930er-Jahren fest: „Niemals ist im Schloss zu Berlin so viel gebaut worden wie unter Kaiser Wilhelm II.“ Dieser ließ alle Fassaden instand- und teilweise ersetzen, die barocken Suiten restaurieren, richtete sich eine eigene Wohnung im Neo-Stil der Deutschen Renaissance und des Frühbarock ein, schuf im Zusammenhang mit dem prächtigen Weißen Saal nach Plänen Ernst von Ihnes erstmals nach dem Vorbild des Louvre Napoleon III. und des Buckingham Palace eine wirklich nationale, deutsche , über Preußen ideal hinausreichenden Residenz.

Doch weder vom Spreeflügel noch von den wilhelminischen Um- und Zubauten soll auch nur eine Spur wiederentstehen. Ganz im Gegenteil: Jede Erinnerung an die malerische Spreefront ist durch den brutalen Schematismus des Ostflügelentwurfs von Franco Stella zerstört, und die originalen Kellerräume und Fundamente aus der Zeit Wilhelm II. waren mit die ersten, die für den Bau der U-Bahn und des Humboldtforums geopfert wurden. Bis heute sind sie die Teile des Schlosses, die am schlechtesten erforscht wurden.

Preußen – der Kulturstaat

Einer der Gründe, der gegen einen Nachbau der Spreefassaden und des Apothekerflügels angeführt wurden, war, dass diese zu unsystematisch gewesen seien. In Dresden war man da weniger ängstlich beim Wiederaufbau des Residenzschlosses. Nein, die die Entscheidung, in Berlin nur die barocken Fassaden nachzubauen, ist letztlich auch eine politische Aussage: Sie stehen für die Zeit des prachtliebenden, ziemlich friedlichen Friedrich I. und seiner kultivierten, der Aufklärung nahen Gattin Sophie Charlotte. Ergänzt wird dieses neue Bild der preußischen Geschichte durch den ursprünglich gar nicht vorgesehenen Nachbau der Schlosskuppel, die an den „Romantiker auf dem Thron“ Friedrich Wilhelm IV. erinnert.

Es entsteht das Idealbild eines Staates, der vornehmlich der Kultur, der Wissenschaft und Kunst huldigte. Das passt auch viel besser zur Konzeption des museal, also kulturell dominierten Humboldtforums, das den größten Teil des Neubaus besetzen wird. Die preußische Militärmonarchie und ihre Dynastie aber, die die Reichseinigung 1871 erzwang, die das Reich in die Kolonialpolitik und in den Ersten Weltkrieg führte, die dagegen wird mit dieser Fassadenauswahl regelrecht verschleiert.

 

 

Quelle: Berliner Zeitung, 17.01.2017

 

 

 

32 Kommentare zu “„Entscheidung für Barockfassaden idealisiert die Geschichte“

  1. Also bedeutet das im Umkehrschluss, hätte man mehr rekonstruiert, wäre der Umgang mit der Historie ehrlicher gewesen? Ein durchaus interessanter Standpunkt.

  2. Komischer Artikel. Architekturgeschichtlich hat er ja durchaus recht, aber man darf erstmal nicht vergessen, dass hier primär ein Museumsneubau entsteht und keine reine Rekonstruktion und baulich somit ganz verschiedene Ansprüche angelegt werden. Für ein Museum eignen sich die barocken Großstrukturen nunmal besser. Und auch Bernau sollte wissen, dass Stella so geplant hat, dass spätere Generationen, wenn sie es denn wollen, weitere Rekonstruktionen vornehmen können.
    Mir scheint es, als wolle hier mal wieder jemand gehört werden…

  3. Man bekommt den Eindruck, dass man im Umgang mit verlorener Bausubstanz und ihrer Wiederauferstehung in den letzten 60 Jahren nichts dazugelernt hat. Bei den zahlreichen Objekten, die nach den Zerstörungen des 2. Weltkrieges wieder aufgebaut wurden, hat man vielfach die dynamische Baugeschichte ebenfalls negiert. Besonders negativ zu beobachten in Köln, wo an der Kirche St. Maria im Kapitol der salische Gründungsbau idealisiert wurde und die spätromanischen Umbauten der Ostteile einfach ignoriert wurden. Das stößt auch heute auf heftige Kritik.

