Der Kunstbegriff hat sich vom Ästhetikbegriff gelöst. Die Einheit von Kunst und "Schönheit", die insbesondere von der griechischen Kultur bestimmt wurde und bis ins Anfang des letzten Jahrhunderts nachwirkte, wurde aufgebrochen.
Zweitens steht nicht mehr so sehr das Kunstwerk an sich, sondern vielmehr die Idee des Kunstwerks an erster Stelle, soll meinen, das Konzept und die intellektuelle Begründung der Idee ist viel wichtiger als das Werk an sich. Der Prozess steht über dem Produkt (auf die Spitze getrieben haben diese Idee die Happeningkünstler). Somit kann ich von dieser Seite die Idee von Chipperfield verstehen und die Idee als solche ist meiner Meinung nach sogar nicht schlecht. Allerdings ist die Frage, ob man die Entwicklung innerhalb der Kunst auf die Architektur übertragen kann und hier sehe ich das Problem. Die Kunst richtet sich an ein elitäres Publikum, das die notwendigen Kenntnisse in die Museen etc. mitbringt und daher zumindest in den meisten Fällen die Kunst unter Einbeziehung der Kontextbedingungen verstehen kann. Außerdem richtet sich die Kunst in ihrer Ausrichtung an bestimmte Gruppen, die dann entscheiden können, ob sie sich das Werk ansehen wollen oder nicht. Der Rest bleibt eben der Ausstellung fern. Architektur findet aber im öffentlichen Raum statt und so ist die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit davon betroffen.
Somit stellt die Loslösung der Architektur vom Ästhetikbegriff und die intellektuelle Überhöhung des innerfachlichen Diskurses auf dem Kunstmarkt das eigentliche Problem dar.
Man hat sich mittlerweile in einer derartigen Weise vom Schönheitsbegriff der klassischen Epochen entfernt, dass selbst das beste Konzept aufgrund seines grundsätzlichen ästhetischen Mangels nicht mehr überzeugen kann.
…, weil dieses Gebäude auch von der breiten Masse akzeptiert wurde. Und dies geht nur, wenn zumindest der Versuch unternommen wird, Werk- und Ästhetikbegriff wieder zusammenzuführen.
Der Versuch, beim Wiederaufbau des Schlosses, zwei entgegengesetzte Welten miteinander zu vereinbaren, kann nur schief gehen. Das Ergebnis wird uns folglich nicht zufrieden stellen.
Das Neue Museum ist ein abschreckendes Beispiel.
Was die Kunst betrift haben Sie sicher für einige Stilrichtungen des letzten Jahrhunderts recht, doch ist das Ästhetikempfinden einem stetigen Wandel unterworfen. Noch vor 130 Jahren hat man die Impressionisten verpönt. Die Architektur hat schon immer eine ganz andere Rolle als die Kunst, sie muss das Schöne mit dem Nützlichen und Machbarem verbinden. Es gibt Grundregeln die allgemein als ästhetisch angesehen werden, doch wenn sie einmal alte Bauwerke und Neue analysieren, werden sie sie bei beiden bestätigt finden(vorrausgesetzt es handelt sich um einen guten Architekten, schlechte gab es damals wie heute, aus früherer Zeit hat sich nur das Gute erhalten).
"Idee des Kunstwerks steht an erster Stelle"- wenn ich das auf die Architektur beziehe existiert dies auch schon immer. Jede Kirche ist darauf aufgebaut, Schloss und Park Versailles(mit seiner ewigen bis ins kleinste wiederfindbaren Vierteilung(Symbol der 4 Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Kontinente) und Ausrichtung auf die Gemächer des Königs; da stand eine Weltsicht definitiv im Vordergrund), jeder Landschaftsgarten mit seiner Idee von einer "natürlichen" Landschaft".
Jedes Gebäude erhält die passende Form zur zugrunde gelegten Idee, leider soll dies beim Humboldtforum nicht geschehen.
Zitat: "Jedes Gebäude erhält die passende Form zur zugrunde gelegten Idee, leider soll dies beim Humboldtforum nicht geschehen."
Dann düfte man im Umkehrschluß aber auch keine Nutzung in Gebäuden vornehmen, die mal für etwas anderes gedacht waren.
Ergo: Der Louvre wäre sofort aus dem alten Stadtschloss in Paris auszuquartieren und der bayerische MP Beckstein müßte sofort aus dem alten Armeemuseum ausziehen, welches jetzt zur Staatskanzlei umfunktioniert wurde. Danach müssen die modernen Flügel abgerissen werden, die ja in der ursprünglichen Nutzung als Armeemuseum nicht so "transparent" vorgesehen waren und das Museum muss seine Arbeit wieder aufnehmen.