  4. Mir wäre auch lieber gewesen, wenn man den Renaissance-Ostteil ebenfalls rekonstruiert hätte, statt an die Ostseite diesen hässlichen Klotz zu klatschen. Erwähnen muss man aber, dass eben eine solche Rekonstruktion von den Gegnern des Schlossbaues verhindert wurde, nicht von den Schlossbefürwortern. Aber Nikolaus Bernau ist ja schon mehrfach durch unsachgemäße und verzerrende Darstellungen aufgefallen.

  5. Die Ostseite ist eine Konzession gewesen, um der „modernen Architektur“ wenigstens ein Stück Häßlichkeit zu ermöglichen. Man muss dankbar sein, dass nicht der gesamte Bau so verunglückt ist.^^ Jetzt müssen alle Kräfte darauf konzentiert werden, um die „Wippe“ vor der Westfassade zu verhindern. Eine Rekonstruktion der Kolonnaden wäre natürlich die viel bessere Lösung.

  6. Dorian Wilhelmi genau das meine ich ja. Jene Konzession ist doch schuld daran, dass der Bau nicht in seiner Geschichtlichkeit erfahrbar ist. Aber solche Hässlichkeit ist ja bekanntlich nie für die Ewigkeit gebaut.

  7. Preußen ist die einzige Militärmonarchie der Weltgeschichte, da die französischen Könige und Kaiser, aber auch die Romanows und Habsburger jeweils auf eine Armee verzichtet hatten.^^ Spaß beiseite: Es scheint gegenwärtig eine deutsche Leidenschaft zu sein, allen Aspekten der deutsch-preußischen Geschichte einen negativen Anstrich zu geben. Der Begriff „Militärmonarchie“ ist dabei völlig falsch gewählt, denn anders als in der Spätphase des römischen Kaisertums ist es in Preußen nie dazu gekommen, erfolgreiche Heerführer zu Königen aufsteigen zu lassen.

  8. Wenn die aktuelle Spreeseite schon so unfassbar hässlich ist, wird das eines Tages vielleicht erst recht die Initiative für eine Rekonstruktion der vorbarocken Teile an dieser Stelle befördern. Wenn es hier tatsächlich nur um einen Museumsbau ginge, wieso haben wir dann die Kuppel und anderen „Schnickschnack“ rekonstruiert? Gelungene Museen in vorbarocken Bauten sind zudem nun wirklich keine Seltenheit. Es besteht also noch Hoffnung.

  9. In Kiel arbeitet man gegenwärtig an Plänen, die schlimmsten Hässlichkeiten beim Wiederaufbau zu korrigieren. Dummerweise soll jetzt die Rückseite von Schloss Gottorf durch einen futuristischen Anbau verschandelt werden. Ich teile Ihre Hoffnung, dass man eines Tages die völlig beliebige Ostseite des Berliner Stadtschlosses durch eine bessere Lösung ersetzt.

  10. Leider bin ich nach dem Lesen des Artikels „so klug als wie zuvor“ – einerseits wird der Nichtwiederaufbau der ältesten Schlossteile bedauert, andererseits das Fehlen der Bezüge zur jüngeren preußischen Geschichte. Fehlt hier etwa ein Teil des Artikels oder sind, wie heute oft zu beobachten, dem Autor die Argumente ausgegangen?

  11. Gerade Deutschland bzw. das Heilige Römische Reich war zumindest die allerlängste Zeit das genaue Gegenteil einer „Militärmonarchie“, es gab lange noch nicht einmal ein Reichsheer, und bis zum Ende 1806 hat das Reich als solches keinen einzigen Angriffskrieg geführt. 😉

  12. Die Kritik von Nikolaus Bernau ist durchaus berechtigt. Selbstverständlich hätten mehr und besonders auch die älteren Zeitschichten rekonstruiert werden müssen. Das war politisch nur nie durchsetzbar. Insofern müssen wir frh sein, überhaupt die Barockfassaden bekommen zu haben. Genau davor hat aber der große Architekturkritiker Prof. Julius Posener gewarnt: Aussen Historie mit modernem Kern und war deshalb gegen einen Wiederaufbau. Wir müssen leider mit diesem Kompromiss leben. Diesen Entwurf hatte ich zeitgleich mit der Alternative von Braunfels der Stiftung Humboldforum, Herrn Stella, der damaligen Kulturbeauftragten des Bundestages Frau Grütters vorgestellt. Auf der Kubatur des Renaissanceflügels habe ich dieselbe Anzahl und denselben Fensterduktus von Stella verwendet…und den Apothekerflügel als unabdingbaren städteräumlichen Abschluss des Lustgartens wiedererrichtet ! Antwort: Änderung zu teuer wegen zu weit fortgeschrittener Baumassnahmen.