Pardon,
es war ja nicht zu vermeiden das diese Antwort folgt. Leider habe ich das Wort "neue" vergessen -> "Jedes neue Gebäude erhält die passende Form zur zugrunde gelegten Idee"
Gebäudeumnutzungen sind ein ganz anderes Feld. Der Kaispeicher A in Hamburg wurde sogar komplett entkernt, so dass nur noch die Fassaden stehen. Nun wird angefangen dort hinein die Elbphilharmonie zu bauen.
Dieses Projekt beweist im Übrigen das ein SEHR GUTES Nutzungskonzept in Verbindung mit anspruchsvoller aktueller Architektur und einem zahlungskräftigen und engagierten Bürgertum schnell zu genügend Spenden führt.
Zitat:"Dieses Projekt beweist im Übrigen das ein SEHR GUTES Nutzungskonzept in Verbindung mit anspruchsvoller aktueller Architektur und einem zahlungskräftigen und engagierten Bürgertum schnell zu genügend Spenden führt."
Das beweist die geplante Nutzung des Humboldtforums und die dafür einsetzende Spendenbereitschaft der Bevölkerung auch.
Zudem gilt Ihre These durchaus nicht nur für "neue" Gebäude, denn auch früher hat man natürlich so geplant. Es ändert aber nichts daran, daß viele Gebäude in ihrer Funktion durchaus flexibel sind und wir daher durchaus auch die Räume und Fassaden des alten/neuen Stadtschlosses nutzen können.
"Jede Kirche ist darauf aufgebaut, Schloss und Park Versailles(mit seiner ewigen bis ins kleinste wiederfindbaren Vierteilung(Symbol der 4 Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Kontinente) und Ausrichtung auf die Gemächer des Königs; da stand eine Weltsicht definitiv im Vordergrund), jeder Landschaftsgarten mit seiner Idee von einer "natürlichen" Landschaft".
Jedes Gebäude erhält die passende Form zur zugrunde gelegten Idee, leider soll dies beim Humboldtforum nicht geschehen."
Natürlich stand hinter Versailles eine Idee und natürlich wurden auch funktionale Aspekte berücksichtigt. Das bestreitet auch niemand. Aber der Unterschied ist, dass man damals noch viel größeren Wert auf Ästhetik und Harmonie legte. Die Schaffung von Kontrasten hatte man eher nicht im Sinn.
Ich möchte meine Überlegungen mit zwei weiteren Punkten abschließen.
Die Moderne – ein gesellschaftliches Gegenmodell
Die Moderne kann in ihrer Intention nur verstanden werden, wenn man ihre Entwicklung in einen gesellschaftlichen Kontext rückt. Denn Kunst wie Architektur ist ohne die Betrachtung der gesellschaftlichen Entwicklung nicht verständlich. Die Moderne ist keine willkürliche Laune der Natur, sondern ein gesellschaftliches Gegenmodell.
Sie entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf die absolutistische Gesellschaft. Sie war eine avantgardistische Bewegung, die nicht mehr wollte als eine völlig andere Gesellschaft. Kunst und Architektur waren immer Symbol der Herrschenden. Die Königshöfe von Preußen oder auch von Frankreich waren Sinnbild, ja steingewordene Manifestation der „alten Ordnung“. Gleichzeitig repräsentierten sie aber die Ideale des klassischen Ästhetikbegriff (Symmetrie, die Ordnung der Elemente, aber auch die Grundgedanken der klassischen griechischen Ästhetik). Und genau dies wurde zum Problem. Man wollte die neue Ordnung, die Revolution. Und diese Revolution musste sich ausdrücken. Und dies tat sie in der völligen Abkehr vom bisher Gültigen, dem finalen Bruch mit allen geltenden Konventionen. Die Zeit des Nationalsozialismus hat diese Problematik noch weiter verschärft, knüpfte man doch wieder an die klassichen Elemente an und nicht nur dass, sie wurden idealisiert und zum Ausdruck des Regimes. Man denke nur an die Zurschaustellung des Körperideals in Leni Riefenstahls Olympiafilm (die Menschen als Abbild der griechischen Götter). Es kam zumindest in den Köpfen der Menschen zu einer Verknüpfung von Kunst und Politik. Mit dem Ende des Dritten Reichs setzte eine noch stärker werdende Gegenbewegung ein als Anfang des 20. Jahrhunderts. Man wollte die Distanzierung, die völlige Distanzierung, gesellschaftlich, künstlerisch, architektonisch. Somit ist die Moderne nicht primär ein künstlerischer, sondern vielmehr ein gesellschaftlicher Gegenentwurf, der sich aber in Form von Kunst, Literatur wie auch in der Architektur als Symbole der Gesellschaft manifestiert. Der künstlerische Bruch ist somit ein gesellschaftlicher Bruch. Dieser Gegenentwurf hatte somit auch eine Revision des Ästhetikbegriffs zur Folge. Meiner Meinung nach war die Abkehr vom traditionellen Ästhetikbegriff nie primäres Ziel, sondern vielmehr Mittel zum Zweck einer gesellschaftlichen Bewegung. Man könnte auch sagen, die traditionelle Ästhetik hatte einfach Pech, Pech als Symbol einer gesellschaftlichen Ordnung zu stehen, die sich selbst überlebt hatte.
Und mit der Revision des Ästhetikbegiffs gingen die Begriffsinhalte mit den Jahren verloren. Bemerkenswert ist aber nicht nur die Verschiebung auf dem Bereich der subjektiven Ästhetik, auch die grundsätzlichen und als objektiv geltenden ästhetischen Strukturen wurden aufgebrochen und neu besetzt. Und hier liegt das eigentliche Problem der Moderne. Sie versucht, natürliche Gesetzmäßigkeiten außer Kraft zu setzen und dies muss scheitern. Lasst mich dies kurz erklären:
Der Mensch – ein Individuum gefangen im Dilemma des symmetrischen Systematismus
Ist euch die bemerkenswerte Logik der natürlichen Gesetzmäßigkeiten schon einmal aufgefallen? Der Mensch ist ein symmetrisch gefügtes Lebewesen, er besteht sozusagen aus zwei annähernd gleichen Teilen, genau wie jedes andere Lebewesen, jede Pflanze, jedes Geschöpf auf dieser Erde, selbst jedes Blatt folgt dieser Gesetzmäßigkeit. Und dann ist es nicht verwunderlich, dass der Mensch diese Systematik aufgreift und nicht nur dass, er zelebriert sie. Ist euch aufgefallen, dass zumindest bis ins 20. Jahrhundert hinein fast jedes Schloss symmetrisch aufgebaut ist? Fast jedes Haus, jede Kirche ja selbst die prachtvollen Gärten des Barock, alle funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Es scheint, als besitze der Mensch einen einprogrammierten Code, der ihn dazu animiert. Symmetrie bedeutet Harmonie, ihre Vollkommenheit ist Perfektion. Symmetrie schafft Ordnung, schafft Regelmäßigkeit. Und die braucht der Mensch. Der Mensch denkt in Mustern und Schablonen. Nur so können die auf den Menschen einwirkenden Sinneseindrücke überhaupt bewältigt werden, d.h. der Mensch braucht Ordnung. Weicht ein Sinneseindruck von bestehenden Mustern ab, müssen die Denkmuster entweder differenziert oder ganz neu angelegt werden. Da der menschliche Geist aber bestrebt ist, mit so wenigen Mustern wie möglich auszukommen, bedeutet dies Denkarbeit und gegebenenfalls Unzufriedenheit, denn der Mensch zielt auf die optimale Passung der Muster. Erst wenn es unbedingt nötig wird, werden bestehende Muster revidiert. Und dieser Fakt erklärt viele Probleme mit moderner Architektur. Sie widersetzt sich dem Symmetrie- und Ordnungswillen des menschlichen Geistes. Die Moderne versucht zwanghaft, menschliche, natürlich codierte Muster zu unterlaufen und dies muss scheitern. Nehmen wir als Beispiele ein traditionelles Bürgerhaus und den neu errichteten Galeriebau von Chipperfield in Berlin. Chipperfields Neubau widersetzt sich bewusst den natürlichen Denkmustern des Menschen. Dadurch fällt er jedem zunächst auf, weil er nicht in das typische Raster eines traditionellen Hauses passt. Seine wahllos angeordneten Fenster lassen kein System, keine Ordnung, keine Symmetrie erkennen. Es fällt dem Menschen zwar als Abweichung auf, aber eben nicht positiv, sondern vielmehr als Störung bestehender Muster. Dies ist der Grund, warum die Moderne aus ästhetischen Gründen gescheitert ist. Im Streben nach gesellschaftlicher Veränderung hat sie die Natur des Menschen übergangen. Die Moderne verlangte eine Anpassung und Dehnung des Äthetikbegriffs, die der Mensch aufgrund natürlicher Beschränkungen nicht leisten kann. Ihre Ziele nach Kontrast, Beliebigkeit und Chaos widersprechen diametral der menschlichen Natur und ihrem Streben nach Harmonie, Ordnung und Perfektion.