  13. Ja, das fällt unter die Kategorie „Kritische Rekonstruktion“, um der Moderne noch Spielräume einzuräumen, die bei Rekonstruktionen unsinig sind

  14. Auch wenn ich mich wiederhole: Ich verstehe die Implementierung irgendwelcher politischen oder geschichtlichen Aspekte in diesen Bau nicht. Das alte Schloss, in welcher Form auch immer, ist zerstört und wird auch nicht durch ein Wunder wiederauferstehen. Hier wird und wurde nichts anderes getan als ein Museum zu errichten, dem man aufgrund der verlorenen Ästhetik in der Mitte Berlins das Aussehen des zerstörten Gebäudes an gleicher Stelle gegeben hat. Ähnliches ist vielfach an anderen Stellen passiert und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Vorgehensweise anders gewesen wäre, wenn das alte Gebäude nicht die alte Hohenzollernresidenz, sondern ein anderes Gebäude mit vergleichbarer kulturhistorischer Bedeutung gewesen wäre. Warum kann man nicht endlich mal die Kirche im Dorf lassen und sich damit begnügen, dass hier ein Museum entsteht, welches (zumindest von drei Seiten) grandios in das historische Umfeld integriert wurde. Die Realisierung des Umfeldes mit allem was dazugehört finde ich wesentlich relevanter als über das historische Erbe der Vorlage zu schwadronieren.

  15. Na wer ist den hier gegen eine komplett-Rekonstruktion? Und jetzt im Nachhinein darüber beschweren, dass es nur die Fassade geworden ist.

  16. We must consider that had the original structure NOT been destroyed much of the architectural ornament would require replacement because of age, pollution damage and poor restoration techniques. Replacing the whole fabric at once is a faster, more economical solution.

  17. Naja in einem Land wo man sich chronisch auf das Negative der eigenen Geschichte konzentiert, ist ein wenig Idealisierung mal nicht schlecht. Depressive Bauwerke gibt es in Deutschland wahrlichen Gottes genug.

  18. Fun Fact: Das Deutsche Reich hat zwischen 1871 und seinem Ende 1918 nur einen einzigen Krieg geführt. In dieser Zeit haben die anderen damaligen Mächte dauernd Kriege geführt. Es war vor allem ein Operettenheer. Die anderen Nationen damals waren de fakto wesentlich kriegerischer.

  19. Aus dem Artikel geht wieder einmal die bekannte
    tendenziöse, stereotypeAnti-Preußenhaltung hervor:

    Wohl alle Nationalstaaten des späten 19. Jahrhunderts
    zeigten „nationalistische Untertöne“.

    Die kleinteiligen Räume des vielwinkligen Ostflügels mit
    z. T. stufigen Fluren und maroden Holzdecken einschließlich historisierender
    Fassaden funktionsfremd und sehr aufwändig zu rekonstruieren, wurde mit Recht
    verworfen.

    Nicht die „preußische Militärmonarchie und ihre Dynastie
    erzwang“ die Reichs­gründung. Es war die aggressive, nationalistische Politik
    Napoleon III., der Preußen den Krieg erklärte, was Bismarck dann nutzte, um die
    Einigung zu erreichen. Dem widerstrebenden preußischen Monarchen Wilhelm I.,
    also der preußischen Dynastie, musste die Kaiserwürde förmlich
    aufgezwungen werden.

    Die Vorgeschichte hin zum 1. Weltkrieg hat viele
    Ursachen mit vielen Verursachern (vgl. Historiker Christopher Clark u. a.).
    Diese tragische Entwicklung hat absolut nichts zu tun mit der Rekonstruktion der Barockfassade von 1701 / 1714.

    Wie kann ein vernünftiger Mensch mit dem Anspruch
    historisch differenzierenden Wissens die Auswahl dieser Fassade für die
    Rekonstruktion nicht nur eines Gebäudes, sondern des Stadtbildes mit
    „Verschleierung“ einer (preußischen?) Kolonial- und Kriegspolitik im
    frühen 20. Jahrhundert begründen?

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